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WIEN / TAG: HÖLLENANGST

04.02.2023 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: TAG / Anna Stoecher

WIEN / TAG: 
HÖLLENANGST
No enlightenment please!
Von Bernd Liepold-Mosser  
Frei nach „Höllenangst“ von Johann Nestroy
Uraufführung
Premiere:  4. Februar 2023

Das TAG ist das „Überschreibungs-Theater“ von Wien. Liest man den Spielplan – Iphigenie, Onkel Wanja oder Geschichten aus dem Wiener Wald – wirkt das wie „klassisches“ Repertoire. Tatsächlich ist es künstlerisches Programm des Hauses, dass in den Interpretationen kein Stein auf dem anderen bleibt. Nestroys „Höllenangst“ geht es in der Fassung von  Bernd Liepold-Mosser genau so.

Was Nestroy am Beispiel der bettelarmen Familie Pfrim erzählt, hat den Zeitgenossen von 1849  nicht gefallen, der Nachwelt viel mehr (nicht nur wegen der prachtvollen Hauptrollen von Vater und Sohn Pfrim). Wo es um Aberglauben geht, geht es auch um echten Glauben, an dem gekratzt wird, vor allem aber haben die Pfrims gegen die Obrigkeit rebelliert, was zwar in Nestroys Sinn, nicht aber in dem der damals Mächtigen war.

Egal, von all dem sieht man im TAG ohnedies nichts, und wenn die wenigen Nestroy-Fachleute im Premierenpublikum untereinander wetten würden, wie viel Original-Text geblieben ist, würde man sich wohl auf „unter zehn Prozent“ einigen.

Vor allem geht es nicht um die Pfrims. Vielmehr hat der Bearbeiter / Regisseur die an sich unwichtige Nebenhandlung, die aus dem französischen Original entlehnt ist, das Nestroy bearbeitet hat, womit das eigentliche Geschehen um die Pfrims nur ein wenig aufgefüttert wird, als alleiniges Geschehen in den Mittelpunkt gestellt. Natürlich dreht sich dabei alles ums Geld (wie bei Nestroy immer, Realist, der er war). Da ist die reiche Erbin Adele zwischen einem ehrenwerten und einem schurkischen Vormund, der ihr Geld will, und einem bei Nestroy eher mäßig interessanten Herren, der ihr heimlicher Gatte und nebenbei Oberrichter ist. Nestroys Wendelin ist zu einer Nebenfigur degradiert, Vater Pfrim gestrichen, einen Teil seiner Funktion übernimmt Mutter Pfrim, weil wir ja angeblich in einer Frauenwelt leben.

Der Veitstanz, der sich auf der Bühne begibt, dreht sich um die Interessen des Kapitalismus, die Sprache ist äquilibristisch  jene der Digitalisierung (mit so vielen Fachausdrücken gespickt, dass sogar die Darsteller manchmal stolpern), statt des vermeintlichen Teufels gibt es eine vermeintliche Windows-Verschwörung.

Und dank des Musikers Oliver Welter, der am Rand der Szene mit voller Verstärkung dauernd gefordert ist, wird auch so etwas wie ein Austro-Pop-Musical daraus, wobei die Couplet-Texte nicht gerade Nestroy-Format haben, aber sehr Wienerisch sind – „Oarsch“ zählt da zu den Lieblingsworten.

Die Darsteller toben souverän herum –  Jens Claßen gibt einen Bösewicht im Rumpelstilzchen-Format, Georg Schubert einen Verfolgten als Sandler, Emanuel Fellmer suhlt sich in Skrupellosigkeit und ist auch kein Sympathieträger und Andreas Gaida als Wendelin so gut wie nicht vorhanden.

Mehr erreichen die Damen – Lisa Schrammel reißt sich für die Doppelrolle als reiche, entschlossene Adele und resolute Wendelin-Freundin Rosalie wahlweise die Perücke vom Kopf, und Petra Strasser steht als selbstbewusste Prekariats-Frau ihre – Frau.

Mit Nestroy hat das Ganze wirklich nichts zu tun (auch wenn Dramaturgen und Regisseure wortgewandt Analogien behaupten), Nestroyaner sollten also fern bleiben. „Tagianer“, die sich wohl um den originalen Nestroy nicht bekümmern und die Premiere bis zum letzten Platz füllten, haben sich eineinhalb Stunden lang bestens unterhalten und reichen Beifall gespendet.

Renate Wagner

 

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