WIEN / Theater an der Wien:
BÉATRICE ET BÉNÉDICT von Hector Berlioz
Premiere: 17. April 2013
Jeder Opernfreund, der etwas auf sich hält, wird süchtig sein nach Werken, die er nicht kennt – auch wenn sich dann ein Effekt einstellt, den man nun auch im Theater an der Wien konstatieren muss: In vielen Fällen sind Werke, die durch den Rost der Nachwelt gefallen sind, zurecht unbekannt geblieben… Da lernt man endlich „Béatrice et Bénédict“, die einzige Opéra-comique von Hector Berlioz kennen, in einer durchaus fabelhaften Inszenierung, die der Regisseur auf zweieinviertel Stunden herunter gestrichen hat, und hat sich am Ende doch meist gelangweilt. Es ist ein Jammer.
Berlioz schrieb sich zu Shakespeares Lustspiel „Viel Lärm um nichts“ selbst ein Libretto, und das einzige, was daran gut ist, ist seine Eliminierung des „tragischen“ Handlungsstrangs. Denn so amüsant dieses „Much Ado about Nothing“ als Shakespeare zweite „Widerspenstigen“-Geschichte ist, in der sich Beatrice und Benedikt psychologisch raffiniert zusammenraufen, so schwerfällig wird das Werk durch die „tragische“ Parallel-Geschichte von Hero und Claudio durch Intrige, unsinnige Reaktionen und Aktionen und dann noch unglaubwürdiges Happyend. Berlioz belässt es bei der amüsant-vertrackten Liebesgeschichte – aber er geht das Ganze verdammt ungeschickt an, verliert immer wieder irgendeine Figur für längere Zeit, pfropft Extra-Komik auf, die eigentlich nicht wirklich komisch ist, und bekommt als Autor eigentlich gar nichts in den Griff.
Und leider auch nicht als Komponist. Die ersten Töne der Ouvertüre lassen aufhorchen – das klingt locker, springlebendig, aber schon in Kürze legt die Musik an jenem Pomp zu, dessen Spezialist er war, in der Folge wird ihm das Leichte meist schwer. Am besten gelingt noch Lyrisch-Besinnliches – aber wenn er das schönste elegische Duett zwei Nebenrollen-Damen (!) gibt, hätte er doch selbst die Schieflage des Ganzen begreifen müssen. Nein, es ist ihm, bei allem unstreitigen Niveau selbstverständlich (!), nichts eingefallen, was nachhaltig aufhorchen ließe, begeistern oder auch nur ehrlich unterhalten könnte und was mit der Tradition der gelungenen französischen Comique an Leichtigkeit und Esprit mithalten könnte.
Die Uraufführung 1862 (damals im Sommer in Baden-Baden, wofür dieses Werk als Unterhaltung in mondäner Umgebung gedacht war) war zwar ein großer Erfolg – doch er ist es nicht geblieben. Zu Recht, wie man feststellen konnte..
Kasper Holten ist der Mann, der jedem Wagnerianer als „Schöpfer des Kopenhagener Rings“ ein Begriff ist, eine hochintelligente Auseinandersetzung, glücklicherweise auch auf DVD verewigt. Das Lob, das der Regisseur Berlioz im Programmheft und in Interviews spendet, ehrt ihn, denn man sollte nichts machen, wovon man nicht überzeugt ist. Aber der Reiz, sich einem Werk zu nähern, das keiner kennt, wo also niemand unter vorgehaltener Hand mitleidvoll oder hämisch oder achselzuckend flüstert: „Was wird ihm denn dazu Neues einfallen?“, muss bedeutend sein. Man kann von Null anfangen, und tatsächlich hat Holten für den Abend szenisch so viel getan wie nur möglich.
Wir sind natürlich nicht in Messina im 16. Jahrhundert – Holten hat die Situation der Heimkehr aus einem Krieg ziemlich deutlich auf „nach dem Ersten Weltkrieg“ verlegt, was Moritz Jung auch ermöglicht, den Damen exquisit schöne Kostüme zu schaffen. Aber wieder einmal (hier im Theater an der Wien, das muss man betonen, andernorts ist man nicht so glücklich) ist es das Bühnenbild, das besonders ins Auge fällt, und in Zeiten, wo im allgemeinen viel zu wenig Wert auf die Ausstattung als integralen, mitwirkenden Teil des „Gesamtkunstwerks“ gelegt wird, ist dergleichen besonders bemerkenswert: Es Devlin (der Vorname ist seltsam, es handelt sich um eine Dame) schuf einen Rundraum mit Galerie (da kann man gelegentlich Teile des Chors wegschaffen), dessen „Trick“ darin besteht, dass aus der Mitte der Drehbühne eine Wand emporwachsen kann. Darauf gibt es gelegentlich Videos, dort deuten Projektionen Schauplätze an, aber die Wand kann auch nur halb hochgefahren werden und als „Netz“ dienen, wenn Béatrice und Bénédict ihren verbalen Schlagabtausch mit einem fiktiven Tennismatch verstärken, ebenso kann ein Barmann darauf servieren, wenn die Herren Offiziere beisammen sitzen und trinken: Das ist auf höchst intelligente Weise multifunktional, und oft schafft es auch nur eine nötige Verkleinerung des Raums und sorgt dafür, dass nicht zu viel „Ton“ nach rückwärts verloren geht. Und indem sich dieses Bild oft und gern dreht und schon damit Wandlung und Verwandlung in hohem Maße ermöglicht, kann auch der Regisseur der schwachen Sache szenisch reichlich Unterfutter verleihen.
Er tut es auch mit wirklich gelungener Personenführung, vor allem seiner beiden Titelhelden: Malena Ernman, die im Gegensatz zu ihrer luxusgekleideten Freundin Hero in glanzlosem Schwarz mit weißer Bluse und Krawatte, Typ: protestierender Blaustrumpf, auf der Bühne steht, gibt eine wunderbare Studie störrischen Wesens: Komm mir nicht zu nahe, bevor Du mich möglicherweise verletzt, verletze ich lieber zuerst Dich… ein klassisches Verhaltensmuster, eigentlich traurig und tragisch (was Berlioz in seiner Musik auch oft mehr klar macht als die Heiterkeit der „Zähmungs“-Geschichte), und eine wirklich schöne, liebenswerte, im Detail ausgefeilte darstellerische Leistung. Stimmlich ist das, was der Komponist zu singen bietet, nicht sehr dankbar, aber oft enorm schwierig, und man hört es an Malena Ernmans Mezzo leider immer wieder.
Bénédict hat zumindest eine Effektarie, und der Schweizer Tenor Bernard Richter nützt alle seine Möglichkeiten. Wieso er in unseren optischen Zeiten nicht längst viel berühmter ist, versteht man eigentlich nicht – so jung, so schlank, so blond, ein so witziger, souveräner Darsteller. Und ein Tenor mit Stahl in der Kehle, was sich vor allem in der Höhe ausdrückt, sonst findet er stimmlich viele Ausdrucksfarben. Das kommt einer Idealbesetzung nahe.
Als Héro schmachtet Christiane Karg mit etwas kühlem Sopran, ihr Bräutigam Claudio hat, da „seine“ Handlung fehlt, so gut wie jede Funktion verloren. Nikolay Borchev, an der Staatsoper mit Mini-Rollen unterwegs, bekommt auch hier nicht viel zu tun und viel zu singen, aber man fällt halt als zweiter Liebhaber mehr auf als wenn man irgendeinen Nazarener in der „Salome“ gibt. Insofern wird er wohl mit dem Engagement zufrieden sein können.
Ann-Beth Solvang ist jene Ursula, die mit Christiane Karg das wunderschöne Duett der Frauenstimmen singen darf, Thomas Engel und Martin Snell geben einen Papa und einen General, und Miklós Sebestyén hat den Sonderauftritt als lächerlicher Komponist Somarone (mit dem Berlioz, wie man nachlesen kann, seinen Kollegen Spontini veralbern wollte).
Hier zeigt sich dann ein Problem des Abends, dessen Dialoge nicht komponiert sind, sondern – wie allermeist in der Comique – gesprochen werden. Nun hat das Theater an der Wien wieder einmal international besetzt, aber außer in einer Mini-Nebenrolle („Une femme“) ist kein Franzose (Französin) dabei. Deutschland und die Schweiz, Schweden und Norwegen, Weißrussland und Neuseeland stellen die Besetzung, und Kasper Holten hat sich einen Jux daraus gemacht, dass der (originale) Ungar, der hier als Somarone ins Geschehen platzt, dann auch Deutsch sprechen darf. Das ergibt nicht nur eine Pointe, sondern auch Erleichterung beim Publikum, das beim allgemeinen bemühten französischen Radebrechen der Darsteller wohl kaum Chancen hatte, viel zu verstehen. Und man fragt sich eigentlich, warum man die gesprochenen Dialoge nicht auf Deutsch gewagt hat – und warum nicht französisch dazu singen? Hat die Comique eine Logik? Wenn überhaupt, dann doch nur die, das Publikum zu unterhalten. Und das wäre auf Deutsch (selbst wenn einige auch dieses radebrechen würden) doch eher gewährleistet gewesen?
Egal, der Abend war trotz aller gelungener Machart nicht wirklich zu retten, auch nicht von dem prächtigen Arnold Schoenberg Chor (geleitet von Erwin Ortner), nicht vom ORF Radio-Symphonieorchester Wien, das unter der Leitung des Briten Leo Hussain (derzeitiger musikalischer Leiter am Landestheater Salzburg) die lyrischen Stellen besonders schön, die dramatischen vielleicht ein wenig zu grobschlächtig bewältigte.
Es gab den höflichen Applaus eines Publikums, das die Sänger nicht enttäuschen wollte, aber ganz offensichtlich nicht vor Begeisterung von seinen Sitzen gerissen worden war. Fazit: „Viel Lärm um nichts“ war also auf der Opernbühne, um bei Shakespeare zu bleiben, „Verlorene Liebesmüh“.
Renate Wagner