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WIEN / Theater an der Wien: FIDELIO

17.03.2013 | Allgemein, Oper


Alle Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Theater an der Wien:
FIDELIO von Ludwig van Beethoven
Premiere: 17. März 2013

Gegen Ende der Ouvertüre stehen sechs nackte Männer auf der Bühne. Gefangene. Und wenn man sich dann bei Marzelline befindet, wähnt man sich zuerst im Führer-Hauptquartier. Zwar gibt es keine Nazi-Embleme, aber Herbert Föttinger beschwört für seine „Fidelio“-Inszenierung im Theater an der Wien eindeutig eine Welt faschistischer Terrorherrschaft. Das ist natürlich für dieses Stück nicht ganz falsch und funktioniert auch eine zeitlang – aber nicht gänzlich, nicht konsequent genug und vor allem am Ende gar nicht mehr.

Die Bühnenbilder stammen noch von dem mittlerweile verstorbenen Rolf Langenfass, wobei der „Büroraum“ des Beginns am genauesten aussagt, wo die Inszenierung hin will, und der Gefängnishof die übliche Lösung bietet, während im zweiten Teil des Abends allerseits die Ideen ausgehen, kein Kerker, nur ein leerer Raum, keine wirkliche Schlussszene, nur ein paar Notenständer (die hatte doch zuletzt Flimm für den „Titus“ an der Staatsoper?). Immerhin, im „Büro“ muss Marzelline nicht bügeln und Jaquino kokett abwehren, sie ist in strammer Uniform (glücklicherweise fallen Kostüme bei Birgit Hutter immer geschmackvoll aus) offenbar die eher unliebenswürdige Sekretärin von Papa Rocco, der hier kein halb „gemütlicher“ Kerkermeister ist, sondern schon ein ziemlicher Gestapo-Scherge. Die Dramaturgie des Abends (und wohl auch der Regisseur) hat ein bisschen umgedichtet, einiges sparsam hinzugefügt (darunter bezeichnenderweise für Rocco, er erfülle nur seine Pflicht…!), ein paar von den Lieblings-Stilblüten der deutschen Opernwelt gestrichen („Wie kalt ist es in diesem unterirdischen Gewölbe!“ – „Das ist natürlich, es ist ja tief.“). Das ist so weit in Ordnung.

Vielleicht ist ein Schauspiel-Regisseur wie Föttinger verführt (und er gibt dem nach), hier überzuinszenieren – versteckt sich Marzelline anfangs Jaquino gegenüber (in Uniform gehört er auch zu den „bösen“ Soldaten) hinter ihren Akten, so tanzt sie im Gedanken an Fidelio gleich am Schreibtisch herum und stupst die Akten auf den Boden, was einfach nur künstlich wirkt. Bei „Es ist so wunderbar“ regnet Schnee (na, weiße Schnipsel) herab, um in der Welt der Bösen plötzlich etwas wie „Poesie“ zu beschwören, und wenn Rocco das Gold besingt, holt er ein Geldbündel aus einem Kuvert – aber wenn ihm so viel daran liegt, ist es ausgeschlossen, dass er es in der Luft herumschmeißt, das ist ein klassischer Theatergag, und ein übler noch dazu. Aber Rocco hat ja auch noch ein Kistchen mit Goldschmuck, wie ihn die Nazis den Juden gestohlen haben, und man befindet sich ganz eindeutig in dieser Welt…

Da könnte das Wachpersonal allerdings etwas zackiger ausfallen (sogar bei Otto Schenk wird da so martialisch marschiert, wie es auch die Musik vorsieht, hier schlendern die gefährlichen Herren eher), während andere Details wieder überzeugen – dass der Erste Gefangene (Andrew Owens), der von Gott singt, einen Priesterkragen trägt, leuchtet ein. Auch dass Pizarro angesichts des Hofganges der Gefangenen auszuckt und sogar Rocco mit der Pistole bedrohen lässt (auch Jacquino legt an!!!) – vor dem Terror der Gewalt ist in diesen Systemen keiner sicher. Und dass man einem Gefangenen die Kapuze überstülpt und ihn an den Händen aufhängt – ja, das kann jedes verbrecherische System. Kurz, mit etwas Konsequenz – die hier leider fehlt – könnte man das Leonore / Florestan-Schicksal in solchem Ambiente schon durchziehen. Dann aber bitte bis zum Ende – aber da warf Föttinger das Handtuch. Er kann geltend machen, dass es in dieser Welt kein Happyend geben kann, aber es steht nun einmal im Stück, also sollte man sich dazu etwas einfallen lassen.

Doch mit „Heil sei dem Tag“ (keine Leonoren-Ouvertüre zwischen Gefängnisakt und Finale) beginnt ein anderes Stück. Don Fernando trägt die Beethoven-Frisur und ein Beethoven-Wams und singt aus einem Beethoven-Klavierauszug, die Darsteller erscheinen im „kleinen Schwarzen“ und Abendanzug, alles, was nun geschieht, wird starr hinter Notenständern geboten, auch wenn sie an die Rampe treten, müssen alle wie die Ölgötzen dastehen und frontal ins Publikum singen. Eine Armutserklärung, die sich als Konzept ausgibt – so ist diese Inszenierung am Ende ein Entwurf geblieben.

Nikolaus Harnoncourt stürzt jene Opernfreunde, die ihm nicht verfallen sind (auch die gibt es), teils in die blanke Verzweiflung, teils in den unauflöslichen Zwiespalt. Schon die ersten Töne, die vom Concentus Musicus Wien erklingen, sind Harnoncourt pur, schroff und hart und unfreundlich, und er schafft es auch immer wieder, das Orchester schlechtweg wie „falsch“ klingen zu lassen. Kurz, in dieser Nazi-Welt darf es den großen Meister nicht „romantisch“ geben (wie wir ihn ja am liebsten hören), nicht hymnisch, nicht beschwingt (auch das ist er), nicht dramatisch und emphatisch, dafür mit verstörenden Generalpausen und langsamen Tempi, dass man es kaum für möglich hält. Und doch – dann funktionieren vor allem Ensemble-Szenen mit einer Spannung, die man auch kaum glauben möchte, und der alternative Beethoven hat seine Tücken und Schönheiten zugleich.

Vor allem aber hat Harnoncourt möglich gemacht, was in keiner konventionellen Inszenierung klappen würde, dass Pamina und Tamino, sprich Juliane Banse und Michael Schade, Leonore und Florestan singen können, wenn auch mit einigen Verlusten. Vor allem Michael Schade wird von Harnoncourt in einer Weise geschont, dass von der heldentenoralen Rolle so gut wie nichts übrig bleibt. Er darf Piani hauchen statt zu schmettern wie vorgesehen, darf passagenweise wie ein Liedinterpret agieren statt wie ein Opernsänger, muss nie die volle Stimme geben – vielleicht in den allerletzten Minuten, wo Harnoncourt seinen schaumgebremsten Beethoven (in Hinblick auf den Schlussapplaus wohl) hochreißt – aber da ist es zu spät.

Juliane Banse muss viel mehr leisten, wenn auch nicht alles, und man hört stellenweise, wie schwer ihr die große Arie rein von den Übergängen und der Gesangslinie her wird (aber das ist auch schon hochdramatischen Kolleginnen passiert). Doch auch sie muss nie wirklich losbrettern – das heißt, dass sich die „namenlose Freude“ (Bernstein hat uns damit einst weinen gemacht! Aber er hatte Sänger, die das auch wirklich singen konnten) natürlich nicht einstellt, wenn sie nicht wirklich aus voller Seele gejubelt wird. Im Grunde heißt das, Beethoven missverstehen – denn um diese Erlösung ist es ihm ja eigentlich gegangen…

Michael Schade hat kräftig abgenommen, aber ein ausgemergelter Gefangener ist er nicht geworden und auch kein besonderer Darsteller der Rolle, während die Banse mit traurigem kleinen Clownsgesicht das Schicksal der Leonore wirklich berührend gestaltet. (Föttinger lässt sie übrigens ganz frontal und handgreiflich mit Marzelline flirten, was als Akt der Berechnung, um Zugang zu Rocco zu finden, durchaus begründet scheint.)

Anna Prohaska (Marzelline) und Johannes Chum (Jaquino) haben echte Harnoncourt-Stimmen, glatt und unsinnlich. Mehrere Nummern zu klein für den Don Pizarro ist Martin Gantner, und am Don Fernando des Garry Magee besticht nur seine Beethoven-Nummer, keinesfalls sein Gesang. Bleibt der einzige Sänger des Abends, der mit voller Kraft und Klangschönheit in seiner Rolle steht, nämlich Lars Woldt als Rocco, der versucht mit Brille, grimmiger Miene und andauernder finanzieller Berechnung dem unsympathischen Apparatschik und Befehlsempfänger in Uniform zu spielen, der in dieser Inszenierung vorgegeben ist. Der Arnold Schoenberg Chor (geleitet von Erwin Ortner) muss nicht Volk spielen, sondern darf Chor sein, steht also – wie die Protagonisten – herum, kann aber im Gegensatz zu diesen jene volle Power geben, die den meisten Stimmen dieses Abends fehlt.

Denkt man an die Applausstürme, die man im Theater an der Wien schon erlebt hat, wollte sich an diesem Abend die wahre Begeisterung nicht einstellen – ebenso wenig wie wahrer Widerstand. Es war eine halbe Sache (und während der Vorstellung kaum von Applaus unterbrochen) und wurde auch solcherart halbherzig aufgenommen.

Renate Wagner

 

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