WIEN /Tanzquartier/Wien Modern: DD Dorvillier: „Danza Permanente“ und Zeena Parkins „Captiva“
Ein zweiteiliger tänzerisch-musikalischer Abend voller Überraschungen. Im ersten Teil übersetzt die französische Choreografin DDDorvillier Beethovens Streichquartett Nr. 15 a-Moll op. 132 in Tanz, ohne dass die Musik erklingt. Das folgende Konzert der Harfenistin Zeena Parkins enttäuschte sicher viele mit Harfen-Musik verbundene Erwartungen, verschaffte dafür ein Erlebnis ungeahnter Qualität.
DD Dorvillier: „Danza Permanente“
Zählen, zählen, zählen! Manchmal auch laut. Die Anforderungen an die vier TänzerInnen, die die Streich-Instrumente (zwei Violinen, Viola, Violoncello) verkörpern, sind immens. Die von Zeena Parkins analysierte Original-Musik Beethovens setzte DD Dorvilier in eine bis ins Feinste die musikalischen Strukturen wiedergebende Choreografie um, die höchst konzentriert, klar gegliedert und scheinbar mechanistisch auf die Bühne gebracht wird. Die Gliederung in fünf Sätze verschiedenen Charakters, die satz-internen musikalischen Entwicklungen und die Stimmführung der einzelnen Instrumente sowie deren Zusammenspiel werden in Bewegung übersetzt, die in ihrer Konkretheit bis in tänzerische Symbole für die dem ersten Satz zu Grunde liegende Viertongruppe gis-a-f-e reicht.
danza-permanente.c: thomas-dunn
Das Licht-Design von Thomas Dunn unterstützt mit fließenden Übergängen den Wechsel der Stimmungen. Insbesondere dem dritten Satz, den Beethoven nach einer Unterbrechung der Arbeit an diesem Quartett, verursacht durch eine schwere Krankheit, komponierte und den er „Heiliger Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit, in der lydischen Tonart. Molto adagio – neue Kraft fühlend“ nannte, wird durch Licht-Säulen auf den die Bühne rahmenden grauen Vorhängen eine feierliche, beinahe sakrale Atmosphäre verliehen.
Man sieht die Taktarten, hört die Rhythmik, spürt die kompositorischen Strukturen durch die Positionierung der Tänzer im Raum, durch deren partiell synchron getanzte, dann wieder aus der Gruppe herausgehobene, solistisch performte Teile. Man fühlt Punktierungen und Synkopen, das Licht macht crescendo und decrescendo, und schließlich hört man Musik in seinem Kopf. Die TänzerInnen machen uns zu Komponisten unseres eigenen Streichquartetts.
1825, als Ludwig van Beethoven sein fünf-sätziges Streichquartett Nr. 15 a-Moll op. 132 in Wien komponierte, war er bereits fast taub. Die ebenfalls von Zeena Parkins gestalteten Sound-Einspielungen können verbliebenen akustischen Wahrnehmungen Beethovens ähnlich sein. Gewitter, ungedämpfte Klaviersaiten dröhnen, Rauschen, Zischen, Vögel, die Saiten von Streich-Instrumenten werden gekratzt, Glocken-Geläut, auch Straßen- und Verkehrslärm. Und da wird Taubheit aktuell, die akustische wie die seelische. Der Lärm des Alltags zerbrüllt die Zwischentöne, die Poesie im Leben. Wundervoll!
danza-permanente. c: thomas-dunn
Hoch konzentriert tanzen Katerina Andreou (Violine), Liza Baliasnaja (Violine), Sebastien Chatellier (Viola) und Walter Dundervill (Violoncello) in ihren verschiedenfarbigen Kostümen eine abstrakte Choreografie, der man die für ihre Kreation erforderliche Sensibilität ansieht. Im Zusammenspiel mit Licht und Sound entsteht ein faszinierendes Tanz-Experiment. Das Publikum war begeistert.
Das Spiel des fünften Satzes mit seiner Beendigung, Beethoven (und DD Dorvillier) narren ihr Publikum mit pompösen Schluss-Akkorden, um fortzufahren, ist eine Freude. Und wieder kracht ein Klavier. Von den eingangs eingespielten Worten „Geburt“, „Schule“, „Arbeit“ und „Tod“ werden nur die ersten zwei in das finale Durcheinander gestreut. Denn zu Ende ist’s am Ende lang noch nicht!
Und braucht es denn erst eine Kooperation mit Wien Modern, um im Tanzquartier Wien wieder Tanz sehen zu können?
Zeena Parkins: „Captiva“
Die international renommierte US-amerikanische Harfenistin Zeena Parkins, die für das vorangegangene Tanz-Stück die Analyse, die Musik-Regie und die Akustik beisteuerte, gab nach einer halbstündigen Umbau-Pause ein Solo-Konzert. 50 Minuten dauert ihr nach seinem Entstehungsort, einer Florida vorgelagerten Insel, benanntes dreisätziges Werk für Harfe, Elektronik und mechanische Klangerzeugungs-Hilfsmittel.
Im Zentrum der Bühne die große Harfe, zwei Tische mit Elektronik und Utensilien zur Klangerzeugung an den Seiten, auf dem Boden ein 10er Pedal-Board, etwa 15 Stühle im Halbkreis um sie herum. Die gern angenommene Einladung an das Publikum, dort Platz zu nehmen, um ein intimeres Konzert-Erlebnis zu haben, ließ die eh schon spürbar geleerte Tribüne noch luftiger erscheinen.
Zeena Parkins erzeugt mit ihrer selbst gebaute Harfe, diversen elektronischen Effekten (Echo, Delay, Pitch, mit schrittweise herabgesetzter Frequenz des verklingenden Echos) und mit diversen Hilfsmitteln (Flaschenbürste, kleine Bogen zu Streichen und Kratzen, feilen-artige lange Latten) musikalische Strukturen und Klänge, zu denen sie sich inspirieren ließ von der Landschaft der Insel Captiva.
Zeena Parkins. c: zeena-parkins
Ihr nuanciertes Spiel in komplexen rhythmischen und harmonischen Strukturen bricht mit den Regeln des klassischen Tonsatzes. Das entspannend-liebliche Plätschern der Harfen-Saiten ist nicht das Ihre. Sie setzt viel Elektronik ein, die sie beherrscht, nicht umgekehrt, und immer nur zur Anreicherung des Klanges, nie im Vordergrund oder zum eitlen Selbstzweck. Zeena Parkins selbst ist auch eine Performerin. Ohne Attitüde, weder musikalisch noch als Mensch, agiert sie musikalisch auf höchstem Niveau. Avantgard auf der Harfe. Ein Höhepunkt.
Rando Hannemann
Tanzquartier Wien in Kooperation mit Wien Modern: DD Dorvillier: „Danza Permanente“ und Zeena Parkins „Captiva“, am 20. und 21. Nov. 2019 in Halle G.