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WIEN / Theater an der Wien: SALOME

18.01.2020 | KRITIKEN, Oper


Fotos: Theater an der Wien /© Werner Kmetitsch

WIEN / Theater an der Wien:
SALOME
Musik von Richard Strauss,
Fassung von Eberhard Kloke
Premiere: 18. Jänner 2020

Das Zauberwort (so es eines ist) heißt „Mehrwert“. Durch seine Puppen entstehe, sagt Regisseur Nikolaus Habjan, „eine zusätzliche Ebene, die ich anders nicht darstellen kann“. Marlis Petersen, zweifellos geplagte Hauptdarstellerin der Habjan-„Salome“ im Theater an der Wien (denn sie muss ihre Puppe schleppen, außerdem singen und im Rahmen der Möglichkeiten noch spielen), machte in einem Interview gute Miene zum bösen Spiel: Sie erklärte, durch diese Verdoppelung könne man „Seele und Körper des Charakters entkoppeln“. Das doppelte Salomechen…

Nun kann eine „Sonder-Interpretation“ einem Werk nicht schaden, das man so gut kennt, das eigentlich immer im Repertoire zu finden ist (so schön, so normal, so jugendstilig, so zur schrankenlosen Entfaltung großer Persönlichkeiten geeignet in der Staatsoper): Schaute man zuletzt über den Tellerrand (Fernsehen und Streams erlauben es), hat man von den Salzburger Festspielen bis zur Bayerischen Staatsoper einige verrückte Salome-Spielchen gesehen. Da ist die Puppe vergleichsweise nicht einmal so pervers. Auch, weil sich Habjan im Grunde mit einer einzigen begnügt – so bescheiden ist er selten.

Nun, jetzt soll dieses hässliche blonde Klappmaulgeschöpf die Prinzessin Salome bedeuten, die gleich mit den ersten Worten als „wie schön!“ besungen wird. Dahinter die vergleichsweise bescheiden wirkende Echtfrau in einem clownartigen Volantkleid, die mal von Narraboth, mal von Jochanaan ein bisschen Hilfe im sicher mühseligen Puppentragen erhält. Sie ist also dann die „Seele“.

Eine ähnliche Verdoppelung erfährt nur Jochanaan, bloß muss sich der geschnitzte, entsetzlich knochige „Jesus am Kreuz“, der da aus der Tiefe kommt, nicht bewegen. Hingegen haben wir die „Seele“ des Jochanaan als Mensch omnipräsent, er muss nicht mehr in seinen Brunnen zurück, von Kopf bis Fuß „in grau“ (auch Gesicht so geschminkt), darf er immer da sein.

Tatsächlich nähern sich die „Seelen“ von Salome und Jochanaan schon zu Beginn regelrecht an – die „reale“ Salome, sprich Puppe (ist das zu kompliziert? Nein!) darf inzwischen mit Narraboth spielen. Das macht allerdings die blutige Tat später ziemlich unlogisch – denn eine gewissermaßen besinnliche statt hysterische Prinzessin würde doch nicht dermaßen in Blut wühlen, wie es hier gezeigt wird?

Kurz, die Verdoppelung stimmt immer wieder nicht, ist nicht logisch durchgedacht, oft nicht vernünftig, und dennoch gelingt Nikolaus Habjan zumindest eine wirklich erstaunliche Szene: Der Tanz, zu dem man keine sieben Schleier mehr braucht und auch keinen wirklichen „Tanz“, sondern schlicht Erotik – die Puppe befriedigt Herodes, der am Ende einen regelrechten Orgasmus-Seufzer loslässt, und dann, ja dann wird sie weggeworfen. Der Rest, der schauerliche Rest der Geschichte ist nur der „Seele“ dieser schlichten Blondine zuzuschreiben…? Die übrigens am Ende gewissermaßen in der Luft hängt (bzw. an der Wand steht): Denn auf „Man töte dieses Weib“ rührt sich absolut nichts, und dabei gab es am Beginn doch so viele Wächter mit Maschinenpistolen… Kurz, das Konzept hinkt und krankt.

Dennoch ist es – man ist ja dankbar für alles – erst einmal ein ästhetisch ansprechender Abend. Denkt man vergleichsweise an den scheußlichen „Rusalka“-Wellness-Tempel, so ist dieser undefinierbare Hof wenigstens interessant anzusehen (Julius Theodor Semmelmann), und wenn sich der zentrale „Brunnen“ (in die Höhe!) öffnet, ergeben sich geradezu Spielchen wie in einem Sci-Fi-Film. Das alles in Gegenwartskostümen (Cedric Mpaka), die aber stylish genug sind, um nicht mit der üblichen T-Shirt-Fetzen-Unkultur zu beleidigen. Keine konkrete Welt (der Page der Herodias trägt eine Hotelpagen-Uniform, aber als Menschen im Hotel würde man es eigentlich nicht betrachten), aber ein Raum, in dem diese Geschichte spielen kann. Sie bekommt ja, vor allem durch den pemanent dunkelgrau herumgeisternden Jochanaan, auch etwas Magisches, ein bisschen Gespenstergeschichte, ein bisschen absurd, mit einem Ausreißen ins extrem Blutige, wenn Salome ihren Holzkopf erhält…

Marlis Petersen ist der wahre Star des Theaters an der Wien, wenn sie auf der Bühne steht, weiß man, dass eine Künstlerin sich extrem ausreizt. Nun gibt es ja wenige Rollen, die Sängerinnen permanent in solche Höhen treiben, im Forte und im Piano, und obwohl man (das begreife auch mal einer!) Richard Strauss bearbeitet hat (!!!), wohl um ein verkleinertes Orchester in den Raum des Theaters an der Wien hinein zu passen, erklingt das ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter der Leitung von Leo Hussain immer noch sehr laut. Marlis Petersen sang unermüdlich und beeindruckend dagegen an, und was sie da als halbe oder doppelte Salome leistete (doppelte Arbeit war es jedenfalls), beeindruckte sehr. Nur eine Sängerin dieser Persönlichkeits-Größenordnung steht das durch.

Die neben ihr interessanteste Leistung des Abends lieferte John Daszak als Herodes, mit seinem schrillen Tenor ideal besetzt, einer, der nur sein gieriges, nervöses Selbst sein musste und die Szene beherrschte, was seiner Gattin (Michaela Schuster als Herodias) weniger gelang.

Johan Reuter in Erscheinung (auch wenn er „grau“ war) und Stimme machtvoll, war der gespenstische Wiedergänger des Abends (schon tot? Noch nicht tot?), aber die schönste dunkle Stimme erklang für wenige Minuten, als Kristján Jóhannesson als Erster Nazarener die Ankunft des Herrn ankündigte.

Eindringlich der Narraboth (Martin Mitterrutzner), ein bisschen flachstimmig der brave Page (Tatiana Kuryatnikova), und die fünf Juden sahen im Straßenanzug gar nicht so aus, aber da Strauss ihnen schließlich ihre Bewegungen „mitkomponiert“ hat, erlaubte ihnen auch der Regisseur das Gefuchtel, das man für charakteristisch erachtet. Auf der Bühne saß und stand einiges an Personal herum, dessen Zweck sich nicht erschloß, aber man hat ja längst aufgehört, alles verstehen zu wollen. Man ist ja schon zufrieden, wenn man halbwegs dabei mitkommt, was gemeint ist – wenn auch die „Seele Salome“ im Blutrausch dann wieder Kopfzerbrechen bereitet (wäre es nicht logischer gewesen, die Seele nach dem Tanz wegzuschicken und das böse Menschenmädchen hervorzuholen?). Egal, man hat jedenfalls mit Interesse zugesehen.

Am Ende gab es aber auch deutliche Buh-Rufe – offenbar haben Zuschauer den Mehrwert des Gebotenen nicht erkannt. Und meinten, Habjan hätte bei seinem ersten Entschluß bleiben sollen: „Ursprünglich hatte ich die Idee, Salome komplett ohne Puppen zu inszenieren…“ Da er aber am Theater an der Wien derzeit die Stellung eines „Directors in Residence“ einnimmt, ist wohl zu erwarten, dass seine Puppen noch oft die Klappmäuler da öffnen werden, wo man sie weder will noch braucht…

Renate Wagner

 

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