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WIEN / Staatsoper: WOZZECK

Alban Bergs Oper ist beim Wiener Publikum endlich angekommen: Die Inszenierung?

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Jörg Schneider (Hauprmann) und Johannes Martin Kränzle (Wozzecck). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhl

WIEN / Staatsoper: WOZZECK

6. Aufführung in dieser Inszenierung

29. März 2023

Von Manfred A. Schmid

Simon Stones Inszenierung von Alban Bergs Wozzeck, in der die in geistige Verwirrung getriebene, schamlos ausgebeutete Titelfigur aus der existenziellen Zeitlosigkeit in die Wiener Gegenwart, inklusive Würstelstand, U-Bahnstation, Donauinsel und Arbeitsamt, versetzt wird, legt den Finger auf mehrere soziale Wunden, die auch weiter aktuell und derzeit sogar im Steigen begriffen sind: Es geht um prekäre Lebensumstände, in denen ein Arbeitswilliger mehrere Jobs annehmen muss, um seine Frau, sein Kind  und sich über die Runden bringen zu können, um wahnhafte Verschwörungstheorien, mit denen Wozzeck die gesellschaftliche Misere generell und seine eigene Notlage ursächlich zu erklären versucht („Es sind die Freimaurer!“), um Untreue als Folge des Versuch einer Frau, dem sozialen Abstieg zu entkommen, und um Femizid als verzweifelte Antwort auf für unlösbar befundene Probleme. Auch eine transzendentale Dimension ist vorhanden, wenn Wozzeck meint, dass Leute wie er wohl auch im Himmel weiter ausgebeutet würden und dann beim Donnern mithelfen müssten. Die Transponierung, wenn auch mit einigen Bruchstellen behaftet, ist Stone weitgehend gelungen, bringt aber dennoch – beim dritten Hinsehen – nicht allzu viel Gewinn. Die unablässig in Bewegung befindliche, sich im Kreis drehende Bühne von Bob Cousins, die Wozzeck von einem Schauplatz in den anderen überwechseln lässt, ist aber ein geeignetes Mittel, um sein Gehetztsein und seine Getriebenheit, seinen zu nichts führenden, endlosen Lauf im Hamsterrad anschaulich vor Augen zu führen

Johannes Martin Kränzle, bewährter und gefeierter Sänger-Schauspieler mit Weltruf, ist diesmal der zum Mörder werdende Mann im Hamsterrad. Schon merkwürdig, dass es so lange gedauert hat, diesen Bariton, der 2017 als Wozzeck in Paris glänzte, nach Wien einzuladen. Umso mehr durfte man auf sein Hausdebüt gespannt sein. Als Wozzeck überzeugt er mit darstellerischen Fähigkeiten, die es ihm erlauben, diesen bemitleidenswerten Verlierertyp glaubwürdig auf die Bühne zu stellen. Gesanglich kann er die hohen Erwartungen leider nicht erfüllen, da er – wie man im Nachhinein erfahren musste – kurzfristig infolge einer Erkältung indisponiert ist, sich aber nicht so ankündigen lassen wollte. Da bei Berg allerdings ohnehin mehr eine Art Sprechgesang angesagt ist, kann man damit dennoch ganz gut leben und eine vielversprechende Performance erleben. Bleibt zu hoffen, dass sich Kränzle in einer der Folgevorstellungen stimmlich voll entfalten kann.

Neu ist auch die Marie besetzt. Die amerikanische Sängerin Sara Jakubiak verfügt über eine, kraftvollen, ausdrucksstarken, samtig klingenden Sopran. Maries Schuldgefühle angesichts ihrer Affäre mit dem schmucken, von Sean Pannikar souverän gestalteten Tambourmajor sind ebenso berührend wie ihr Umgang mit ihrem Sohn (Asael Dragos).

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Sara Jakubuak (Marie) und Johannes Martin Kränzle (Wozzeck)

Schon in der Premierenbesetzung wusste Jörg Schneider als geschwätziger, stets von Moral redender Hauptmann zu überzeugen. Sein aberwitziger, pointierter Sprechgesang ist, im Verein mit seiner einzigartigen komödiantischen Darstellungskunst, diesmal wohl die stärkste Leistung des Abends. In der tristen, der Katastrophe zustrebenden Handlung ist diese scheinheilige Amtsperson eine wahnwitzige, lächerliche, aber auch – trotz aller Sozialkritik –  für leise Heiterkeit sorgende Figur.

Ebenfalls in dieser Inszenierung schon bewährt hat sich Dmitry Belosselskiy als gewissenloser Arzt, der – angeblich um der Forschung Willen, aber eigentlich nur aus Eigennutz und in Erwartung von öffentlichem Ruhm – an Wozzeck herumexperimentiert. Sein Doktor ist ein Vorläufer der in den Konzentrationslagern mit „Menschenmaterial“ hantierenden Ärzte.

Debüts in Nebenrollen sind bewährten wie auch jungen Ensemblemitgliedern anvertraut. Monika Bohinec ist eine selbstbewusste, mit ihren Reizen verlockende Margret, Daniel Jenz ein etwas zu unauffälliger Freund Andres, Andrea Giovannini ein fein gezeichneter Narr.

Im Gespann der beiden Handwerksburschen, die betrunken schwadronieren und in Biertischlaune philosophieren, ist Evgeny Solodnikov ein trefflicher Neuzugang an der Seite des bereits erprobten Stefan Astakhov.

Ein exzellenter musikalischer Leiter der Aufführung ist Philippe Jordan am Pult des Orchesters der die als Höhepunkt des Expressionismus geltende Oper fein differenzierend und dynamisch perfekt auslotend zum Klingen bringt. Hervorragend klappt die Einbindung der folkloristisch verzerrend tönenden Bühnenmusiker und der markanten Einsätze des Chores.

Fast hundert Jahre nach der Uraufführung scheint Alban Bergs bahnbrechende und als schwierig geltende Oper etwas von ihrem Schrecken verloren zu haben. Die Spannung im Publikum, die Anteilnahme am Geschehen sind vom ersten Ton an spürbar da, der Beifall am Ende nicht ohne begeisterte, dankbare, betroffene Zustimmung. Ob damit auch die Inszenierung gemeint ist, bleibt abzuwarten.

 

 

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WIEN / Staatsoper: WOZZECK

25.03.2013 | Oper

WIEN / Staatsoper:
WOZZECK von Alban Berg
Wiederaufnahme: 24. März 2013
32. Aufführung in dieser Inszenierung

Seit mehr als einem Vierteljahrhundert (Premiere einst: 12. Juni 1987) steht diese Aufführung von Alban Bergs „Wozzeck“ auf dem Repertoire der Wiener Staatsoper, oft hat man das Werk nicht gespielt, aber immer wieder (zuletzt 2005) in „Wiederaufnahmen“ neu poliert, was durchaus eine vernünftige Entscheidung ist. Denn die Produktion von Regisseur Adolf Dresen (der auch schon seit einem Dutzend Jahren tot ist) und Ausstatter Herbert Kapplmüller bietet einen zwar nicht „regie“-überfrachteten, aber eindrucksvollen Rahmen für die so entsetzlich tragische Geschichte. Da man in einer klaren, schlichten Szenenfolge nicht „gestört“ wird, kann man sich auf Musik und Darsteller konzentrieren. Und auf diesem Gebiet war diese „Wiederaufnahme“ eindrucksvoller als alles, was bisher in dieser Spielzeit in der Staatsoper als „Premiere“ daherkam.

Das ist in diesem Fall zuerst Franz Welser-Möst zu danken, der bei „innovativer“ Musik (wenn man es so ausdrücken darf – natürlich war Mozart zu seiner Zeit auch innovativ!) immer noch ein bisschen überzeugender wirkt, bei Janacek eben, Hindemith oder nun bei Alban Berg. Der „Wozzeck“ ist für Dirigenten und große Orchester ja nicht zuletzt der Zwischenspiele wegen reizvoll, in denen Berg nicht nur Formenreichtum hören lässt, sondern auch eine expressive Ausdruckskraft, die oft von geradezu „schreiender“ Wirkung ist. Welser-Möst hat für diesen seinen ersten „Wozzeck“ mit den Wiener Philharmonikern Abgründe von musikalischen Emotionen entfesselt, die den Zuhörer voll in das nervenzerfetzende Seelendrama der Hauptfigur stürzten. Abgesehen davon, dass man den Interpreten auch in ihre virtuose Technik folgen konnte, mit der sie die von Berg verwendeten Formen (ob Ländler, Marsch, Lied, Polka usw.) umsetzten. An solchen Abenden weiß man es wieder einmal ganz besonders zu schätzen, dass eines der weltbesten Orchester im Graben der Wiener Staatsoper sitzt…

Simon Keenlyside ist zweifellos einer der interessantesten Sängerdarsteller auf den gegenwärtigen Opernbühnen der Welt. Er feilt sich seine Rolleninterpretationen stets ganz persönlich zurecht. Sein Wozzeck ist nicht der arme tumbe Kerl – bei ihm merkt man von Anfang an, dass hier im Kopf etwas nicht stimmt. Die kleinen Ticks, mit denen er versucht, sich selbst offenbar zum Funktionieren zu bringen. Die unruhigen Bewegungen, die anzeigen, dass das wohl ein Borderline-Patient ist (Kunststück, bei den Experimenten, die man mit ihm macht). Die innere Hektik, die ihn offenbar treibt und treibt und treibt – bis zum letalen Ende. Dabei kein Pathos, kein künstliches Theater, keine mitleiderregende Hascherl-Manier: Ein Fremder in dieser Welt, vor dem man verwirrt zurückweicht… Angesichts von Bergs atonaler Stimmführung sind Sängerleistungen nicht so glatt zu beurteilen wie bei Mozart oder Verdi: Möglich, dass Keenlyside (mit hervorragendem Deutsch übrigens, ganz ohne das „englische“ Akzent-Geknödel) hier an seinen Grenzen singt. Beim Rigoletto fällt ein diesbezügliches Urteil sicherlich leichter. Die Leistung als Ganzes jedenfalls war atemberaubend, vor allem in ihrem gänzlich unkonventionellen Zuschnitt.

Auch Anne Schwanewilms glich keiner Marie, die man je gesehen hat, aber bei ihr fällt die Interpretation leichter: Diese hübsche schlanke Blondine strahlt einfach „höhere Tochter“ aus, sie hat sich vermutlich in dieses Milieu verirrt, die Lebensgier und Sinnlichkeit, die arme Haut in der Verwirrung ihrer Wünsche und Begierden einerseits, in ihren(Wozzeck gegenüber dankbaren) Gefühlen glaubt man ihr nie und nimmer. Sie kann die Höhen der Partie singen, die Kraft, die sie braucht, vermisst man. Auf Wiedersehen als Arabella.

Mit Ausnahme von Peter Jelosits, der den Narren schon bei der Premiere (!) gesungen hat, waren alle Hauptrollen des Abends neu besetzt. Gary Lehman, der als eitel-dummer Tambourmajor als gewaltiges Stück Mann auf der Bühne steht, könnte in einer Wagner-Rolle wohl mehr hören lassen. Herwig Pecoraro als Hauptmann und Wolfgang Bankl als Doktor sind jene Zerrbilder der Gesellschaft, die Menschen wie Wozzeck lustvoll-sadistisch zu Tode hetzen. Norbert Ernst als Andres bringt zumindest ein mitmenschliches Element ein. Kurz, aber in der Szene prägnant: Monika Bohinec als Margret. Auch neu im Gewühl der Schankszene, wo sich auch der Chor bewährt: Marcus Pelz und Clemens Unterreiner als Handwerksburschen.

„Wozzeck“ ist ein schwieriges, sperriges Werk. Aber so interpretiert, geht es gewaltig unter die Haut. Es gab Publikumsjubel, wie ihn sonst nur einfachere Werke erringen.

Renate Wagner

 

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