Fotos: © Monika Rittershaus
WIEN / Theater an der Wien:
HALKA von Stanislaw Moniuszko
Premiere: 15. Dezember 2019,
besucht wurde die zweite Vorstellung am 17. Dezember 2019
Es gab Zeiten, da blühte der Nationalismus nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa, und die Völker der Habsburger-Monarchie zogen sich auf ihre Identität zurück. Man komponierte Opern im nationalen Stil, die Böhmen (Smetana, Dvorak, Weinberger), die Ungarn (Kodaly), die Polen (Moniuszko). Thematisch wählte man Motive aus der eigenen Geschichte, der Folklore, den Märchen, dem Volksleben.
„Halka“ von Stanislaw Moniuszko aus dem Jahr 1858 ist ein klassisches Beispiel dafür. Eine „polnische“ Nationaloper, auch wenn das Theater an der Wien erklärt, dass sich Moniuszko (1819-1872) dabei musikalisch nicht nur polnischer, sondern auch litauischer, ukrainischer und weißrussischer Einflüsse bediente. Und europäischer, möchte man hinzufügen – man hört das „Slawische“ zwar, aber ebenso die Tradition des Opernschaffens zwischen Deutschland und Italien.
Zweifellos bedeutend für den Erfolg der „Halka“ war, dass das Libretto von Wlodzimierz Wolski eine klassische Situation nachzeichnete – nicht nur für Polen, sondern überall in der Welt. Es ist die Geschichte des einfachen Mädchens (wir würden sagen: der machtlosen Frau), die von einem reichen, mächtigen Mann (der seinerseits natürlich reich heiratet) missbraucht und fallen gelassen wird. Aber auch der arme Mann, der sie liebt, fängt die Frau mit dem unehelichen Kind, die ihren Verführer unerschütterlich liebt, nicht auf. Wie alle ledigen Mütter, die in den Tod gehen (das Kind stirbt meist auch, gewollt oder ungewollt), zahlt sie die Rechnung, während die Männer nie zur Kasse gebeten werden. Das soziale Unrecht, das durch alle Zeiten geht und, verbunden mit starker Musik, immer seine ergreifenden Momente hat, wirkt immer.
Das Theater an der Wien ging eine Koproduktion mit dem Teatr Wielki Warschau ein und ließ ein polnisches Team arbeiten. Nun ist das Regietheater mittlerweile auch in den Osten gelangt. Warum eine Handlung stärker, überzeugender und uns näher wirken soll, wenn es nicht um den Edelmann, den Leibeigenen und das Bauernmädchen geht, sondern um einen Playboy, einen Kellner und ein Stubenmädchen? Da muss in Interviews wieder Erklärungs-Akrobatik stattfinden. Sicher, „Menschen im Hotel“ auf der Opernbühne hat schon funktioniert, man denke, wie geschickt an diesem Haus Keith Warner den „Don Giovanni“ dort geparkt hat. Aber das heißt nicht, dass es immer gelingen muss.
Hier ist das Hotel ein hässlicher, „offener“ Bau aus der Kommunistenzeit (Bühne: Boris Kudlicka), die Kostüme mit Ausnahme ganz weniger Farbpunkte in Schwarz-Weiß (Dorothée Roqueplo), das Ganze hektisch beleuchtet, unruhig. Vom Original der Geschichte erzählt sich da nichts, immerhin kommt der Missbrauch der Frau stark zum Ausdruck. Wenn – was oft geschieht – die Natur besungen wird, ist man ganz weit vom Stück entfernt.
Im Grunde hat Regisseur Mariusz Trelinski wenig mehr getan, als die Drehbühne ununterbrochen in Bewegung zu halten, den Chor, wenn nötig, darauf zu arrangieren, irgendwelche Szenen zu „verdichten“, wenn es zu Auseinandersetzungen der Protagonisten kommt, was dennoch nicht sonderlich spannend ausfällt auch nicht dadurch, dass manches traumspielartig gemeint sein soll, Das Grau in Grau drückt sich schwer auf die Stimmung.
Lukasz Borowicz am Pult des ORF Radio-Symphonieorchester Wien sorgt vielleicht nicht für Feinheiten, aber für eine Art „dicker“ Dramatik, der Arnold Schönberg Chor (von den Bauernleuten des Original-Librettos großteils zum Hotelpersonal geworden) tut, was man ihm sagt, und kann es, wie immer.
Dass alle „Halka“-Vorstellungen ausverkauft sind, liegt an einer Besetzung, wie sie das Theater an der Wien nicht alle Tage bietet, aus finanziellen Gründen nicht bieten kann und aus konzeptionellen Gründen nicht bieten will. Hier allerdings findet höchstes Startheater statt, weil es für zwei polnische Sänger offenbar Bedürfnis und Ehrensache war, hier mitzuwirken. Herren mit mächtigen Stimmen, die im kleineren Theater noch größer wirken als in der Staatsoper, die sich mit voller Intensität ins polnische Melos hineinknien.
So überzeugend wie als Jontek, der arme Liebhaber, hat man Piotr Beczala selten gehört, Schmelz, Intensität, Strahlkraft, prachtvolle Bögen. Und ein verwirrt-unglücklicher Mann, wie es sein Schicksal hier will. Und auch Tomasz Konieczny hat mit dem Janusz eine Charakterrolle gefunden, die er nicht nur mit seiner hier bestens passenden, großen Stimme hervorragend bewältigt, er spielt auch Gewissensbisse und Rücksichtslosigkeit, alle Widersprüche der Figur bemerkenswert überzeugend.
Leider kann die Titelheldin in Gestalt der amerikanischen Sopranistin Corinne Winter nicht mithalten. Für die Halka, zumal ihren ergreifenden Schlußgesang mit ihrem toten Kind, würde man eine warme Stimme brauchen – von der Sängerin bekommt man den ganzen Abend hindurch harte, durchdringende Töne. Dass sie mit katatonischer Starre ein heutiges Mißbrauchsopfer glaubhaft macht (wenngleich es sich bei ihr ja um besessene Liebe handelt), ist eindrucksvoll, aber nicht ausreichend. Der Rest der Besetzung – zwei Polen, ein Russe, ein Serbe – sind stilistisch oft sicherer als stimmlich zufriedenstellend.
Das Publikum reagierte während der Vorstellung nur auf Beczalas Arien mit Beifall, klatschte aber am Ende sehr herzlich.
Renate Wagner
Die Online-Klassikplattform „fidelio“ streamt Halka am 19. Dezember 2019 ab 19 Uhr live aus dem Theater an der Wien. www.myfidelio.at
Der ORF sendet Halka am 21. Dezember 2019 um 19.30 Uhr im Programm Ö1.
ORF III zeigt Halka in der Reihe „Erlebnis Bühne mit Barbara Rett“ am 12. Jänner 2020 um 21.30 Uhr.