WIEN / Theater an der Wien:
PORGY AND BESS von George Gershwin
Premiere: 14. Oktober 2020
„Porgy and Bess“ ist in vieler Hinsicht etwas Besonderes. Die erste und einzige Oper über „Schwarze“, geschrieben Mitte der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts, als „Neger“ noch einfach eine Bezeichnung und kein Schimpfwort war („Afroamerican“ für die USA oder „Schwarzafrikaner“ für den Rest der Welt trifft es nicht so exakt wie das heute verpönte Wort). Eine „Folk Opera“, wie man das Werk auch nannte, wo George Gershwin zwar durch und durch eklektizistisch verfuhr – es aber schaffte, das musikalische Stil-Gemix, aus dem er sich bediente, zu etwas absolut Unikatem und Besonderen zusammen zu schmelzen. Das Libretto möchte man als unökonomisch bezeichnen (dreieinviertel Stunden Spieldauer beweisen es), viel zu viele Figuren und auch handlungsmäßig Nebensächlichkeiten, die eigentlich nicht wichtig sind. Aber es ging einst um das „Milieu“…
Genau dazu mag man sich heute nicht mehr verstehen – Catfish Row, eine Siedlung ausschließlich für Schwarze in Charleston, zurückversetzt in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Arme Fischer, ein buntes Völkchen, tragische Schicksale, dennoch immer wieder folkloristische Ausbrüche in Gesang und Tanz – sicher auch den blanken Unterhaltungs-Erwartungen des Publikums geschuldet – , Verbrechen, Gewalt, Mord, Tod und natürlich Liebe. Um alles noch tragischer zu machen, ist der Held Porgy ein Krüppel, der sich in einem Wägelchen bewegt… William Warfield tat es noch, wenn er „I’m On My Way“ losfuhr, um Bess im fernen New York zu suchen, blieb kein Auge trocken. Kurz, als Milieu dank der tragischen Untertöne durchaus teilweise echt gemeint, aber auf Effekt gepolt. Zu „dick“ für den heutigen Geschmack.
Foto: Theater an der Wien © Monika Rittershaus
Umso mehr bewundert man, was Matthew Wild, künstlerischer Leiter der Cape Town Oper (Kapstadt, Südafrika), hier im Theater an der Wien auf die Bühne stellt. Kein romantisches Fischerdorf mehr, sondern eine Art Container-Stadt, man denkt an Flüchtlinge, besonders wenn „Party, Party“ dann auf einer Müllhalde mit Hekatomben alter Kleider (die vermutlich von uns dorthin geschickt wurden) stattfinden. Fischerboote muss es noch geben, sonst keine erkennbaren Versatzstücke, die in die einstigen Südstaaten zurück verweisen. Gewitter und Sturm äußern sich vor allem im Flackern von Neonröhren. Porgy ist auch kaum mehr ein Krüppel, sondern ein stattlicher Mann mit steifem Bein und einer Krücke – da kann Bess schon froh sein, dass sie so einen Kerl bekommt, nachdem ihr schurkischer Liebhaber Crown nach einem von ihm verübten Mord auf und davon ist und sie stehen gelassen hat…
Foto: Theater an der Wien © Monika Rittershaus
Was an der Inszenierung in dieser „coolen“ und doch stimmigen Ausstattung (Katrin Lea Tag) so besticht: Sie ist ehrlich, sie tut in der vom Original abweichenden Welt nicht zu viel und nicht zu wenig (vor allem nichts Falsches), und sie erzählt absolut die Geschichte. Und das so klar wie möglich, was bei den Überschwang und Überhang an Figuren und Geschehen (besonders im ersten Teil) gar nicht so einfach ist. Aber wenn man sich an die Hauptfiguren hält, geht man im Getümmel nicht verloren – und die Tanzszenen wirken in der Gestaltung durch Louisa Talbot nicht wie Show-Einlagen, sondern wie integrale Bestandteile der Handlung. Schließlich müssen die Ärmsten der Armen sich trösten, und wenn es nicht durch Religion geschieht, dann durch ein wenig Lebensfreude mit Gesang und Tanz…
Foto: Theater an der Wien © Monika Rittershaus
Der farbige britische Dirigent Wayne Marshall leistete seinerseits Besonderes am Pult des Wiener KammerOrchesters, das in diesem Fall als „special extended“ in den Orchestergraben geschickt wurde. Es gibt zwar eine gewisse Härte im ganzen musikalischen Duktus, aber trotz aller „Hits“, die diesem Werk innewohnen (und „Summertime“ oder „I Loves You, Porgy“ sind ja wirklich Heuler), will man es nicht zu sentimental. Dass die Lautstärke manchmal an Stadthallen-Musicals erinnerte – die Sache will’s.
Die Sänger hatten alle, absolut alle in den Hauptrollen, das, was man eine „Röhre“ nennen kann – riesige Stimmen, teils prachtvoll, manchmal metallisch und auch scharf in der Höhe, aber jedem Einzelnen passte seine Rolle wie ein perfekt sitzender Handschuh.
Der Porgy des Eric Greene könnte als Male Model viel Geld verdienen, ist aber ein überzeugender Sänger-Darsteller, wenn er auch das „Armitschkerl“, als welcher die Rolle an sich angelegt ist, nicht bedient. Als seine Bess ist Jeanine de Bique nicht nur eine Schönheit, sondern auch eine gute Sängerin, und sie muss Bess nicht als das treulose Luder spielen: Sie ist eigentlich die herumgeschubste arme Haut, und wenn sie am Ende nach reichlich Kokain-Genuß ihren Porgy verlässt, zerreißt es ihr selbst das Herz (und dem Zuschauer sowieso).
Die nachdrücklichste Nebenrolle ist Sportin‘ Life (schon seltsam, dass man Sammy Davis, Jr. in dieser Rolle in der Preminger-Verfilmung von 1959 nicht aus dem Kopf bekommt): Mit Langhaar-Frisur und Fiesheit wirkt Zwakele Tshabalala eigenwillig, wenn auch nicht ganz so spannend – „It Ain’t Necessarily So“ kann mehr prickeln. Es gibt noch einen starken, gefährlichen Crown (Norman Garrett) und einen als Jake nach Wien zurück gekehrten Ryan Speedo Green, der Rest sind Damen: Brandie Sutton als Clara („Summertime“ mit mindestens so viel Tremolo wie Stimme), Mary Elizabeth Williams als Serena (leidenschaftlich an der Leiche ihres Mannes klagend) und Tichina Vaughn als Maria, nicht nur des gelben Gewandes und der gelben Zöpfchenfrisur wegen immer unübersehbar präsent. Der Rest nennt sich kollektiv ein „Porgy and Bess-Ensemble“, in dem auch viele Kinder herumkollern und wo jeder einzelne offenbar ganz genau weiß, was er tut.
Das Theater an der Wien hat seine übliche Serie von fünf Vorstellungen diesmal verdoppelt. Man sollte die Gelegenheit nicht versäumen, diesen bemerkenswerten Abend zu sehen. Nichts wie hin!
Renate Wagner
Aufführungen: 15. | 16. | 17. | 18. | 20 | 21. | 22. | 23. | 24. Oktober 2020 | 19.00 Uhr