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Wien/ Theater an der Wien: SAUL von G.F. Händel. Mit Umbesetzung

21.02.2018 | Allgemein, Oper

Theater an der Wien SAUL 20.2.2018 (Premiere am 16.2.) –

„Saul“ wird im Händelwerkeverzeichnis als bereits achtes Oratorium (HWV 53) des äußerst produktiven Georg Friedrich Händels aufgelistet. Uraufgeführt wurde der „Saul“ am 16. Januar 1739 im King’s Theatre am Haymarket in London. Das Libretto in englischer Sprache stammte von Charles Jennens (1700-73) und stützte sich in erster Linie auf die einschlägigen Passagen in den beiden Büchern Samuel 1 und 2 des Alten Testaments. Später sollte Jennens noch Texte zu weiteren Oratorien für Händel zusammenstellen.

Claus Guth hat am Theater an der Wien bereits einen Monteverdi-Zyklus, Händels Messiah und Schuberts Lazarus erfolgreich in Szene gesetzt. Nun kehrt er mit einem packenden „Saul“ nach Wien zurück. Im Zentrum steht der Generationenkonflikt zwischen dem regierenden König Saul und seinem späteren Nachfolger auf dem Thron, dem noch jungen Hirtenknaben David. König Saul ist auf den nach seinem glorreichen Sieg über den Philister Goliath in die scheinbar heilige Familienidylle des Königs eindringenden David, eifersüchtig, zumal sein eigener Sohn Jonathan in David mehr als nur einen Freund sieht (1 Sam 20,30). Es sei an dieser Stelle noch bemerkt, dass der hebräische Name David übersetzt „Geliebter“ bedeutet. Auch David beklagt am Ende des Oratoriums Jonathans Tod mit den an 2 Sam 1, 26 angelehnten Worten: Great was the pleasure I enjoy’d in thee, And more than woman’s love thy wondrous love to me!“ Sauls Töchter Merab und Michal sind von der natürlichen Ausstrahlung Davids ebenso eingenommen wie ihr Bruder Jonathan. Die anfängliche Ablehnung von Merab, die der König David als Gattin zugedacht hatte, und die nur eine standesgemäße Verbindung eingehen will, weicht schließlich dem verführerischen Zauber des Hirtenknaben und zu Dritt wird dieser dann auch gehörig sexuell bedrängt. Saul sieht in David seinen zukünftigen Nachfolger, der bereits als Knabe von Samuel zum zukünftigen König gesalbt worden war. Neben dieser verworrenen Familiengeschichte gelingt es Claus Guth aber auch nachvollziehbar, die Verzweiflung Sauls und seinen schrittweisen Niedergang aufzuzeigen. Der stolze König wird sich bewusst, dass sein eigener Sohn Jonathan niemals zu seinem Nachfolger gesalbt werden wird und dass all seine Versuche, David zu töten bzw. ermorden zu lassen, scheitern, was ihm zu guter Letzt auch die Hexe von Endor bestätigt, die seinen und Jonathans Tod in der Schlacht am nächsten Tag durch den herbeigerufenen Geist des toten Propheten Samuel weissagen lässt.

Diesen alttestamentarischen Denver-Clan ließ Ausstatter Christian Schmidt auf einer praktikablen Drehbühne Suppe schlürfen, lieben, streiten, kämpfen, Wände beschmieren, in eine Waschmuschel kotzen, Dinge also, die sich an und für sich wohl in jeder Familie ereignen, bei Guth aber bewusst ins fieberhaft ekstatische gesteigert. Das liegt zum größten Teil aber auch im spannungsgeladenen Wechsel der Musik Händels zwischen den kontemplativen und eher sinfonischen Abschnitten und den ariosen Passagen. Da sieht man einmal einen eher schlichten Speisesaal mit roter Tapete, in welchem die handelnden Personen aufeinander treffen und ihren Psychokrieg austragen. Ein weiterer Raum dieser Drehbühne ist mit weißen Fliesen getäfelt, an dessen Wand Saul zu Beginn des Oratoriums seinen eigenen Namen schmiert, der dann später durchstrichen erscheint und am Ende der neue Herrscher, noch keineswegs in königlicher Haltung, sondern gedrückt und verzweifelt seinen eigenen Namen schreibt, wodurch die poetische Klammer mit dem Beginn wieder einmal als perfekt geschlossen erscheint. Und fallweise erscheint dann noch das berühmte Gemälde „Saul und David“ von Rembrandt Harmenszoon van Rijn aus dem Mauritshuis in Den Haag um ein vielfaches vergrößert. Schließlich gibt es noch einen mehr oder weniger offenen Raum, der für die Auftritte des Chores mit wechselnden Kostümen vorgesehen ist. Für den von Erwin Ortner gesanglich präzise einstudierten Arnold Schoenberg Chor erdachte dieses Mal auch Ramses Sigl eine spannende Choreographie, die den Chor in seiner Gesamtheit im Sinne des antiken Dramas auch zum Kommentator des Geschehens werden ließ.

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Florian Boesch. Copyright: Monika Rittershaus

In der Titelrolle brillierte Florian Boesch als mächtiger König mit schwarzer Robe und Speer, die ihn nicht von ungefähr wohl an Wotan erinnern soll. Zwar zerspellt sein Speer nicht, aber es gelingt ihm auch nie, den verhassten David damit zu töten. Außer vielen beklemmenden Recitativen und Accompagnatos hat Saul nicht gerade viele Airs zu singen. In der Szene mit der Hexe von Endor übernahm Florian Boesch gesanglich auch den Part von Samuel und geisterte im Anschluss an seine Aufbahrung noch weniger munter durch die Szene. Sein großer Gegenspieler war der verdiente englische Countertenor Jake Arditti in der Rolle des Hirtenknaben David, dessen großes Talent man bereits vor zwei Jahren als wahnsinniger Nerone in Agrippina am Theater an der Wien und als Emone in Traettas Antigone sowie Hänsel in der Wiener Kammeroper bewundern konnte. Er ist als Junge vom Land noch unerfahren in höfischer Sitte und schlürft beim Antrittsbankett die Suppe, sehr zum Leidwesen der Töchter Sauls, wie ein Bauerntölpel aus. Stimmlich ließ er keine Wünsche offen und die Koloraturen perlten munter aus seiner Kehle. Die beiden Töchter Sauls, Merab und Michal, waren mit Carolina Lippo, die für die erkrankte Anna Prohaska eingesprungen war, und Giulia Semenzato, die neben ihrem Gesangsstudium auch einen Bachelor in Rechtswissenschaft von der Universität von Udine 2012 verliehen erhielt, stimmlich und darstellerisch bestens besetzt. Der britische Tenor Andrew Staples unterlag als erster der drei Kinder Sauls der Ausstrahlung Davids, die er auch unverhohlen zum Ausdruck brachte. Glaubwürdiger wäre es allerdings gewesen, wenn man für seine Rolle auch einen Sänger gecastet hätte, der von der Statur und dem Äußeren besser zu dem noch knabenhaften Jake Arditti gepasst hätte. Der niederländische Tenor Marcel Beekman, unvergesslich als Rameaus Platée, und zuletzt als Mime in der „Ring-Trilogie“am Theater an der Wien, verkörperte dieses Mal gleich drei Rollen: Abner, High Priest und Doeg, den Diener Sauls, wobei Letzterer von Händel eigentlich für einen Bass geschrieben wurde. Dem jungen französischen Tenor Quentin Desgeorges war noch die kleine Rolle des Amalekiters übertragen, der David die Nachricht vom Tode Sauls überbringt und den dieser daraufhin töten lässt. Für die Hexe von Endor ließ sich Regisseur Guth wieder etwas Ausgefallenes und dennoch so zeitgemäßes einfallen: Der US-amerikanische Countertenor Ray Chenez gab diese en Travestie und war dabei schon von Beginn an in der Rolle eines stummen Dienstmädchens anwesend. Als „An Evil Spirit“ listet das Programm noch den US-amerikanischen Tänzer Paul Lorenger auf, der stumm den Untergang Sauls wie ein böser Schatten begleitet. Und zum Schluss seien noch die Namen von Bernd Purkrabek für die spannende Lichtregie, Arian Andiel für Video, das mir nicht sonderlich zu Bewusstsein gelangt war, und Yvonne Gebauer für die Dramaturgie genannt.

Das Freiburger Barockorchester unter Laurence Cummings bot einen, trotz mancher Längen, die aber nicht in der grandiosen Musik Händels lagen, spannenden Abend. Besonders interessant fand ich dabei den überraschenden Einsatz einer Orgel und das Glockenspiel. Vielleicht war das Publikum zur Zeit der Uraufführung noch durchaus in der Lage, einer Aufführung von mehr als 3 Stunden gespannt zu folgen. Heute ist das nicht mehr gegeben, das musste ich spätestens nach 20 Minuten feststellen als zwei neben mir sitzende Knaben im Alter von höchstens 10 und 12 Jahren zu gähnen begannen, auf den Sitzen hin- und her rutschten und mit einer leuchtenden Armbanduhr, die auch Spiele anzeigen konnten, ungeniert hantierten. Der Vater bekam von all dem natürlich nichts mit, denn neben ihm saß ja seine brave Tochter… Das Publikum hielt aber, gestärkt durch die Getränke in der verdienten Pause, tapfer bis zum Schluss aus und war von den Leistungen aller Mitwirkenden begeistert, was sich an der Länge des Applauses und der vielfachen Bravorufen für die beiden Damen, Jake Arditti und Florian Boesch äußerte. Auch mir hat der Abend sehr gut gefallen und ich konnte wieder einmal durchaus glücklich meinen Weg nach Hause antreten.

Harald Lacina

 

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