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WIEN / Theater an der Wien: GIULIO CESARE IN EGITTO

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Fotos: Monika Rittershaus

WIEN / Theater an der Wien: 
GIULIO CESARE IN EGITTO von Georg Friedrich Händel
Premiere: 17. Dezember 2021 

Georg Friedrich Händels „Caesar in Ägypten“ stand am Beginn der Ära von Roland Geyer, und er findet sich nun wieder am Ende. Das wahre Inszenierungsglück mit dieser zugegeben sehr komplexen und schwierigen Oper hatte man weder einst noch heute. Hat Christof Loy die Sänger im April 2007 in Alltagskleidung über die leere Bühne geschickt und fast eine konzertante Aufführung geboten, so hat Keith Warner nun optisch und ideologisch alles vollgerümpelt, ohne damit größere Überzeugungskraft zu erzielen.

Beide Regisseure sind groß darin, in langen Gesprächen im Programmheft ihre Überlegungen und Konzepte darzubieten. Hat man sich durch Warners Wortspenden durchgebissen, weiß man nur eines: Mit dem, was man auf der Bühne sah, hat all das nichts zu tun.

Im Hintergrund der Bühne – eine Bühne, ein Kinoportal, und darin spielt der schwarzweiße Stummfilm von Caesar und Cleopatra. Nun hat diese Idee von Theater auf dem Theater (bzw. Kino auf dem Theater) immer wieder einmal funktioniert und eine reflektierende Ebene in eine Inszenierung eingezogen. Aber in diesem Fall nützt der Regisseur die Möglichkeiten, hier filmisch zuzuspielen, so gut wie nicht (erst am Ende werden die Anfangssequenzen wiederholt) – einmal Cleopatra in der Wüste, einmal Caesar im Wasser (es ist berühmt, wie er sich mit seinen Schwimmkünsten aus dem Hafen von Alexandria, wo man ihn ertränken wollte, rettete), einmal das Begräbnis  von Pompejus, das ist schon alles.

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Seltsam auch, dass dieses Bühnenbild von Ausstatter Ashley Martin-Davis, das in der ersten Hälfte gänzlich unbewegt bleibt, sich in der zweiten zu drehen beginnt und mit komplizierten Strukturen Kriegsschauplätze aufzeigt, die auch nur Plunder sind und natürlich nichts bedeuten.

Die Kostüme sind heutig, und wenn man sich nun – wie es stark den Anschein hat –  im Vorführraum der Filmcrew befindet, müssten die Darsteller eigentlich ihre Rollen „proben“. Aber auch das findet nicht statt, sie zwängen sich zwischen den Sesseln durch und singen ihre Arien. Wer sind sie eigentlich in dieser Inszenierung?

Ein Problem ist natürlich die Vielschichtigkeit der Geschichte. Nicht nur, dass es neben Caesar, Cleopatra und ihrem „bösen“ Bruder Tolomeo noch die Geschichte von Cornelia und ihrem Sohn Sesto gibt: Sie ist die Witwe des Pompejus (der hier von Zeit zu Zeit wie ein Geist über die Bühne schleicht), und gleich zu Beginn bekommt Caesar (das ist historisch!) von Tolomeo das abgeschlagene Haupt des Pompejus, der schließlich sein Feind war, überreicht. Nicht lustig, auch nicht, wenn Sesto in einer Szene regelrecht gefoltert wird.

Aber bis es nach der Pause dann in Kriegshandlungen legitim hässlich wird, bedient Keith Warner sozusagen über Gebühr die humoristischen Seiten des Stücks, holt die Posse hervor, wo es geht, und bringt den Zwiespalt nicht auf einen Nenner. Abgesehen davon, dass im Handlungsverlauf jede Stringenz und Logik fehlen. Kein Glücksfall.

Der begibt sich dafür in der Besetzung der Titelrolle mit dem Counter Bejun Mehta (er schafft es auch, nicht „schneidend“, sondern angenehm-faszinierend zu klingen). Zwar spielt er den Caesar die längste Zeit als Komiker, aber was er mit seiner Stimme macht, ist hinreißend. Händel hat ihm Unfassliches zu singen gegeben, ein Virtuosenstück jagt das andere, und er genießt es, zelebriert es, was da an Koloraturen, Trillern, Sprüngen aus seiner Kehle kommt. Darum ist es ja anno 1724 in London gegangen – abgesehen von Ausstattung und Bühneneffekten.

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Weniger glücklich fiel die Besetzung der Cleopatra aus. Gewiß, Louise Alder ist attraktiv, hat eine gute Figur, ist turnerisch begabt (immerhin klettert sie über eine schätzungsweise zweieinhalb Meter hohe Gitterwand), und sie kommt auch mit den Koloraturen der Partie zurecht. Aber ihre Stimme ist alles andere als schön, und ihre Persönlichkeit signalisiert ein nettes Frauchen, was Cleopatra bestimmt nicht ist. Da braucht es ein anderes Kaliber.

Besser kam die zweite Dame des Abends mit ihrer Rolle zurecht: Patricia Bardon, die man noch als Agrippina 2016 in Robert Carsens Meisterinszenierung in Erinnerung hat, bediente die Tragik (hie und da mit Komik durchwoben) der Pompejus-Witwe eindrucksvoll, gleicherweise mit Mezzo und Persönlichkeit.

Die zweitstärkste Leistung des Abends kam vom zweiten Counter des Abends: Jake Arditti als Pompejus-Sohn Sesto spielte alle Stückeln, variabel in Erscheinung, Persönlichkeitsfacetten und Stimme. Der dritte Counter war Christophe Dumaux, der wie schon in der  Aufführung von 2007 den Tolomeo sang, mit speckigem Langhaar ein echt abgerissener Typ von heute, der mit den Kollegen mithielt. Wie auch der vierte Counter, Konstantin Derri, in der wenn auch kleinen Rolle des Nireno. Daneben durfte der Bassbariton Simon Bailey als Offizier als einziger wie ein Mann klingen, und das nützte er mit Stimmkraft aus.

Dass Ivor Bolton und der Concentus Musicus Wien Fachleute auf ihrem Gebiet sind, steht fest, ihnen ist die Schieflage des Abends nicht zuzuschreiben. Wobei die Stimmung dieser Premiere generell seltsam trübe war, alles mutete irgendwie schwunglos an. Der Beifall des Publikums tröpfelte nach einzelnen Arien bescheiden, nach manchen gar nicht. Es schien, als wäre die Voraufführung (von der man Gutes gehört hat) die „Premiere“ gewesen und die offizielle Premiere litte unter dem „Durchhänger“ der zweiten Vorstellung.

Es gab zwei Verbeugungs-Durchläufe, dann war es zu Ende. Das Leading Team zeigte sich nicht. Möglicherweise hat man geahnt, dass es nicht nur Zustimmung für die seltsam zerfaserte Inszenierung geben würde. Oder waren sie alle schon abgereist?

Renate Wagner

 

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