WIEN / Theater an der Wien:
CAJO FABRICIO von Johann Adolf Hasse
Konzertante Aufführung
28. Juni 2021
Das Theater an der Wien hat als Covid-Opfer auf mehrere seiner Live-Aufführungen verzichten müssen (glücklicherweise wird es einiges auf DVD geben). Aber seinen Rang als „Tempel alter Musik“ kann es ganz am Ende der Spielzeit mit zwei konzertanten Barockopern noch halten. Wobei weder Covid noch die extreme Hitze das Publikum daran hinderten, das Haus in erstaunlichem Ausmaß zu füllen.
Und da wusste man noch gar nicht, dass die Direktion beschlossen hatte, die üblicherweise meist vierstündigen Barock-Marathons, die unter den „Masken“ wohl schwer erträglich gewesen wären, zu „verschlanken“. „Cajo Fabricio“ wurde auf zwei Stunden ohne Pause angekündigt, am Ende waren es zweieinviertel, und man ist überzeugt, dass die Verantwortlichen nicht ein einziges musikalisches Gustostück ausgespart haben…
Die Welt der barocken Opern und Komponisten ist schier unerschöpflich. Seit man diese spezielle Sparte der Musik wieder entdeckt hat, wird das Angebot immer breiter. Zu jenen Komponisten, die man seit nun einigen Jahren mit Lust wieder entdeckt, zählt Johann Adolf Hasse (1699-1783), geboren in Hamburg, lange Zeit in Dresden für König August den Starken tätig, so dass die Italienerin ihn liebevoll „Il Sassone“, den Sachsen, nannten. Er schaffte es, sich unter zahllosen „gebürtigen“ Italienern in der Welt der italienischen Oper nicht nur zu etablieren, sondern auch höchste Wertschätzung zu erfahren.
Wenn man sich nun im Theater an der Wien „Cajo Fabricio“ anhört, weiß man, warum. Denn hier flossen in die Schemata italienischen Opernschaffens so etwas wie „deutsche“ Qualitäten ein, die das musikalische Spektrum durchaus bereichert haben, vielfach in Innigkeit und Lyrik des Ausdrucks, aber auch in einer Lebhaftigkeit, die diesen ganzen Abend durchwirkt.
Der Titel des Werks wirkt auf Anhieb seltsam, weil man in dem „Cajo Fabricio“ ja nicht unbedingt jenen römischen Konsul Caius Fabricius Luscinus assoziiert, der sich in Tarrent mit dem mazedonischen König Pyrrhos auseinander setzen musste. Dieser ist auch nur noch bekannt, weil ein „Pyrrhos-Sieg“ sprichwörtlich geworden ist (der kostet nämlich so viel, dass man lieber darauf verzichtet hätte). Man kann die Geschichte der beiden bei Livius nachlesen, aber dort zählt sie heute nicht mehr zu den populärsten.
Als Apostolo Zeno das Libretto schrieb, gab es natürlich neben der Haupt- und Staatsaktion die üblichen Liebesgeschichten. Und eigentlich ist nicht der Römer, sondern der Grieche Pyrrhos die zentrale Gestalt, gar keine edle Erscheinung, sondern als Krieger, Politiker und untreuer Liebhaber gleich schillernd.
Hasse hat für die Aufführung in Rom 1732 eine Oper für sechs (!) Kastraten und einen Tenor geschrieben, eine reine Männersache. Wir sehen das anders – Caius Fabricius, Turio (der Kommandant von Tarent) und Volusio (der fälschlich tot geglaubte Liebhaber von Fabricius’ Tochter) blieben in den Kehlen von Countertenören, Pyrrhos wurde einem Mezzo anvertraut, die Damen Sestia und Bircenna,(die Pyrrhos auf einmal nicht heiraten will, weil er sich in Sestia verliebt hat) sind in Sopran- und Mezzo-Kehlen, und der Tenor (der Unterhändler Cinea) blieb, was er war, nämlich ein Tenor.
Foto: Theater an der Wien
Die Produktion hat Max Emanuel Cencic mit seiner Firma Parnassus Arts Productions auf die Beine gestellt, mit dem polnischen Original-Klang-Ensemble mit dem schwierigen Namen {oh!} Orkiestra Historyczna, mit dem er schon öfter zusammen gearbeitet hat. Die Konzertmeisterin Martyna Pastuszka spielt inmitten ihrer Kollegen mit und gibt Einsätze, der Ton ist anfangs so schroff wie bei Originalklang üblich, wird aber nach und nach federnder und differenziert Hasses überreiche Farben-Palette prächtig aus. Und wenn von Elefanten gesungen wird, dann gibt das Horn tatsächlich „tierische Töne“ von sich (was eine komische Schrecksekunde bewirkt).
Max Emanuel Cencic selbst singt Cajo Fabricio, den Titelhelden, der nicht unbedingt die beste Rolle ist. Aber er besticht wie immer durch das Fließen seiner Stimme, überragende Technik und vor allem mit der virtuosen letzten Arie. Und wem das Ende gehört, der hat dann auch den meisten Applaus…
Tatsächlich darf der Brasilianer Bruno de Sá als Volusio die erstaunlichsten Kunststücke einer „geläufigen Gurgel“ hören lassen, er klingt wie eine hohe Frauenstimme und singt Koloraturen in einer Höhe, dass man ihn glatt als Lucia di Lammermoor besetzen würde. Aber auch Nicholas Tamagna als dritter Counter im Spiel hält sich wacker, während der Tenor Stefan Sbonnik nicht aus eigener Schuld am Rande bleibt, sondern weil für ihn sängerisch nicht so viel abgefallen ist.
Prachtvolle Stimmen (so dass man über gelegentlich zu schrille Höhen hinweghört) liefern Suzanne Jerosme als Sestia und Emmanuelle de Negri als Bircenna, beide auch temperamentvolle Gestalterinnen. So bleibt als einzige Enttäuschung die Chinesin Nian Wang in der so zentralen Rolle des Pirro. Nicht nur, dass ihr Mezzo total auslässt, wenn es in tiefere Regionen geht, der Stimme fehlt jegliche Durchschlagskraft, im Vergleich zu ihren Kollegen gewinnt man den Eindruck, da sei ein Radio zu leise eingestellt. Hoffentlich tut man ihr nicht unrecht und es war eine nicht angekündigte Indisposition. An diesem Abend jedenfalls ist der böse Pyrrhos ausgefallen. Dafür waren die anderen umso präsenter.
Tatsächlich da gab es mit Temperament und Verve Oper aus Musik und Sängerkehlen. Das Publikum war begeistert, hatte aber schon während der Vorstellung seinen Applaus nach den Arien je nach Qualität des Gebotenen kenntnisreich differenziert.
Renate Wagner