WIEN / Staatsoper: WIEDERAUFNAHME von Paul Hindemiths CARDILLAC
12. Aufführung in dieser Inszenierung
2. November 2022
Von Manfred A. Schmid
Es war ein mutiger Schritt des neuen Führungsteams der Wiener Staatsoper, dem Wiener Publikum 2010, bald nach Amtsantritt, ausgerechnet Paul Hindemiths 1926 uraufgeführte, vom Expressionismus und Neuer Sachlichkeit geprägte Oper Cardillac darzubieten. Die Rechnung von Staatsoperndirektor Dominique Meyer und seinem kurzzeitigen Generalmusikdirektor Franz Welser-Moest ging auf: Die Oper über den besessenen Pariser Goldschmied Cardillac, der sich von seinen von ihm geschaffenen Kunstwerken nicht trennen kann und deren Käufer reihenweise ermordet, geriet zu einem Ereignis, wurde begeistert akklamiert und zählt zu den bedeutendsten Produktionen der Ära. Trotzdem brachte sie es in zwölf Jahren gerade einmal auf 11 Aufführungen, bis es nun unter Bogdan Roscic – nach Anläufen 2012 und 2015 – erneut zu einer Wiederaufnahme des Werks kommt.
In seiner fein durchchoreographierten Inszenierung lässt sich Sven Eric Bechtolf vom deutschen Stummfilm à la Fritz Lang und Frank Murnau inspirieren. Er setzt auf expressionistische Licht-Schatten-Effekte und hat für jede Figur eigentümliche Bewegungsabläufe entwickelt, die grotesk wirken, was im Falle von Cardillacs Tochter dazu führt, dass sie wie ein von ferne gesteuerter Automat dahertrippelt, was viel über ihre Beziehung zum Vater aussagt. Wenn der Goldschmied sich, in einen schwarzen Umhang gehüllt, auf einen seinen nächtlichen, mörderischen Streifzüge begibt, erscheint im Hintergrund der riesige, bedrohliche Schatten einer Nosferatu-Figur. Vortrefflich dazu passen die schwarz-weiße und – im Atelier Cardillacs – in Gold gehaltenen Bühne von Rolf Glittenberg sowie die damit perfekt korrelierenden Kostüme von Marianne Glittenberg.
Auf Basis dieser gediegenen Voraussetzungen und unter der kundigen, geradezu leidenschaftlichen Leitung von Cornelius Meister gerät auch dieser Opernabend zu einem Ereignis. Von „Kakophonie“, wie bei der Uraufführung kritisiert, die – nach der Machtübernahme der Nazis – dazu führte, dass Hindemith mit einem Aufführungsverbot belegt wurde, kann heute keine Rede mehr sein. Die Musik ist in steter Vorwärtsbewegung und sorgt die meiste Zeit für eine erregte, nervös aufgeladene, geradezu elektrisierende Spannung. Das beginnt schon mit dem Anfangschor, in dem die Volksmassen ihren Aufruhr wegen der jüngsten Serie von Morden in der Stadt Ausdruck verleihen. Der Staatsopernchor, vortrefflich einstudiert von Thomas Lang, leistet ganze Arbeit, auch das Staatsopernorchester zeigt sich in Bestform und lässt auch die wenigen leiseren, dafür umso wichtigeren Passagen, die vor allem der eleganten wie auch lasziven Dame – hervorragend Stephanie Houtzeel – vorbehalten sind, fein konturiert hervortreten.
Thomasz Konieczny, der den Goldschmied schon 2015 gesungen hat, nachdem der 2012 zunächst als Goldhändler zum Einsatz gekommen war, ist ein selbstbewusster, sich keiner Schuld bewusster, von seiner Besessenheit getriebener Künstler, der sich vor allem als Bewahrer und Retter der Kunst versteht, sowie als Rächer ihrer Entehrung durch schnöden Mammon. Das ist wohl der Grund, wieso in Bechtolfs Inszenierung die Geschichte nicht damit endet, dass er von der Menge, als Täter entlarvt, erschlagen wird, sondern mit seiner darauffolgenden, geradezu kulthaften Verehrung. Wie ein Denkmal erhebt er sich, nun ganz in Gold gehalten, in die Höhe und wird angebetet. Koniecznys Markenzeichen, sein gaumiger Bariton und die dunklen Vokale, führen dazu, dass man sich an seine markanten Auftritte als Wotan und Alberich erinnert, die beide auch nach dem Gold gieren, dafür ebenfalls bitter büßen und dem Untergang geweiht sind.
Als „Die Tochter“ Cardillacs zeichnet Vera-Lotte Boecker eine ihrem Vater treu ergebener Tochter, die leidvoll erfahren muss, dass sie ihm gar nicht so wichtig ist wie seine Kunst. Als sie sich verliebt, geht sie zunächst davon aus, dass er sie nicht so leicht hergeben werde. Er aber stimmt ungerührt und sofort zu. Erst als ihr Bräutigam, „Der Offizier“, ihr eine von ihrem Vater gemachte Kette schenken will, beginnen die Probleme und gerät er in akute Lebensgefahr.
Herbert Lippert hat den Offizier bereits vor zehn Jahren voll Inbrunst gestaltet, war aber schon damals angesichts der fordernden Rolle stellenweise an seine stimmlichen Grenzen gestoßen. Dass er diese Partie auch jetzt noch erstaunlich gut bewältigt, ist mehr als bewundernswert, auch wenn ihm die Erschöpfung am Schluss schon deutlich anzumerken ist. Dazu muss man wissen, dass Lippert wohl in letzter Minute für den ursprünglich vorgesehenen Rollendebütanten Gerhard A. Siegel eingesprungen ist. Respekt!
Wolfgang Bankl ist ein kraftvoller, imponierend singender Goldhändler, der wegen seiner Tätigkeit, Cardillacs Kunstwerke an den Mann zu bringen und damit Geschäfte zu machen, von diesem verachtet wird. Daniel Jenz als „Der Kavalier“ bringt an der Seite von Stephanie Houtzeel eine sinnliche Note ins Spiel, die das lockere Leben der tollen 20-er Jahre aufleben lässt.
Der Applaus im nicht sehr ausgelasteten Opernhaus dauert im einiges länger, als dies tags zuvor bei La Traviata der Fall war. Er ist gerecht auf das ganze Ensemble – inklusive Chor – aufgeteilt und erreicht bei´der Verbeugung von Dirigent Cornelius Meister seine höchste Intensität. Es war ja auch ein mörderisch guter Abend.