WIEN / Theater an der Wien:
LA CLEMENZA DI TITO von W.A. Mozart
Premiere: 17. Oktober 2019
Niemand hat je behauptet, dass der Umgang mit Mozarts „La clemenza di Tito“ einfach sei. Aus doppeltem Grund. Musikalisch war der Künstler, der mit Da Ponte zu einer völlig neuen Musiksprache gefunden hat (und dem gleichzeitig die „Zauberflöte“ durch den Kopf ging), zwecks einer imperialen Krönung vage zur Barockoper zurückgekehrt, was ihm nichts nützte: „Una porcheria tedesca“ nannte Kaiserin Maria Ludovica das Werk. Sie sieht so harmlos und blaß aus auf ihrem Gemälde im Kunsthistorischen Museum, hat sich aber damit die Abneigung aller Musikfreunde aller Zeiten zugezogen…
Und da war noch das Libretto – ein alter Metastasio, und so hoch man den Herren auch schätzen mochte, dessen Werke von vielen Komponisten immer und immer wieder vertont wurden, es ist doch das, was Mozart gewiß nicht lag: ein Römerdrama. Also genau das, was kein Regisseur unserer Tage auch nur mit der Feuerzange anfassen würde.
Auch der Brite Sam Brown nicht, der sich in der hauseigenen Theater an der Wien-Zeitung allerdings überschlägt vor Begeisterung, die tollste Musik, das tollste Libretto, außerdem sei er noch seit seiner Oxford-Zeit Spezialist für die römische Kaiserzeit. Er müsste bloß nicht, denn sie kommt nicht einmal andeutungsweise vor.
Alle Fotos: © Werner Kmetitsch
Nun könnte man Mord an einem Herrscher (aus welchen Gründen auch immer) durchaus gegenwärtig sehen, aber das absolut Einzige, was an diesem Abend an Heute erinnert, ist eine Guantanamo-Gefängniskluft für den nach dem Attentat festgenommenen Sesto. Der Rest? Ein abstrakter Raum, der gar nichts bedeutet, ein Wandelgang auf einer Drehbühne (oft in Bewegung), der von Leuchtstoffröhren begrenzt wird, durch Lichteffekte ein wenig, aber nicht sehr wandelbar ist und für den Zuschauer auf jeden Fall unangenehm, weil Gegenlicht das Geschehen auf der Bühne immer verschwimmen lässt.
Falls es dieses Geschehen gäbe. Aber in einer Dekoration, die nichts bedeutet, kann man schwerlich etwas inszenieren, da schiebt man nur die Sänger herum. Alle sind seltsam-undefinierbar gekleidet, vor allem die Männer in bedeutungslose Phantasiekostüme (Ausstattung: Alex Lowde) – ja, und die gelegentlichen Videoprojektionen (Tabea Rothfuchs) schaffen es, dass man gar nichts mit ihnen anfangen kann. Der Chor (der Arnold Schoenberg Chor, der so viel mehr kann, wie man weiß, muss diesmal nur herumstehen) ist Träger einer seltsamen, auch kaum nachvollziehbaren Regieidee: Gegen Ende sind die Damen schwanger. Achtung, die Herren, auch wenn es Kunstbäuche sind, auf die Sie ihre Hände legen, man könnte es ihnen als sexuelle Belästigung auslegen!
Was fängt man mit einem solchen Abend an, der auf einer Drehbühne nichts erzählt? Man verlässt sich auf die Sänger, setzt darauf, dass sie ohne Ablenkung vielleicht noch stärker wirken als sonst. Wenn schon keine „Clemenza di Tito“ als Stück herauskommt, vielleicht ein Sängerfest? Doch auch das nur bedingt, begleitet von einem Abend, der musikalisch durchaus den sperrigen Geist von Harnoncourt beschwört, mit dessen Concentus Musicus Wien unter dem erwählten Nachfolger Stefan Gottfried. Sie sind natürlich so am Werk, wie es der verstorbene Großmeister vorgegeben hat und was heute bei vielen Musikfreunden noch immer tiefe Ehrfurcht erzeugt.
David Hansen, Jeremy Ovenden
Die Sänger also. Hier gibt es also die konzeptionelle Neuigkeit, dass Männer wieder Männer sind: Sesto und Annio, bewährte Hosenrollen für Mezzosopranistinnen, werden hier mit Countertenören besetzt (bei der Uraufführung in Prag war der Interpret des Sesto ein Soprankastrat, Annio wurde von einer Sängerin verkörpert). Das ergibt für ein Publikum, das hier in der gegenwärtigen Operntradition weiche, schöne Frauenstimmen gewöhnt ist (Sesto war immerhin zuletzt eine Glanzrolle der Garanca, auch der DiDonato), durchaus ein neues Klangerlebnis. Zumal der australische Countertenor David Hansen nichts schuldig bleibt, um die Dramatik der Zentralfigur Sesto (potentieller Mörder wider Willen, zerrissen von seinem schlechten Gewissen, eine Achterbahnfahrt der Gefühle) in allen Nuancen zum Ausdruck zu bringen. Das geht in Wahnsinnshöhen mit im vollsten Wortsinn schmerzender Intensität, ist aber wirklich ein ungewöhnlicher Parforceakt. Da hört man niedergewalzt und dennoch bewundernd zu.
Annio ist die kleinere, lyrischere Rolle, und Kangmin Justin Kim singt sie mit leicht gehaltener, heller Stimme wunderschön, lässt nur an einigen dramatischen Ausbrüchen in seiner zweiten Arie ahnen, dass er den Sesto auch singen kann (und es anderswo schon getan hat).
Titelheld Titus, der im ersten Teil so wenig zu tun hat und erst gegen Ende der Oper zu sängerischen Seelenschmerzen auffahren darf, lag Jeremy Ovenden optimal in der Kehle, ein weicher, warmer, starker, schöner Tenor. Hingegen muss man sagen, dass der Baß von Jonathan Lemalu vor allem rau und holprig klingt.
Die liebliche der beiden Damen hat nicht viel zu tun, aber wo sie darf, erfüllt Mari Eriksmoen die Servilia mit quellklaren Tönen. Die eigentliche Hauptrolle der Oper ist Vitellia, und das Publikum feierte Nicole Chevalier in dieser Rolle – aber zurecht? Das ist eine große, aber flache Stimme, die in der Mittellage auslässt, auch sonst oft zum Krächzen neigt und in den Rezitativen gern zum Sprechgesang übergeht.
Die dramatischen Höhen werden so scharf und gnadenlos herausgestoßen wie möglich. Dazu spielt sie von Anfang bis zum Ende nuancenlos eine Furie. Nein, Hochdramatik kann besser klingen.
Aber zumindest gelang dem musikalischen Teil des Abends das, was der szenische schuldig blieb: ein wenig Feuer und Mozart’sche Überzeugungskraft zu entzünden. Starker Jubel mit hörbaren Buh-Rufen für das Leading Team.
Renate Wagner