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WIEN / Theater an der Wien: HAMLET

15.09.2016 | KRITIKEN, Oper

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WIEN / Theater an der Wien:
HAMLET von Anno Schreier
Auftragswerk und Neuproduktion des Theater an der Wien
Uraufführung
Premiere: 14. September 2016

Wir schreiben ein Shakespeare-Jahr, und zwar ein ganz, ganz rundes: 1616, vor 400 Jahren, starb der „Schwan von Stratford on Avon“, wie’s in „Kiss me Kate“ („Schlag nach bei Shakespeare“) so schön heißt. Die Theater tun sich angesichts seiner 38 Stücke mit dem „feiern“ leichter als die Opernbühnen. Obzwar der ewige Hinweis, es gäbe so wenige erfolgreiche Shakespeare-Vertonungen nicht ganz stimmt – außer Verdis „Macbeth“(gibt es auch von Ernest Bloch), „Othello“ (den gibt’s auch von Rossini), „Falstaff“ (die Salieri-Version spielt das Theater an der Wien als nächste Premiere) haben wir Gounods „Romeo und Julia“ (und von Bellini auch), Brittens „Sommernachtstraum“, seit einiger Zeit den „Tempest“ von Aden, Reimanns „Lear“ ist fast schon ein Klassiker der Moderne, Nicolais „Lustige Weiber von Windsor“ sind alles andere als schlecht, Glyndebourne hat im Sommer „Beatrice et Benedict“ von Berlioz gespielt, und auch der „Hamlet“ von Ambroise Thomas hat es zu einiger Bekanntheit gebracht (und in Bregenz hat man im Sommer einen weiteren „Hamlet“ aufgestöbert) – von vielen Werken, deren Komponisten in der zweiten und dritten Reihe stehen, ganz zu schweigen.

Das soll nun wahrlich nicht bedeuten, dass man keine weiteren Shakespeare-Opern schreiben soll, im Gegenteil: Es ehrt Roland Geyer und das Theater an der Wien, dass man zum Shakespeare-Jahr einen neuen „Hamlet“ bestellt hat, wenn auch das, was Autor Thomas Jonigk geschaffen hat, von Shakespeare nur die wichtigsten Figuren der „Familie“ übernimmt und sich im übrigen auf Shakespeares eigene Quellen (die „Historia Danica“ des dänischen Geschichtsschreibers Saxo Grammaticus und die „Histoires tragiques“ des Francois de Belleforest) bezog: Da keiner von uns das nachkontrollieren wird, müssen wir es glauben und tun es gerne.

Es bleibt also die „Familienaufstellung“ – das Modewort ist unumgänglich: Hamlet, der hier vor allem schlecht gelaunte Sohn (zu den essentiellen Shakespeare-Fragen ist Jonigk, möglicherweise absichtlich, nicht vorgedrungen), die Mutter, die zwar den Schwager und Mörder des ersten Gatten geheiratet hat (und hier auch schon von ihm schwanger ist), aber ihrem Sohn Hamlet mit absolut eindeutiger inzestuöser, besitzergreifender Gier nachstellt. Die Ophelia, die sie ihm zuführt (um danach von Eifersucht gebeutelt zu werden), ist hier nicht edlen Geschlechts, sondern eine professionelle Prostituierte, mit der sich schon Claudius und auch Hamlet-Vater vergnügt haben. Beide Herren, letzterer als sehr lebendiger „Geist“, kommen gleichfalls vor, dazu noch ein protestantischer Pastor.

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Bo Skovhus, Jochen Kowalski (Alle Fotos: Theater an der Wien / Monika Rittershaus)

Alle anderen Wichtigen (von Polonius bis Horatio, von Rosencranz bis Laertes, von Güldenstern bis zu den Schauspielern und Totengräbern) fehlen, so sind die Familienmitglieder – zumal eingesperrt in ein typisches Zimmer, wie es bei einer Loy-Inszenierung nicht fehlen darf – dazu verurteilt, sich gegenseitig zu quälen. Bis in diesem Fall Claudius so aktiv wird, dass er Ophelia und später auch Hamlet umbringt. Macht nichts, Gertrude wird schon wieder einen Sohn bekommen, den nennen wir dann wieder Hamlet. Der Rest ist natürlich Schweigen, wobei erwähnt werden muss, dass Jonigk seine Figuren davor mit höchst heutiger Alltagssprache ausgestattet hat.

Das Libretto ist nicht unbedingt der stärkste Teil des Opernabends, weil auch ein Chor (zu Beginn und am Ende – warum eigentlich? – „historisch“ gewandet, dann im Straßenkostüm) nicht viel mehr mitbringt, als gelegentliche Reflexion. Schön das erschütterte „Ahhhh“, das sie zu singen haben, wenn sie der Ermordung Hamlets durch Claudius zusehen. Aber wirklich Leben bringen sie nicht in die Bude.

Die kommt von der Musik. Der erst 37jährige Deutsche Anno Schreier, schon mit einigen Opernwerken erfolgreich, ist mutig genug (man kann es nicht anders nennen), seine Musik nicht vom Publikum weg in eine esoterische Moderne hineinzureiten, die keiner hören will. Im Gegenteil. Nicht nur, dass die vielen Leidenschaften, die er hier komponiert, den Sängern äußerst singbar entgegenkommen, das Publikum bekommt berauschende Orchesterfarben (mit vielen „Spielereien“ der Soloinstrumente), drängende Dramatik und ein reiches Spektrum an durchaus „schildernden“ Gefühlsebenen, ohne dass billige Kinomusik daraus würde. Ein Komponist von heute weiß natürlich, was er damit riskiert, das „Gefälligkeits“-Vokabel hat man ihm sicher schon um die Ohren geknallt. Aber Tatsache ist, dass Schreier etwas von der vibrierenden Lebendigkeit versteht, die dem Genre Oper gut tut, und dass er dort, wo das Libretto flach ist, zumindest von musikalischer Seite her Spannung einbringt.

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Ohne Zimmer geht es nicht…

Johannes Leiacker hat, wie schon erwähnt, ein Zimmer für Regisseur Christof Loy gebaut, diesmal nur schlicht mit zwei Wänden und Blümchentapete, da wundert man sich nicht, wenn ein Geschehen in so trübem Ambiente auch nicht sonderlich aufregend wirkt (man würde das Ganze gern einmal in einer temperamentvolleren Inszenierung erleben).

Aber die Sänger bringen es, und da hat Roland Geyer für diese Uraufführung wirklich optimal besetzt.

Marlis Petersen als Gertrude (entweder im weißen Hochzeitskleid oder in weiß-seidenen Dessous) hat keine Mühe, die Bühne und das Geschehen zu beherrschen – diese auf den Sohn lüsterne, von dunklen Emotionen getriebene, mehrfach zu Mord aufrufende Königin geht wahrlich unter die Haut. Und Marlis Petersen ist am besten, wenn man sie stimmlich und darstellerisch bis zum Exzess fordert.

Aber man muss zugeben, dass die zweite Dame des Abends, die Deutsche Theresa Kronthaler, sich ihren Teil der Wirkung (bei einer nicht ganz so starken Rolle) holt. Sie ist eine tolle Bühnenerscheinung mit einem leuchtenden Mezzo, die das Schicksal von Ophelia als Hure (von der Selbstsicherheit bis zur blanken Verzweiflung) ganz stark in den Griff bekommt.

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Theresa Kronthaler, Andrè Schuen / Marlis Petersen

Prinz Hamlet, mit Jeans, weißem T-Shirt und japanischer Knoten-Frisur (nur für seinen Tod schmeißt er sich am Ende in den dunklen Anzug), liegt Andrè Schuen prächtig in der Kehle. Als Figur muss er etwas ziellos herumrasen, aber vor allem stimmlich ist der Südtiroler mit seinem markigen Bariton dabei, alle Hoffnungen einzulösen, die Nikolaus Harnoncourt in ihn gesetzt hat.

Noch drei Herren stehen in großen Rollen auf der Bühne, wobei Bo Skovhus als Claudius mit dem geradlinigen Bösewicht die am wenigsten ergiebige Karte gezogen hat. Warum der komisch angelegte Pastor mit Kurt Streit besetzt ist, konnte man sich lange nicht vorstellen (es sah einfach nach Verschwendung aus), bis ihm nach der Pause Teile des Textes von „Sein oder Nichtsein“ in die Kehle gelegt wurde, parodistisch natürlich, nebenbei damit beschäftigt, Torte zu essen, damit es nicht zu bedeutungsschwer wird. Das, was Shakespeares Hamlet ausmacht, war hier, wie erwähnt, ja ohnedies nicht geplant.

Und da ist noch ein höchst lebendiger Geist von Hamlets Vater, für einen Ermordeten ziemlich guter Laune: Das bot ein Wiedersehen mit Jochen Kowalski, der in einer Sprechrolle immer wieder als eine Art ironischer Conferencier fungierte (nur ein einziges Mal durfte er einen Counter-Quietscher los lassen, und da würde man nicht darauf schwören, dass er sich den nicht einfach eingelegt hat…). Seine Figur war auch dahin angelegt, die Phrasen, die so über die Welt gegossen und gedroschen werden, hinzuschmalzen.

Michael Boder und das ORF Radio-Symphonieorchester Wien sowie der immer so kompetente Arnold Schoenberg Chor (geleitet von Erwin Ortner) schienen die Musik regelrecht zu genießen und führten diesen Abend in einen geradezu stürmischen Uraufführungserfolg. Verdient, keine Frage – Gott, ist man dankbar, wenn einem von der Bühne her nicht gleich mit dem nackten Hintern ins Gesicht gefahren wird. Dass Shakespeare immer noch ein bißl größer ist als alle, die hinter ihm herdichten, herkomponieren, herinszenieren, liegt in der Natur der Sache. Ein gelungener Opernabend war es dennoch.

Nebenbei bemerkt: Ausstatter Johannes Leiacker trug beim Verbeugen zum Schlabber-Look grellrote Turnschuhe. Na, es geht ja! Vielleicht kann er seine Ausstattungen irgendwann einmal etwas farbiger und weniger einförmig gestalten, was auch den Inszenierungen von Christof Loy gut täte… Aber das, wie gesagt, nur nebenbei.

Renate Wagner

 

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