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WIEN / Theater an der Wien im Fernsehen: FIDELIO

21.03.2020 | KRITIKEN, Oper


Fotos: Theater an der Wien

WIEN / Theater an der Wien:
FIDELIO oder DIE EHELICHE LIEBE von Ludwig van Beethoven (1806)
Premiere als Fernsehaufzeichnung: 20. März 2020

Man muss die Hintergründe nicht erneut nachbeten, warum diese Premiere, auf die das Theater an der Wien so hoch setzte – der Regisseur ist ein „internationaler“ Österreicher und zweimaliger „Oscar“-Preisträger -, im Fernsehen stattfand. Wahrscheinlich will niemand mehr das Wort „Corona“ hören. Man fragt sich nur, wie Künstler, die nicht so überdimensional berühmt sind, zum Lohn ihrer Arbeit kommen…

„Fidelio“ ist die Katastrophe des Beethoven-Jahres, weil man von dem Genie einfach kein anderes Bühnenwerk besitzt. Drei Fassungen, die Erstfassung gab es als Unglückspremiere an der Staatsoper, ob die klassische, geliebte Letztfassung dort ab 22. April gespielt wird, wissen die Götter. Jedenfalls hat das Theater an der Wien nun auf die zweite Fassung aus dem Jahr 1806 gesetzt, einst erfolgreicher als die Erstfassung, aber nur zweimal gespielt, weil Beethoven sich mit dem Theaterdirektor zerkracht hatte. Da man Fidelio Nr. 1 gerade gesehen und Fidelio Nr. 3 ziemlich gut im Kopf hat, sollte man Fidelio Nr. 2 einigermaßen beurteilen können.

Wenn, ja wenn… man nicht damit okkupiert wäre, sich dauernd mit Treppen zu beschäftigen. Vielleicht haben die Kritiker Christoph Waltz zu seinem Opern-Debut, dem „Rosenkavalier“ in Antwerpen (im Dezember 2013), zu sehr geärgert. Da warf man ihm ein pastellfarbenes Bilderbuch vor und bemerkte, er sei doch nicht so gut wie Otto Schenk… Das sollte ihm nicht noch einmal passieren.

Dieser Vergleich ist nun schon aufgrund des Bühnenbilds von Barkow Leibinger nicht mehr möglich, das die Geschichte völlig ins Abstrakte schiebt, so dass keine reale Handlung unter Menschen, sondern nur noch ein Gleichnis möglich ist. Aber welches? In der Totale wirkt das Bühnenbild mit seinen kunstvoll geschwungenen Treppen (und den trickreich versteckten Auf- und Abtritts-Möglichkeiten) ein wenig wie ein Monster aus einem Science-Fiction-Film. Man kann darin natürlich auch eine surreale Variante von Dali-Ideen sehen. Judith Holste gibt mit Kostümen, die ausschließlich Variationen von Uniformjacken darstellen, auch keinen Hinweis, wo diese Inszenierung hin will. Was erzählt der Military Look? Für eine „politische“ Interpretation reicht er wahrlich nicht aus…

Treppen also, die nirgendwo hinführen. Die einschließen und begrenzen, statt Hindernisse überwinden. Metaphysisch? Aber sind diese Treppen auch ein Spielraum? Zu Beginn, noch vor der Ouvertüre, kollert jemand (es soll wohl Florestan sein) symbolträchtig die Treppen hinab. Dann setzt die Ouvertüre ein, wieder die „Leonore“. Und gleich von Anfang an hat man als versierter Opernfreund Mitleid mit Sängern, die die zusätzliche Anstrengung auf sich nehmen müssen, treppauf, treppab zu gehen und zu laufen… Und bald stellt sich heraus, dass die Inszenierung nur daraus besteht – aus formalistischen Bildern ohne tiefere Bedeutung.

Denn im Grunde ist Christoph Waltz gänzlich einfallslos vorgegangen. Er lässt Sänger und Chor herumstehen, was man manchmal schätzt, wenn sich die Musik solcherart störungsfrei entfalten kann. Lieber als der Holler, den sich Frau Amélie Niermeyer für Fidelio Nr. 1 an der Staatsoper ausgedacht hat, ist einem das allemale, denn man ärgert sich nicht dauernd. Andererseits wird man ein Gefühl der Leere nicht los… auch wenn die Logistik stimmt, wie die Bühne gefüllt und entleert wird. Aber das ist ja wohl das Mindeste, was man verlangen kann?

Eine (rauchende) Marzelline (Mélissa Petit) singt ihre erste Arie mit geringen Veränderngen zur Endfassung, aber man merkt im Laufe des Abends schon sehr stark, dass Fidelio Nr. 2 dem Vorgänger weit ähnlicher ist als dem definitiv gelungenen Fidelio Nr. 3. Auch hier findet sich noch das Duett Marzelline-Leonore, das so verzichtbar ist, wie überhaupt die Familiengeschichte im Hause Rocco eine Spur breiter angelegt scheint (während Jacquino in der Endfassung, mit Ausnahme der Anfangsszene, in Bedeutungslosigkeit versinkt). Wenn Marzelline und Jacquino (Benjamin Hulett) sich richtig bösartig anfahren, könnte man meinen, hier sei in der Personenführung etwas geschehen, aber nein, es bleibt nicht so. Der brave Rocco (Christof Fischesser) ist so brav und konturlos, wie er nicht sein müsste, und Leonore (Nicole Chevalier), mit einer geradezu sündig-hässlichen Frisur verunstaltet, steht einfach hilflos herum. Pizarro (Gábor Bretz) stakst gänzlich ausdruckslos durch die Gegend, Florestan (Eric Cutler) hat etwas mehr Text als sonst, um sein Leben zu kämpfen. Den Don Fernando (Károly Szemerédy) am Ende hat man Mühe zu bemerken.

Der Regisseur, der die Dialoge einerseits stark gestrichen, andererseits verändert hat, hat die Tatsache, dass er seine Geschichte im luftleeren Niemandsland bzw. im Treppenland erzählt, auch als Vorwand genommen, gar keine dramaturgischen Fäden zu knüpfen – Motto: Es kennt ohnedies jeder die Geschichte. Also braucht es weder Erklärungen noch Zusammenhänge. Macht alle schön Musik, das reicht schon.

Und das geht ja auch – Manfred Honeck am Pult der Wiener Symphoniker tut es sorgfältig-liebevoll, gibt dem Werk immer wieder sein inneres dramatisches Drängen, aber niemand wird an diesem Abend (auch nicht der wie immer tadellose Arnold Schoenberg Chor) dem Publikum das Herz im Leib umdrehen und Tränen entlocken, wie es etwa Bernstein gelungen ist…

Ein bisschen mag es auch an der schaumgebremsten Sängerschar liegen – es ist wahrlich kein Abend schöner Stimmen, zwei schlank-lyrische Damen mit Höhenschärfe und wenig Resonanz (ja, als Leonore ist man bald überfordert), kein Tenor, dessen Stimme zum Herzen dringt, ein knochentrockener Bösewicht und gar kein stimmlich süffiger Baß. Die Wiener haben ihren „Fidelio“ auch gern prachtvoll gesungen, aber dafür war das Theater an der Wien ja kaum je das Haus – da ersetzt man im allgemeinen Wohlklang durch interessante Akzente. Diesmal war es mit beidem nicht so weit her.

Am Ende tauchte der Regisseur die Szene, die bis dahin wenig Lichtspiele kannte (außer die unvermeidliche Dunkelheit rund um Florestan), in gleißendes Licht. Das sollte wohl das Happyend andeuten, das man emotional nicht miterlebt hat… Dann ist Dunkelheit, danach stehen alle auf der Bühne, und weil sonst niemand klatscht, applaudieren sie sich selbst. Der Regisseur fällt dem Dirigenten um den Hals, was er sicherlich nicht hätte tun sollen. Und der „Corona-Fidelio“ war keinesfalls das Erlebnis, das sich das Theater an der Wien erhoffte, als man einen großen Namen engagierte…

Renate Wagner

 

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