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WIEN / Theater an der Wien: EGMONT

17.02.2020 | KRITIKEN, Oper


Fotos: © Monika Rittershaus 

WIEN / Theater an der Wien:
EGMONT
Oper in fünfzehn Szenen von Christian Jost (2020)
Ein Auftragswerk des Theater an der Wien
Uraufführung
Premiere: 17. Februar 2020

Goethe schrieb mit seinem „Egmont“ (1789 uraufgeführt) ein hoch politisches Stück: Der Freiheitskampf der Niederländer im 16. Jahrhundert, der von der spanischen Besatzungsmacht brutal unterdrückt wurde. Der heldenhafte Graf Egmont, der auf edelste Weise von Freiheit träumt, wird ein Opfer des gnadenlosen Machtpolitikers Herzog Alba. Dazu hat Goethe dem Grafen (ganz im Gegensatz zur historischen Realität) noch ein junges, bezauberndes Bürgermädchen zur Geliebten gegeben: Klärchen. Freiheit und große Liebe – welch ein Stoff für Beethoven, der Goethes Werk 1810 mit einer leidenschaftlichen Bühnenmusik versah… von der im allgemeinen nur die Ouvertüre übrig geblieben ist.

Das Theater an der Wien wird Beethovens „Egmont“-Musik aufführen, aber der zeitgemäßere Ansatz, dem Beethoven-Jahr etwas hinzuzufügen, schien der Auftrag für eine neue „Egmont“-Oper. Er erging an den international erfolgreichen deutschen Komponisten Christian Jost, der offenbar auch sehr in das Libretto von Christoph Klimke eingriff. 15 Szenen, 95 pausenlose Minuten – die Uraufführung im Theater an der Wien zeigt, dass den Herrn da eine ziemlich brutale, schreckliche Geschichte gelungen ist. Und Regisseur Keith Warner trug alles Erdenkliche dazu bei, dass sie schmerzhaft unter die Haut ging…

Natürlich fragt man sich nach dem dramaturgischen Faden eines Geschehens, das mit weitestgehend abgehobener Sprache erzählt wird – und das auch noch so, dass man den Text mit Sicherheit nicht versteht. Man hängt an den Übertiteln, wüsste sonst im Detail kaum, worum es geht. Auf kürzesten Zeitraum soll die Geschichte von Egmont und Alba, die einander in einer großen Szene konfrontieren, vor sich gehen, zugespitzt auf Tod und Hinrichtung des Grafen – was dann von Klärchen, hier zu Clara geworden, mit stilisierten Engelsflügeln gewissermaßen verhindert wird.

Kaum etwas an dem Werk ist real zu nehmen, das Fließen der Musik (man möchte es „Floaten“ nennen, es würde die Emotion besser treffen) gibt dem Geschehen etwas absolut Irrationales. Im Programmheft heißt es, der Komponist entwickle für sein Musiktheater „eine Zeit und Raum auflösende, magische Dramaturgie“. Das trifft es ganz gut – umso größer ist die Aufgabe für die Regie.

Bleiben wir noch kurz bei der Musik – man hat das Gefühl, es mit dahinschwebenden Flächen zu tun zu haben, die jeden üblichen opernhaften Ausdruck vermeiden, nur reichen Anteil aus Geräuschen, aus gelegentlichen Instrumentensoli beziehen. Mal denkt man an Glass, mal an Orff, aber es ist einfach Jost – und die einzige Gefahr besteht darin, dass es einförmig werden kann, weil die dramatische Ausformung fehlt. Die Singstimmen haben auch nichts mit dem Orchester zu tun, sie liegen darüber, meist atonal geführt, wenn viele zusammen kommen, landet man in der Kakophonie. Aber an Stimmung, an böser Stimmung, fehlt es nicht.

Man kennt Keith Warner als einen Regisseur, der eher versucht, ein Werk zu realisieren als sich selbst. Hier hatte er das richtige Gefühl, viel einbringen zu müssen, sowohl in der Überzeichnung der Figuren (wenn man schon nicht versteht, was sie singen, soll man wenigstens begreifen, wer und wie sie sind) wie in der Visualisierung. Dass man nicht immer alles versteht, was der Regisseur einbringt (unvermittelt eine Szene in einem heutigen Kaffeehaus, wo Männer Zeitung lesen???), passiert einige Male. Auch will er der Brutalität der Handlung Rechnung tragen – in einer Folterszene sticht Alba dem gekreuzigten Opfer noch mit einem glühenden Dreizack die Augen aus… Sehr viel Sadismus geht hier mit Machtmissbrauch Hand in Hand. Da mittlerweile alle Beteiligten verkündet haben, auch diese Oper wende sich gegen die „rechte“ Gefahr in unserer Welt, kann ein Mann wie Alba gar nicht grausam genug gezeichnet werden.

Ashley Martin-Davis schuf eine Ausstattung, die voll von Ideen ist – freilich, warum Akrobaten wie beim Cirque du Soleil vom Bühnenboden herabturnen müssen, macht ebenso wenig Sinn wie die weiße Allongeperücke für den Herzog von Alba, denn diese gab es im 16. Jahrhundert nun wirklich noch nicht. Plötzlich ist der Himmel voller Kraniche, schräg gestellte „Zellen“ bevölkern die Bühne, Clara sitzt in einer Badewanne. Und nein, Margarete von Parma wurde absolut nicht von Alba (mit einer Pistole!) und ihrem schurkischen Sekretär Machiavelli (nicht mit Niccolo Machiavelli zu verwechseln) getötet. Aber historische Wahrheit ist im Zusammenhang mit dieser Geschichte und dieser Inszenierung, die beide die nötige Handbreit über dem Boden schweben, nicht angesagt. Es ist eine Bilderflut, die manches kompensieren soll, was Substanziell (absichtlich) fehlt und jene Irrealität beschwört, die Komponist und Librettist angedacht haben.

Nicht der Titelheld steht im Zentrum, der litauische Tenor Edgaras Montvidas durchschreitet das Geschehen so ziemlich als Mann ohne Eigenschaften.

Dafür grinst Bo Skovhus als Herzog Alba die Inkarnation des Bösen mit wahrer Lust. Ausgefeilt ist die Figur der Margarete von Parma – verfressen, versoffen und geil stellt Angelika Kirchschlager ein höchst unkönigliches Frauenzimmer auf die Bühne (die Dame war immerhin die Tochter von Kaiser Karl V.!!!), Aus dem zarten Mädchen Klärchen ist eine gestandene Clara geworden, die reife Gefährtin des Helden: Maria Bengtsson, sehr blond, muss sich stimmlich stets in den höchsten Höhen bewegen. Dunkel gurrt der Ungar Károly Szemerédy ihren Sekretär im Wagner-Stil, und die junge Theresa Kronthaler hat als Albas Sohn eine dramaturgisch kaum klar umrissene Funktion. Der Arnold Schoenberg Chor (geleitet von Erwin Ortner) steht in verschiedenen, nicht immer erkennbaren Funktionen auf der Bühne. Für den opulenten Klangteppich sorgt Michael Boder am Pult des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien.

Es war ein höflicher Achtungserfolg. Der Blick auf die Uhren war verbreitet (selber schuldig, aber auch bei einigen Nachbarn bemerkt), und eineinhalb Stunden fühlten sich überlang an. „Egmont“ ist eine Oper, der man mit Interesse begegnet ist. Aber einmal genügt.

Renate Wagner

 

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