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WIEN / Theater an der Wien: LA WALLY

tsw la wally plakat
Theater an der Wien / Herwig Prammer

WIEN / Theater an der Wien: 
LA WALLY von Alfredo Catalani
Premiere: 12. November 2021
 

Wer hierzulande „Wally“ sagt, denkt an die Geierwally, die Tiroler Berge und wahrscheinlich auch an Heidemarie Hatheyer im Kino von anno dazumal. Aber die Opernversion der Geschichte lohnt sich, wie man nun wieder im Theater an der Wien feststellen konnte. Nicht, dass das Werk in Wien neu wäre – es ist vor erst viereinhalb Jahren an der Volksoper gezeigt worden, allerdings in einer Interpretation, die weit weniger überzeugt hat wie die nunmehrige.

Jetzt fragt man sich tatsächlich, warum „La Wally“ von Alfredo Catalani nicht berühmter ist. Weil man nur die einzige Arie der Wally daraus kennt? Weil der Verismo-Mix aus Italienern, Franzosen und natürlich Wagner so eigenwillig ist? Nun, Leute wie Arturo Toscanini und Gustav Mahler waren ja nicht von ungefähr von dem 1892 uraufgeführten Werk begeistert. Es „hat“ schon was, wenn man es richtig spielt.

Das Theater an der Wien holte dafür die Regisseurin Barbora Horáková Joly, an deren Wien-Debut (der Doppelabend L’Enfant / Olympia (Ravel/Offenbach) 2019 in der Kammeroper) man sich durchaus wohlwollend erinnert. Dass sie, wie das Programmheft verrät, eine intensive Zusammenarbeit mit Calixto Bieito verbindet, würde einen weniger glücklich machen, aber das Schlimmste tritt nicht ein. Tatsächlich hat die Regisseurin das Stück gewissenhaft inszeniert, psychologisch austariert und weitgehend unbeschädigt auf die Bühne gebracht.

Einzig das Bühnenbild von Eva-Maria van Acker ist nicht gänzlich einheitlich, flieht dankenswert jede Berg-Folklore, verfremdet intelligent, teils mit prächtigen, teils mit weniger einsichtigen Videos und Projektionen (Video: Tabea Rothfuchs). Die Welt des Schnees wird weniger beschworen als vorgesehen (dafür gibt es relativ viel Nebel), und an Calixto Bieito erinnert nur die Lösung, die Bergwelt des 4. Aktes durch eine Gestänge-Konstruktion darzustellen (dergleichen hat er nämlich auch sehr gern). Für den 2. Akt hat die Ausstatterin, die auch für die Kostüme sorgte, ein paar exquisit schöne Dirndl-Kreationen für die Choristinnen geschaffen, sie hat auch Wally sehr passend eingekleidet, und wenn sich die Stimmung rund um die „Kuss“-Szene, die eine Demütigungsszene erster Ordnung ist, verdüstert, dann ist es eine gute Idee, dass die Dorfgemeinschaft Perchtenmasken aufsetzt…

Die Geschichte der stolzen Frau, die keine „gute“ Heldin ist (aber das sind ja Carmen oder Turandot auch nicht?), wird sozial in die bäuerliche Dorfwelt eingebettet, ohne dass diese überbordet – tatsächlich ist es eine Dreiecksgeschichte um die stolze, sture Wally, die an ihren heftigen Gefühlen scheitert und den Geliebten beinahe rücksichtslos vernichtet, wozu sie (auch nicht die feine englische Art) den Mann missbraucht, der sie bedingungslos liebt. Diese „Heldin“ dem Publikum nahe zu bringen, ist nicht unbedingt leicht.

Es gelingt durch die bemerkenswerte Besetzung der Titelrolle mit der Polin Izabela Matula, eine starke Frau, rothaarig, im ersten Akt in Hosen, Stiefeln und Wams fast wie eine Brünnhilde der Berge wirkend, im zweiten, als sie die reiche, hochmütige Herrin geworden ist, weiblich attraktiv. Wenn sie im letzten Akt in die Berge geht, um zu sterben, lässt die Regie die Frage offen, ob der Geliebte ihr dabei wirklich real begegnet (und den Mordanschlag auf sich vergibt), oder ob es nur ihre Phantasievorstellung ist – so interessant spielt sie diese letzte Wendung des Charakters als „Wahnsinnsszene“. Dabei besticht Izabela Matula durch einen starken, geradezu leuchtenden Sopran, der auch in höchsten Höhen nicht schrill wird und stets, mit Intensität eingesetzt, auch die Seelenlage der Figur „mitsingt“.taw la wally die zweiAn Stimmkraft mit ihr aufnehmen konnte es der Tenor Leonardo Capalbo, ein schwarzlockiger Feschak, der an den jungen José Cura erinnert und der mit schier unendlicher Kraft seine Töne in jeder Lage gleich intensiv schmettert. So schlicht ist auch von der Regie her seine Figur umrissen, während der unglückliche Liebende in Gestalt von Jacques Imbrailo weit interessanter und problematischer ausfällt und auch gesanglich nichts schuldig bleibt.

Die treuen „Hirtenknaben“-Figuren, wie der junge Walter, sind halt arg klischiert, aber Ilona Revolskaya macht das sehr sympathisch (und nur in der tieferen Lage lässt die Stimme aus). Alastair Miles glaubt man als Wallys Vater die Tyrannei und die machtvolle Persönlichkeit (bei seiner bekannt trockenen Stimme). Sofia Vinnik kämpft um ihren Tenor (und muss darstellerisch ein bisschen übertreiben, wenn sie sich zuckend am Boden wälzt – aber sie glaubt eben, dass er tot ist), und Zoltán Nagy ergänzt im Rahmen der Dorfgemeinschaft, die mit dem Arnold Schoenberg Chor (geleitet von Erwin Ortner) wieder ideal besetzt ist.

Ideal kam einem auch vor, was aus dem Orchestergraben kam: Die Wiener Symphoniker spielten wieder einmal Oper, und sie taten es unter der Leitung von Andrés Orozco-Estrada vorzüglich, voll Nuancierungen, Schattierungen und starken Effekten.

Für das Leading Team verbeugten sich vier Damen und ein Herr und erhielten viel Beifall. Dennoch, wenn man denkt, wie frenetisch die Zustimmung im Theater an der Wien ausfallen kann, klang es höchstens wie ein mittlerer Erfolg. Hoffentlich spricht sich herum, dass die Aufführung und die Hauptdarstellerin es verdienen würden, stets ein so volles Haus vorzufinden, wie es bei der Premiere erfreulicherweise der Fall war. Immerhin wird die Aufführung – und sie verdient es – aufgezeichnet und am 23. Jänner nächsten Jahres in ORF III gesendet. Was nicht heißt, dass man das Live-Erlebnis schwänzen soll.

Renate Wagner

 

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