WIEN / Theater an der Wien:
DER WAFFENSCHMIED von Albert Lortzing
Konzertante Aufführung
Zum 175. Jubiläum der Uraufführung im Theater an der Wien am 30. Mai 1846
21.Oktober 2021
Albert Lortzing? Das ist „Zar und Zimmermann“, sehr oft gesehen, sehr geliebt, ein Höhepunkt dessen, was „deutsche Spieloper“ an Humor und Melodie kann. „Der Wildschütz“? Nicht so oft, aber auch sehr hübsch. „Undine“? Selten, aber schöne Musik. „Der Waffenschmied“? Nie. Szenisch nicht in Wien in den letzten Jahrzehnten. (1960 an der Volksoper…)
Dabei gibt es für den „Waffenschmied“ an einem Eckhaus der Wiedner Hauptstarße ein großes Relief, und das Werk ist hier in Wien, vor 175 Jahren, im Theater an der Wien uraufgeführt worden. Ein sehr guter Grund für dieses Haus, seine konzertante Reihe von italienischen Barockopern einmal zu durchbrechen und dem weitgehend vergessenen „Waffenschmied“ Ehre widerfahren zu lassen. Mit einer Welt-Spitzenbesetzung für die Titelrolle und Chancen für Sänger des Jungen Ensembles des Hauses, die sich hier durchaus mit Anspruchsvollem konfrontiert sahen.
Im Grunde sind von dem Werk nur zwei Arien im Gedächtnis geblieben. Staudinger, der Waffenschmied, singt die berühmte Baßarie, dass auch er ein Jüngling mit lockigem Haar war und resümiert, wie alte Leute es eben tun, dass früher alles besser war: „Das war eine köstliche Zeit“.
Das passte auch einigermaßen in die Entstehungs- und Uraufführungszeit des Werks, 1846 – wir nennen es heute „Vormärz“, aber damals wusste man ja noch nicht, dass die Märzrevolution 1848 näher rückte, also war es ausgehendes Biedermeier, in dem man sich seit dem Wiener Kongress, also schon zu lange vergraben hatte. Ob die zweite bekannte Arie des Werks emanzipatorische Elemente hervorblitzen lässt? „Wir armen, armen Mädchen, sind gar so übel dran, ich wollt, ich wär’ ein Mann!“ singt Staudingers Tochter Marie und resümiert, ein Mann könne machen, was er will, während der Ruf einer Frau sofort zerstört würde… Aber so richtig rüttelt sie an ihren Ketten ja doch nicht.
Was auffällt, ist eine gewisse Verwandtschaft zu den „Meistersingern“, auch, weil beide Werke Mitte des 16. Jahrhunderts spielen und Staudinger, wie Pogner, ein angesehener Meister seines Fachs ist. Auch er hat eine Tochter, will sie allerdings keinem „Ritter“, sondern eher dem Knappen, der Geselle in seiner Werkstatt ist, verheiraten (das würde bedeuten, Evchen dem David zu geben…), weil er die Adeligen ablehnt. Weniger aus Bürgerstolz allerdings, sondern weil ihm die Ehefrau einmal mit einem solchen davon gelaufen ist… Wo Wagner elegant-komisch bleibt, ist Lortzing mit eigenem Libretto eher drastisch-komisch – aber ob Nürnberg, ob Worms, die Verwandtschaft im Milieu besteht.
Das Libretto gibt seine Schwäche schon im Titel der Vorlage preis: „Liebhaber und Nebenbuhler in einer Person“ (von Friedrich Wilhelm Ziegler). Nun wird ja der gute Wille des Publikums in der Oper immer höchst angespannt, den Grafen Almaviva bei Rossini soll man in seinen Verkleidungen ja auch nicht erkennen, und wie blind die Mädchen in „Cosi fan tutte“ sein müssen, wenn sie ihre Verlobten unter ein bisschen Orientalismus nicht sofort identifiziern, darüber will man sich gar nicht mehr den Kopf zerbrechen. Wie seltsam es ist, wenn sich ein Graf beim Waffenschmied als Geselle Konrad verdingt (so wie der Zar ein Zimmermannsgeselle wird…), in dieser Form um Marie wirbt, aber gleichzeitig auch als Graf und dann noch eifersüchtig auf sich selbst ist…
Fotos: Herwig Prammer
In einer konzertanten Aufführung wird man nicht die ganzen Dialoge bringen, es bedarf also eines Erzählers. Weil der Puppenspieler Nikolaus Habjan in der besonderen Gunst der Theater an der Wien-Direktion steht, ist er damit beauftragt worden, die Handlung zu „erklären“. Erstens ganz offensichtlich zu eigenen, oft ein bisschen gar schelmischen Texten, und zweitens „nicht ohne meine Puppe“. Diesmal ist es wieder ein grottenhässliches Klappmaul-Ding, das er Charlotte nennt, und im Dialog mit ihr (im Stimmen differenzieren ist er meisterlich) kann er nicht genug daran tun, dem Publikum zu erklären, wie blöd das Ganze ist. Dabei hat er offenbar nicht genug geprobt, also segelte er mehr impressionistisch durch den Text, wo etwas Präzision angesagt gewesen wäre.
Immerhin ersparte er dem Publikum viel, die konzertante Aufführung beschränkte sich im übrigen auf den musikalischen Teil, Ouvertüre, Hochzeitsmarsch, Chöre, auf Arien, Duette und eine Menge von Ensembles, die den Sängern viel abverlangten. Da gab es aber mit dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter Leo Hussain keine Schwachstellen, und auch der Arnold Schoenberg Chor (geleitet von Erwin Ortner) war ganz er selbst, also makellos.
Günther Groissböck wird den Waffenschmied vielleicht nicht mehr oft singen können, aber es war klug von ihm, die Rolle anzunehmen, denn sie passt ihm einfach ideal. Er ist derzeit – ein Wunder, wenn man die Bayreuth-Erschütterungen bedenkt, die er hinter sich hat – in phantastischer Form, sein Bassbariton kann in allen Registern alles, hat die Tiefe, hat Höhen mit gerade so viel Metall, dass sie nicht hart werden, die Stimme ist beweglich und jeder Kraft-Anforderung gewachsen (und dieser Lortzing ist nicht leicht!). Dazu kommt die souveräne Persönlichkeit – urkomisch, wenn er etwa den Knappen zwingen will, seine Tochter zu heiraten, brillant in seinen Wutausbrüchen und wunderschön, wenn in der großen Arie die Stimme strömt und es doch nie schmalzig oder pathetisch wird. Jetzt ist die Zeit der ganz großen Bassbariton-Rollen endgültig gekommen.
Mit Ausnahme von Juliette Mars (in einer Partie, die an die Magdalene in den „Meistersingern“ erinnert), früher Staatsoper, jetzt regelmäßig im Theater an der Wien, sind die drei großen Rollen mit Sängern des Jungen Ensembles des Hauses besetzt. Miriam Kutrowatz bringt für die Marie einen sehr hellen, schlanken, beweglichen Sopran mit, der allerdings zur Schärfe neigt. Einen schönen Bariton ließ Timothy Connor in der Rolle des Liebhaber / Grafen / Schmiedgesellen hören, und den Vogel schoß Andrew Morstein als Knappe Georg ab, ein Tenorbuffo, wie er im Buche steht, quicklebendig in Gesang und Spiel. Ivan Zinoviev war für einen Teil der Intrigenhandlung zuständig, die man nicht so recht mitbekam, Jan Petryka ergänzte.
Es war eine schöne, auch amüsante Begegnung mit dem Werk. Und doch weiß man nun, warum es sich im Gegensatz zu anderen Lortzing-Opern nicht auf der Bühne gehalten hat. Die Musik hat die Qualität, die ein herausragender Handwerker mit viel Einfallskraft schaffen kann. Aber das Quentchen des Besonderen, das ein Werk aus dem Durchschnitt hebt, hat diese Oper (mit Ausnahmen) nicht. Dennoch dankte das Publikum im rappelvollen Theater an der Wien mit Überzeugung für die Begegnung mit diesem Stück.
Renate Wagner