Copyright: Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper
Wiener Staatsoper, 12.6.2020: „UNA FURTIVA LAGRIMA“ – Ensemblemitglieder singen Belcanto-Stücke
Endlich wieder in der Oper sein! Kein streaming als Notfalls-Programm daheim auf der Couch, aber auch kein Flanieren durch dieses zauberhafte Haus am Ring, keine Pause, kein Anstellen am Buffet – wie sehr hat man das vermisst! Vor der Vorstellung herrscht eine ungewöhnliche Stille, ohne letztem Plaudern und ohne Orchester, das sich einstimmt. Die eigene Spannung ist – wie immer – spürbar, aber von den Nachbarn ist nichts zu fühlen: sie könnten gar nicht nebenan sitzen, da die Sitze im Parkett entfernt wurden. Es erschließt sich einem nicht, warum in diesem riesigen Haus nicht mehr Zuhörer als exakt 100 Gäste erlaubt sein dürfen; zumindest eine Person pro Loge und die Öffnung von Galerie und Balkon mit den entsprechenden Abstandregeln würde infektionsbedingt völlig ungefährlich sein. Trotzdem könnten viel mehr Besucher diese geschichtsträchtigen Konzerte erleben und das stets hart arbeitende, ausgezeichnete Ensemble hätte die Möglichkeit, sich „würdiger“ vom Wiener Publikum zu verabschieden. So aber klingt der Applaus wie ein „Lüfterl“, wenn das intime Konzert mit Svetlina Stoyanova im sommerlichen Blumenkleid beginnt. Die hübsche Bulgarin verfügt über eine wunderschöne Klangfarbe im hohen und tiefen Register und kann bei „Cruda sorte“ als kokette Isabella aus „L´italiana in Algeri“ überzeugen.
Jongmin Park. Copyright: Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper
Danach folgt ein Höhepunkt: Jongmin Park betritt die Bühne und Rossinis berühmte „Verleumdungs-Arie“ aus „Il barbiere di Siviglia“ erklingt mit wunderbaren Crescendi in reinstem Belcanto. Mit Raffinement und Witz, voluminöser Stimme, zeitweise flüsternd, dann wieder donnernd, stets genial mimisch und gestisch untermauert, erleben wir eine herrliche „Calunnia“. Der Bass fixiert immer wieder einzelne Leute im Parkett und wenn man für einige Zeit intensiv angeschaut wird, hat man das Gefühl, der fantastische Sänger singt nur für einen selbst – ein ungewöhnliches, aber außergewöhnliches Erlebnis. Die Rezensentin möchte sich hiermit hundert Mal bei Direktor Dominique Meyer für das Engagement dieses ausgezeichneten Basses und die hunderte unvergesslichen Interpretationen des Südkoreaners im slawischen, italienischen, deutschen, französischen Fach bedanken. Es war immer allerhöchster Genuss! Man wird ihn im nächsten Jahr in Wien schmerzlich vermissen und kann nur hoffen, dass Herr Park bald wieder an die Staatsoper zurückkehren darf.
Ein weiteres Stück aus dem „Barbiere“ steht auf dem Programm: Rachel Frenkel beginnt wehmütig und allein „Contro un cor“ als sich Partner Josh Lovell hinter dem Klavier an sie heranschleicht. Die beiden Stimmen harmonieren ausgezeichnet, was man in Wien vor allem schon im „Midsummer Night´s Dream“ bemerken konnte. Der Pianist spielt kurz den eifersüchtigen Bartolo und trennt das Liebespaar mit energischen Handzeichen, als sie einander zu nahekommen – was in Corona-Zeiten zusätzliche Auslegungen zulässt.
Valentina Nafornita. Copyright: Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper
Jinxu Xiahou erfreut sich als nächster über eine Flasche Bordeaux und stimmt „Caro elisir! Sei mio!“ an. Der Tenor mit Stimmgewalt und Höhensicherheit lässt sich auch nicht von Partnerin Valentina Nafornita vom Tanzen abhalten und scheint mächtig viel Spaß als betrunkener Nemorino zu haben. Die Moldawierin übersteuert etwas in der Höhe und hat –nach meinem Eindruck– nicht mehr die stimmliche Beweglichkeit einer Adina. Sie zeigt sich aber spielfreudig und sieht wieder fantastisch aus.
Während der kapriziösen Kavatine „Quel guardo il cavaliere“ aus „Don Pasquale“ blättert Andrea Carroll im aktuellen Prolog der Wiener Staatsoper und streichelt zärtlich das Foto des Operndirektors als sie vom Ritter Ricardo singt. Die US-Amerikanerin ist eine quicklebendige Norina mit perlenden Koloraturen, ob hinaufsteigend oder fallend und heftigen Ausbrüchen. Auch darstellerisch wird großartig ein verführerisches und neckisches Charakterbild gezeichnet.
Danach hören wir das gut abgestimmte Terzett „Zitti, zitti, piano, piano“, abermals aus „Il barbiere“ mit Rachel Frenkel, Josh Lovell und Rafael Fingerlos. Während die Liebenden noch schmachten, drängt der „Figaro aus Tamsweg“ ungeduldig zum Aufbruch.
Daniela Fally ist neben Josh Lovell die einzige der 14 SängerInnen des Abends, die auch in der nächsten Saison zum Ensemble der Wiener Staatsoper gehören werden. In unschuldigem Weiß mit reicher Verzierung startet sie die pathetische, große Arie „Ah, non credea mirarti…Ah! Non giunge“ der Amina aus „La sonnambula“ mit kleinen Unsicherheiten. Aber die Niederösterreicherin fängt sich schnell und den zarten piani folgen – federleicht klingende – Koloratur-Attacken, klangvolle Trauer wechseln sich mit Leidenschaft und Sensibilität ab. Eine sehr bewegende Darbietung.
Stephen Hopkins, Margarita Gritskova. Copyright: Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper
Mit 2 stimmtechnisch besonders anspruchsvollen Stücken aus „La Cenerentola“ wird fortgesetzt. Zuerst tritt Josh Lovell – ohne Sven-Eric Bechtolfs groteske Produktion – als Don Ramiro mit „Principe più non sei…Sì ritrovarla“ auf. Mit sicherer Höhe, beweglicher Stimmführung und wohlklingendem lyrischem Tenor wird ein optimaler Prinz von Salerno dargeboten. So überzeugend habe ich den Kanadier noch nie erlebt. Margarita Gritskova hat sich – nicht nur – zur idealen Rossini-Interpretin am Haus am Ring entwickelt. Virtuose, phänomenale Höhe, füllige tiefe Lagen, flexible Stimme mit sehr viel Durchschlagskraft – ihr Mezzo füllt bei „Non più mesta“ das ganze Auditorium, die Herzen fliegen ihr zu und sie schickt Küsschen an die begeisterten 100 Anwesenden zurück.
Erstmals als Don Pasquale an der Staatsoper zu erleben ist danach Sorin Coliban. Mit der langen Rechnung an Ausgaben seiner neuen Angetrauten in der Hand lernt man bei „Signorina, in tanta fretta“ schnell die Realitäten des noch jungen Ehelebens kennen. Als „großer Schrecken“ entpuppt sich eine perfekt agierende Andrea Carroll als kraftvolle und sprühende Furie „Sofrina“. Die Rezensentin hat den Rumänen, der sein Debüt am Haus bereits 2004 gab, noch nie so witzig und komisch erlebt. Nach einem Ellenbogen-Stoß in die Magengegend (in Corona-Zeiten würde die obligate Ohrfeige wahrscheinlich schon zu viel Ansteckungsgefahr ermöglichen) beginnt sein wehleidiges Gejammer „È finita, Don Pasquale“ mit schöner sonorer Tiefe und Stimmgewalt. Obwohl die Sopranistin hohe Stöckelschuhe trägt, reicht sie ihrem Partner nicht einmal bis an die Brust. Trotzdem wird seine Angst vor ihr spürbar und nach dem mitreißenden Duett schleift sie ihn zielsicher – am Schal festgebunden – hinter sich von der Bühne.
In fantastischer Verfassung besingt nun Jinxu Xiahou die „verstohlene Träne“ aus „L´Elisir d´amore“. Mit leuchtenden Farben, schönen Legatobögen und viel Schmelz ertönt die edle Tenor-Stimme und „Una furtiva lagrima“ erfreut alle Zuseher.
Als würdiger Abschluss das Lieblings-Sextett der Rezensentin aus dem Finale des 1.Aktes aus „Il Barbiere di Siviglia“. Ohne Dirigenten ist es für Rachel Frenkel, Sorin Coliban, Josh Lovell, Lydia Rathkolb, Samuel Hasselhorn und Marcus Pelz wohl gar nicht so einfach, sich mit den exakten Einsätzen abzustimmen. Letztgenannter war auch hier noch nie als Bartolo erleben, sondern in dieser Commedia nur als Fiorello zu hören. An diesem Abend überzeugt der Stuttgarter auch mit erstarrter, etwas dümmlich aussehender Mimik. Bei den kurzen vokalen Meldungen des Offiziers springt überraschend der hervorragende Pianist des Abends, Stephen Hopkins, ein. Er ist seit 2010 Solorepetitor und Bühnenmusik-Dirigent an der Wiener Staatsoper und begleitete mit Humor, Esprit und großer Fach-Kenntnis durch diesen wunderbaren belcanto-Abend.
Nach dem sehr langen Schluss-Applaus sei die Frage erlaubt: wer freute sich mehr, dass die Bühne der Wiener Staatsoper für reichhaltige Juni-Konzerten endlich wieder geöffnet wurde? Die fabelhaften SängerInnen des Ensembles oder die wenigen glückseligen Besucher oder die zahlreichen streaming-Gäste? Wahrscheinlich sind alle opernbegeisterten Menschen überglücklich, diese schmerzfreie, ungefährliche „Krankheit“ wieder live spüren und fühlen zu dürfen…
Susanne Lukas