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WIEN/ Theater an der Wien: IPHIGÉNIE EN AULIDE oder „Der Krieg beginnt im Kopf…“ Premiere

09.11.2012 | KRITIKEN, Oper

GLUCKS „IPHIGENIE EN AULIDE“ ODER AUCH DER KRIEG BEGINNT IM KOPF… (8.November 2012)

Am Beginn und am Ende ereignet sich große Oper – mit der idealen Konkordanz zwischen Musik von Christoph Willibald Gluck und einer modernen Deutung durch Allessandro di Marchi (Dirigent) und Torsten Fischer (Regie und Licht) bzw. Bühnenbild und Kostüme Vasilis Triantafillopoulos (Ausstattung). Dazwischen gibt es Längen, „gefährliche Längen“, penetrante Wiederholungen und manch trivialen zwanghaftes Fortsetzen des Aktualisierungsversuches eines alten Stoffes. Die Handlung darf auch im Internet-Zeitalter als bekannt vorausgesetzt werden. Der groß angekündigte Krieg zur Rückholung der schönen Helena aus Troja kann nicht starten, da Diana, die Göttin der Jagd und Keuschheit, schmollt. Nur wenn Agamemnon seine Tochter Iphigenie opfert, wird die Überfahrt der griechischen Flotte aus Aulis beginnen können.

Im Theater an der Wien hat Torsten Fischer mit Troja und der Ilias wenig am Busch. Es geht um Kriege von heute, um Aggression und Öllieferungen und um das große Waffen-Geschäft. Und im Mittelpunkt dieser für Paris 1774 geschriebenen Oper von Gluck steht Agamemnon, der die Opernfreunde vor allem durch Richard Strauss und seine vaterfixierte Elektra kennen. Auch ja, da gibt es ja auch noch die Iphigenie en Tauride – sie bringt das Ende der Story und das Ende von Orest und sie liefert einen wirklichen Ohrwurm – ähnlich wie die parallel zum Theater an der Wien an der Statsoper gespielte Oper Alceste (Divinitè du Styx). Also Gluck als Vorläufer der 2.Wiener Klassik – das muss für die Zeitgenossen wahrlich eine intellektuelle Herausforderung gewesen sein. In der aktuellen Serie (sie läuft noch bis 22.November) dauert die Oper samt Pause fast 3 Stunden – ohne all die Ballett-Einlagen, die gerade in Paris nicht fehlen durften. Die Übergänge zwischen Rezitativen und Arien, die allesamt keine barocken Verzierungen enthalten, sind fließend. Und es bedarf großer Persönlichkeiten, um dieses Konzept – es arbeitet oft mit Video-Großprojektionen (David Haneke) –zu erfüllen. Bo Skovhus, Wahlösterreicher aus Dänemark, ist ein ausgezeichneter Agamenon – ein Pragmatiker und Getriebener, der seinen eigenen politischen Tricks aufsitzt. Ein Vater, der „cool“ bleiben soll, wenn er seine Tochter hinschlachten muß. Die Stimme ist dünkler geworden, die Höhe sitzt nach wie vor und Beckmesser lässt grüßen… Ihm ebenbürtig ist Michelle Breedt als fast zu junge dramatische Clytemnestre und auch die griechische Sängerin Myrto Papantasiu läuft in der Titelrolle zu Höchstform auf. Ein dunkler Sopran, eine mediterrane Faszination und eine „Aussdruckssängerin“, wie sie in einer solchen Produktion einfach sein muss. Schwächer Paul Groves als Achille – die Gluck-Tessitur verlangt ihm zu viele Töne in der Stratosphäre ab. Von den Nebenrollen fällt am ehesten Pavel Kudinov als Rollstuhl-fahrender Kalchas auf. Dieser Oberpriester ist ein eiskalter Fanatiker – ein Großinqusitor von heute.

Bleiben die Wiener Symphoniker zu erwähnen, denen durch Alessandro di Marchi vor allem in der Ouvertüre und im Finale alles abverlangt werden. Und der Arnold – Schönberg-Chor (Leitung Erwin Ortner) – er avanciert immer öfter zum Haupt-Event- Und die beiden eindrucksvollen Szenen zu Beginn und am Ende sind jeweils auch vom Schönberg-Chor mit getragen: der Krieg beginnt eben auch nur im Kopf!

Peter Dusek

 

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