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WIEN / Theater an der Wien: DIE RING-TRILOGIE / SIEGFRIED

03.12.2017 | KRITIKEN, Oper

siegfried Szene Mime krieg dopptel Haue
Mime kriegt Haue von Siegfried und Siegmund (!)
Alle Fotos: Herwig Prammer

WIEN / Theater an der Wien:
DIE RING-TRILOGIE
SIEGFRIED
Musik und Text von Richard Wagner (1848-74)
In einer Fassung Tatjana Gürbaca, Bettina Auer und Constantin Trinks
Orchesterfassung von Alfons Abbass
Premiere: Freitag, 2. Dezember 2017

„Siegfried“ ist natürlich die richtige Wahl für einen „Ring“- Abend. Mit Siegfried begann’s konzeptionell für Richard Wagner, noch der Held des Nibelungenliedes, die Götterwelt der nordischen Edda kam erst später dazu. Erst „Siegfrieds Tod“ und dann, weil das nicht genug war, „Der junge Siegfried“ als dessen Vorgeschichte – kurz, was wir heute als „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ kennen: Richard Wagner hat das Schicksal seines Helden doch recht ausführlich (sagen wir schätzungsweise in mindestens acht Stunden) erzählt.

Der „Siegfried“ für die „Ring-Trilogie“ des Trios Tatjana Gürbaca, Bettina Auer und Constantin macht es wie „Hagen“, er erzählt die Geschichte nicht fertig: Dass Siegfried und Brünnhilde (hier in Unterwäsche) Sex haben, ist ja noch nicht das Ende. Also müssen wir darauf warten, dass alle Fäden dann am letzten Abend bei „Brünnhilde“ zusammen laufen.

Der „Siegfried“-Abend hier folgt weitgehend dem „Siegfried“-Abend Wagners, mit dem kleinen Unterschied, dass die Eltern einbezogen werden. Indem man den ungeliebten Wotan „herausschneidet“ (Wotan/Mime aus dem 1. Akt, Wotan/Alberich aus dem 2. und Wotan/Erda im 3.Akt), gewinnt man die Zeit für die Vorgeschichte: Der erste Akt „Walküre“ erklingt völlig ungekürzt (es wäre auch Wahnsinn gewesen, eines der dramaturgisch und musikalisch vollkommensten Stücke, das Wagner je geschrieben hat, zu schädigen). Mit ihm hat man Siegfrieds Eltern, nach denen er ja nun immer beharrlich fragt und die ihm diese Aufführung nun gibt – in durchaus berührenden Szenen. Was nicht heißt, dass man mit der Inszenierung von Tatjana Gürbaca glücklich wird. Einige ihrer Ideen sind absolute Tiefpunkte – Notung in Gestalt einer Art Küchenmesser in eine Art Fauteuil von Sieglinde hineingesteckt und von Siegmund locker herausgezogen! Die zwei Stücke dieser Lächerlichkeit schmiedet Siegfried dann nicht zusammen, sondern klebt sie mit einer Art Tesa-Isolierband… Es gibt Dinge, die man nicht tun sollte. Allein damit beweist dieser Abend, dass er von Wagners Original so weit entfernt ist wie Notung vom Küchenmesser…

Doch die Dramaturgie. Es beginnt wieder mit der Andeutung von Siegfrieds Tod, diesmal allerdings kurz von Statisten ausgeführt (man wird den Hagen-Darsteller, der an diesem Abend nicht mitspielt, ja nicht herbei zitieren). Auch der Siegfried ist falsch, denn dem echten begegnen wir gleich mit Mime in ihrer Höhle – mitten im 1. Akt, dort, wo sich der junge Mann so nachhaltig nach seiner Herkunft erkundigt. Rückblick – 1. Akt Walküre.

Zu Beginn des 2. Aktes das allerletzte Stück vom Ende des 2. Aktes Walküre, wo Wotan selbst Siegmund ersticht und Brünnhilde Sieglinde wegbringt. (Da hätte man schon noch das Stückchen „Rette mein Kind!“ aus dem 3. Akt Walküre hineinkleistern können…) Die Rückblende ist vorbei, wieder bei Mime geht Siegfried jetzt an das lächerliche Schmiedehandwerk, und die Inszenierung lässt – eigentlich recht poetisch – Geister erscheinen. In diesem Fall Siegmund, der dem Sohn behilflich ist. Leider auch dabei, mit den Hammerschlägen auf Mime einzuprügeln – die Aufführung zeigt eine wirklich unsympathische Vorliebe für Brutalität. (Und am Ende will man es uns noch als „Echtheit“ verkaufen… weil die Wagner-Helden ja so brutal sind!)

Und jetzt gleich weiter in den Wald, wieder nur auf die Siegfried-Szenen konzentriert, wobei es auch einen poetischen Waldvogel gibt, der sich sogar um den in Menschengestalt sterbenden Fafner kümmert. Dass Siegfried sich über und über mit dessen Blut beschmiert, wirkt mehr wie einem der heutigen Action-Filme abgeschaut. Aber es ist ohnedies ein komischer „Dschungel“, in dem man sich befindet (Bühne: Henrik Ahr), im Gras taucht nicht nur ein Kinderdreirad, sondern offenbar auch Sieglindes Unterkleid auf. Siegfrieds transvestitische Abenteuer damit zeigen wieder, wie dumm der Bub ist – vom reinen Tor, den Wagner ja doch meinte, bis knapp zum Trottel.

siegfried Brünnhilde noch angezogen siegfried er mit blutigen Händen~1
Brünnhilde, noch angezogen / Siegfried, blutbeschmiert

Im dritten Akt schließlich geht es nicht ganz ohne Wotan, der mit Stetson am Kopf an einem Campingtisch sitzt (Kostüme: Barbara Drosihn). Dass ihm der Speer schon zerbricht, bevor Siegfried mit seinem lächerlichen geklebten Messer draufhauen kann, war schlichtweg Pech und wird dem Requisiteur vermutlich Tadel eintragen. Sonst schwebt der Göttervater im luftleeren Raum, aber wir müssen zugestehen, dass Siegfried ja wirklich nicht weiß, wer der Alte ist und was er eigentlich will…

Drollig und albern: Wotan holt aus einer großen Box ein verkleinertes Bühnenbildmodell. Als um dieses herum ein Feuer zu flackern beginnt (man kann sich vorstellen, wie gerüstet und nervlich angespannt die Feuerwehrleute am Bühnenrand stehen), hat man es wohl mit dem denkbar seltsamsten, billigsten Hinweis auf Brünnhildes Feuerkreis zu tun.

Ja, der Rest ist dann bekannt, das komplette Ende von „Siegfried“, das Finale des dritten Akts mit dem komplizierten Liebesduett, das nach „Tristan“ entstanden ist und entsprechend klingt. Da begegnet man Brünnhilde mit Sonnenbrille (Gott sei Dank ist niemand auf die Idee gekommen, sie solle blind sein) in einer Art Lourdes-Grotte, herumstehend wie eine Madonna persönlich. Die Aggressionen des blutüberströmten Siegfried führen dann auch aus der Grotte heraus, und siehe da, da sind Sieglinde und Siegmund und schauen auf ihren Sohn, der tränenreich vor ihnen niederkniet (so kitschig war Wagner ja doch nicht). Mehr noch – sie bereiten ihm das Lager, auf dem sie es selbst in ihrem „Walküren“-Akt getrieben haben. Flugs ziehen Siegfried und Brünnhilde sich aus. Wer die beiden nach der ekstatischen Musik, die Wagner ihnen geschrieben hat, dann in weißer Unterwäsche auf der Bühne stehen lässt… der ist schon von ziemlich böswilliger Zerstörungs- und Verkleinerungswut besessen… Oder findet das etwa lustig???

Musikalisch ging es diesmal besser, Constantin Trinks ist fraglos ein kompetenter Wagner-Dirigent, der das ORF Radio-Symphonieorchester Wien (das mit berüchtigten „Siegfried“-Soli gelegentlich seine Mühe hatte) zu echter Leidenschaftlichkeit aufpeitschte. Der Siegfried des Daniel Brenna ist nicht „erwachsener“ geworden und erweist sich als Sänger, der zwar Material, aber gar keine definitive Stimmbeherrschung, geschweige denn Gesangskultur zu bieten hat (und seine maulig-unverständliche Aussprache hilft der Figur auch nicht).

Zwei an diesem Abend neue Sänger boten die besten Leistungen: Daniel Johansson, keine Sekunde überfordert mit dem Kraftlackl Siegmund, und Stefan Kocan, prachtvoll mit seinem schwarzen Baß als Hunding, den er auch mit beängstigend hintergründigem Psychoterror spielte (seltsamerweise geriet der Fafner nicht so eindrucksvoll).

Liene Kinca war von der Gutrune zur Sieglinde geworden, Höhenflackern inbegriffen, Aris Argiris hatte erneut einen Mini-Auftritt als Wotan (es ist wohl anzunehmen, dass er in „Brünnhilde“ mehr benötigt wird?), ausgezeichnet der Mime des Marcel Beekman, der auch seine reduzierten Chancen mit der Rolle nützte, ein zauberhafter Waldvogel (obwohl sie Müllsäcke herumschleppen musste) war Mirella Hagen. Ingela Brimberg schließlich ließ in ihrer halben Stunde eine vollgültige Brünnhilde hören – aber die große Herausforderung für sie kommt ja erst.

Rund um mich eine Menge Besucher, die extra für diese „Ring-Trilogie“ aus München angereist kamen. Sie erklärten das Ganze zu einem Event, bei dem sie sich bestens unterhielten. Vielleicht haben sie ja die richtige Art, die Sache zu betrachten – und alle, die dem Abend heftig applaudierten, dürften mit ihnen übereinstimmen.

Renate Wagner

 

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