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WIEN / Theater an der Wien: ELEGIE FÜR JUNGE LIEBENDE

08.05.2017 | KRITIKEN, Oper

Elegie 600
Foto: © Werner Kmetitsch

WIEN / Theater an der Wien:
ELEGIE FÜR JUNGE LIEBENDE von Hans Werner Henze
Premiere: 2. Mai 2017,
besucht wurde die dritte Vorstellung am 7. Mai 2017

Seit seiner Uraufführung 1961 in Schwetzingen (damals immerhin mit Dietrich Fischer-Dieskau in der zentralen Rolle des Dichters) hat Hans Werner Henzes Oper „Elegie für junge Liebende“ Wien gerade einmal erreicht (1998 in einer Produktion des Ensembles „Netzzeit“ im Odeon). Das Theater an der Wien, Adresse für Raritäten-Freunde, bringt nun (nach Henzes „Prinzen von Homburg“ 2009) auch diese Oper heraus. In einer so prächtigen Aufführung, dass man fast übersehen würde, dass es sich um kein Meisterwerk handelt.

Auch nicht, wenn Wystan Hugh Auden und Chester Simon Kallman, das hoch renommierte Paar, das Libretto geschrieben haben, dessen Gefühlsbalance zwischen Komik und Satire hier, Tragik und auch knüppeldicker Sentimentalität da nicht so recht ausgewogen scheint. Und auch wenn die Musikkenner ihre Nase in die Partitur stecken und höchstes Lob für Formales, also etwa Instrumentations-Feinheiten und meisterlichen Umgang mit den Möglichkeiten modernen Komponierens konzedieren, kann man als schlichter Opernfreund nur feststellen, dass sich das Ganze nun nicht so riesig attraktiv anhört, am wenigsten in der Behandlung der Singstimmen, die vor allem in einer Art Parlando (mit Sprechpassagen) geführt werden, eher schon in den Orchesterpassagen. Ganz abgesehen davon, dass die Sache mit mehr als drei Stunden entschieden zu lang ist und einiges, etwa die Sterbeszene des jungen Paares in Schnee und Eis, kein Ende findet. Und trieft und trieft…

Erzählt wird die übliche – als Sujet in der Literatur oft fixierte – Geschichte des rücksichtslosen alten Dichters, der seine Umwelt ausbeutet, einerseits für sein Ego und seine Bequemlichkeit, andererseits für sein Werk. Auden / Kallman versetzten den Dichter Gregor Mittenhofer dafür in ein fiktives österreichisches Bergdorf, umgeben von Leibarzt, herumschwirrender Gräfin als beflissener Frau für alles und junger Geliebter… was ein Mann von Bedeutung eben so braucht. Wenn dann noch eine Verrückte herumschwirrt, der man die atemberaubendsten virtuosen Töne in die Kehle legen kann, und ein junger Mann auftaucht, der die junge Frau notwendigerweise wegschnappt, sind die üblichen „sechs Personen“ beisammen (ein Bergführer hat nur ein paar Sätze, die allerdings dramaturgisch hoch relevant sind).

Was passiert? Nicht viel, das junge Paar verliebt sich, der alte Mann steckt es schlecht weg, schickt sie in den Tod, denn dann kann er ein tragisches Meisterwerk, eine „Elegie für junge Liebende“ schreiben… Eigentlich recht dürftig, das Ganze.

Aber, wie gesagt, eine Meisterinszenierung von Keith Warner, und man muss gerechterweise gleich sagen, dass die Bühnenbildlösung von Es Devlin nicht nur grandios die Optik, sondern auch zu einem entscheidenden Teil den Erfolg des Abends bestimmt. Denn auf der Drehbühne findet sich die riesengroß übersteigerte surreale Welt von Dichter-Accessoires (man findet sie später, in Normalgröße, wenn kurz sein Schreibtisch hineingeschoben wird): eine Leselampe, ein Stapel Bücher, affektierte Artefakte (ein Kopf, ein Körpertorso) und natürlich eine Schreibmaschine… auf deren Riesentasten müssen die Sänger immer wieder balancieren, und man merkt ihnen an, dass sie sich dabei nicht wohlfühlen.

Es ist ein beherrschendes Ambiente, das sich gegen Ende großartig (mit Tüchern und Projektionen) in jene Schneelandschaft verwandelt, in der das junge Paar stirbt (wie erwähnt in einer endlosen Kitschorgie). Die mehr oder weniger neutralen Kostüme versetzen das Geschehen jedenfalls nicht ins Heute.

In diesem Rahmen führt Keith Warner eine Glanzbesetzung zu besonderen, darstellerisch ausgefeilten Leistungen, wobei sich Johan Reuter bei dieser dritten Vorstellung entschuldigen lies und hörbar Halsschmerzen hatte – großer Dank, dass er dennoch sang, denn vermutlich hätte man keinen Ersatz gefunden und sonst den Abend absagen müssen. Als der selbstgefällige, sich selbst stilisierende „große Mann“, der dennoch auf bescheiden und verständig macht, stellte er eine überzeugende und nie überzeichnete Figur auf die Bühne.

Drei Damen bekamen jede Gelegenheit zu brillieren. Laura Aikin als die „Verrückte“ bestätigte durch die Tat, was sie einmal im Interview gesagt hat, nämlich, dass sie sich vor nichts fürchtet: Was Henze ihr da in die Kehle legt, ist vermutlich so quälend zu singen, wie es sich stellenweise anhört. Wenn diese Hilda Mack (deren Phantasie der Dichter für seine Werke ausbeutet) wieder normal wird, weil man die Leiche ihres vor 40 Jahren verschwundenen Bräutigams im Eis findet, verliert die Rolle an Glanz – aber sie hat sich schon unvergesslich eingeprägt.

Angelika Kirchschlager hat die „normale“ Opernwelt schon seit längerer Zeit hinter sich gelassen, und es ist großartig, dass ihr das Theater an der Wien immer wieder Möglichkeiten gibt, sich in jenem „interessanten Repertoire“ umzutun, das sie nun bevorzugt. Die Gräfin, die den Dichter umhegt, ist natürlich auch eine „strenge Herrin“, die in dieser Funktion ihr eigenes Selbstwertgefühl steigert. Die Kirchschlager singt und spielt das formidabel und erreicht ihren Höhepunkt in der großen Szene gegen Ende, wenn sie sich schweigend zu Mittenhofers Komplizin am Mord an den jungen Leuten macht… und dann seelisch und geistig den Boden unter den Füßen verliert und in geistige Umnachtung gleitet.

Eine wahre Entdeckung für Wien ist die ungemein attraktive Anna Lucia Richter, die allem gewachsen war, was Henze ihr in die Kehle legte (tatsächlich würde man sie gern einmal in einer „normalen“ Rolle hören, dann könnte man sie natürlich besser beurteilen) und die junge Liebe zu Toni Reischmann, die mit einer fast Ekel behafteten Ablösung vom alten Mann Hand in Hand geht, in jedem Detail glaubhaft macht.

Der junge Mann ist auch zum Verlieben, so ernsthaft und ehrlich, wie Paul Schweinester da auf der Bühne steht und seine dramaturgische Funktion – die Aufrichtigkeit der Jugend gegen verrottetes Alter – so überzeugend erfüllt. Als sein Vater, der Doktor, liefert Martin Winkler eine jener Charakterstudien, die man von ihm immer erwarten kann und immer bekommt. Martin Berger ergänzt die paar Sätze des Bergführers.

Die Wiener Symphoniker, geleitet von Marc Albrecht, entfalteten Henzes Klangwelt. Das „Normalpublikum“ der dritten Vorstellung tat in Pausengesprächen nicht nur Begeisterung über das Werk kund, klatschte aber so intensiv, wie es die Aufführung verdiente.

Renate Wagner

 

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