WIENER STAATSOPER: WOZZECK von Alban Berg – 30.3.2013
Simon Keenlyside, Anna Schwanewilms. Foto: Wiener Staatsoper
Die Wiederaufnahme von Alban Berg’s Wozzeck nach jahrelanger Abwesenheit an der Wiener Staatsoper gestaltete sich in musikalischer wie auch in dramatischer Hinsicht zu einem der Höhepunkte der Saison.
Mit Hingabe und großer Ausdruckskraft widmeten sich Franz Welser-Möst und das Orchester der Wiener Staatsoper der Partitur. Aus dem Orchestergraben erklang die Musik Berg’s mit großer dramatischer Kraft und Spannung. Die vielen instrumentalen Formen, die man im Wozzeck findet, ergaben unter Welser-Möst ein expressionistisches Seelendrama von höchster Intensität.
Nachdem er zu Beginn der Serie noch nicht ganz zu seiner Form gefunden hat (kein Wunder bei diesem Wetter) konnte Simon Keenlyside als Wozzeck nun in der dritten Vorstellung mit beeindruckenden Farben, über die seine schöne, warme Baritonstimme verfügt, überzeugen, und somit rein akustisch sehr viel von der Gefühlswelt dieses Wozzeck vermitteln. Das dazu noch in perfektem, akzentfreiem Deutsch. Vielleicht ist sein Bariton aber auch schon fast zu schön für diesen gebeutelten Charakter. Den „belcantesken“ Schönklang – den man von Keenlyside zum Beispiel in Werken von Mozart, Verdi oder auch in französischen Opern so genussvoll zu hören bekommt – kann er hier natürlich nicht ausspielen. Gelegentlich schien er in seiner stimmlichen Prägnanz an seine Grenzen zu kommen, wenn er vom sehr kraftvollen Dirigat bedrängt wurde.
Rein darstellerisch lieferte Keenlyside eine Sensation. Dieser Wozzeck wirkte von Anfang an, als stünde er neben sich. Er hat seine Ticks, streicht sich wiederholt nervös über sein Gesicht, wird von einer inneren Unruhe beherrscht, hat einen starren, geradezu beängstigenden Gesichtsausdruck und wenn der Hauptmann ihm im ersten Bild sagt „Wozzeck, er sieht immer so verhetzt aus“ trifft das im Falle von Keenlyside’s Darstellung den Nagel auf den Kopf. Diese Intensität verstärkte sich sogar noch von Bild zu Bild bis zu den packenden Finalbildern. Da konnte man wirklich nicht mehr die Augen vom britischen Bariton wenden. Gäbe es einen Oscar für Opernsänger, hätte Keenlyside diesen an diesem Abend locker gewonnen.
Da hatten es die übrigen Protagonisten sehr schwer. Anne Schwanewilms, deren silbriger Sopran im Richard-Strauss-Fach so geschätzt wird, konnte als Marie nicht rundum überzeugen. Diese Marie wirkte schon beinahe aristokratisch in ihrer Erscheinung und agierte etwas zu zurückhaltend in ihrem Auftreten. Rein gesanglich ließ Schwanewilms einen schönen lyrischen Sopran hören, mit dem ihr durchaus berührende Momente gelangen. So erzeugte ihr weicher Sopran in der Bibelstelle eine starke Expressivität. Für die großen dramatischen Ausbrüche schien es ihr gelegentlich doch an Kraft zu fehlen.
Rein optisch war der Lackl von einem Tambourmajor von Gary Lehman ein optimales Gegenstück zu Keenlyside’s schlanker Erscheinung des Wozzeck. Leider zeigte die kleine Tenorstimme von Lehman wenig Wirkung und so muß es wohl die Gestalt des Majors gewesen sein, die Marie so beeindruckte. Die eigenwillige Stimme von Herwig Pecoraro ist sicher eine Frage des Geschmacks, den widerlichen Hauptmann verkörperte er mit Genuss. Wolfgang Bankl gab einen sehr gehaltvollen Doktor. Leider neigte Bankl zu gelegentlich undeutlicher Diktion bzw. abenteuerlicher Aussprache.
In der Rolle des Andres bestätigte Norbert Ernst seinen guten Ruf als wichtiges Mitglied im Ensemble und Monika Bohinec ließ als Margret mit pastosen Tönen aufhorchen.
Das Ensemble komplettierten Marcus Pelz und Clemens Unterreiner als Handwerksburschen und Peter Jelosits als Narr.
Anne Schwanewilms, Simon Keenlyside. Foto: Wiener Staatsoper
Es heißt, Wozzeck ist ein Werk, welches man dem Publikum schwer verkaufen kann. Die Vorstellung war jedoch ausverkauft und der Stehplatz voll. Und wenn Musiktheater (ein Wort, das zum Wozzeck besser passt als das Wort Oper) so beklemmend und packend präsentiert wird, erklärt sich der Jubel – der sich auf Welser-Möst, Keenlyside und auch auf Schwanewilms konzentrierte – praktisch von selbst.
Lukas Link