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WIEN / Staatsoper: TURANDOT

28.02.2020 | KRITIKEN, Oper


Wiener Staatsoper / Pöhn

WIEN / Staatsoper:
TURANDOT von Giacomo Puccini
20. Aufführung in dieser Inszenierung
27. Februar 2020

Eine schöne Repertoireaufführung beweist, dass es sich lohnt, sich um Besetzungen zu kümmern – wenngleich natürlich immer Wünsche offen bleiben. Diesmal der größte, in Bezug auf die Titelheldin. Aber die beiden anderen Protagonisten der führenden Rollen machten vieles wett.

Voran Roberto Alagna in dem Mix aus Calaf & Giocomo Puccini, das die Inszenierung von Marco Arturo Marelli auf die Bühne bringt. Der Komponist, vermutlich in seiner Villa in Torre del Lago (?), arbeitet (teils am Klavier) an seiner „Turandot“, tritt als er selbst, aber Calaf verkörpernd, ins Geschehen…Das „bricht“ die Figur, macht sie heutiger und für den Interpreten leichter, der aber dennoch überzeugend der tenorale Prinz und große Liebende sein muss, sonst funktioniert die Geschichte ja nicht. Alagna hat in der Wiener Inszenierung schon gesungen und steht als Darsteller wirklich souverän in der Rolle – wie er den Rätseln der Turandot gegenüber steht und an ihrer Lösung grübelt, zählt zu den spannendsten Momenten des Abends…

 

Darüber hinaus ist bewundernswert, wie der Mitt-Fünfziger das Alter im Schach hält. Das sind nicht nur die Visagisten und Garderobieren, die für sein Aussehen sorgen. Da muss man schon sehr diszipliniert sein, um so schlank und agil zu bleiben – eine Mühe, die sich relativ wenige Kollegen machen. Oder ist das ein Teil dessen, Spitzenklasse zu sein – nicht faul nämlich, in keiner Hinsicht? Bemerkenswert auch, wie sich seine Stimme hält (glückliches Familienleben als Konservierungsfaktor?): Trotz des Metallkerns, den der Calaf braucht, singt er noch „alte Schule“ schön auf Linie, wie es die besten Italiener tun (auch wenn er Franzose ist). „Nessun dorma“ gelang zwar nicht wie das berühmte Vorbild, diesen sinnlichen Schmelz hat wohl keiner mehr, aber wunderbar gesungen, der letzte Spitzenton perfekt, höchstens eine „Idee“ kürzer, als man ihn gerne hätte. Kurz, Signore Puccini als Calaf dominierte den Abend souverän, und Alagna setzte eine Leistung, die man in sein persönliches Buch der „Turandot“-Aufführungen schreiben wird.

Wer die Südafrikanerin Golda Schultz bei ihrem Mozart-Wien-Debut versäumt hat, konnte sie nun in einer wahrlich für sie idealen Rolle hören. Die Lui hat zwar „nur“ zwei Arien und sonst wenig zu tun, aber mit diesem Opfer des eigenen Lebens aus Liebe zählt sie zu den allerstärksten Puccini-Frauenfiguren überhaupt. Und dazu braucht es auch eine besondere Stimme, die Kraft hat, sich aber dennoch ganz leicht in die Höhen schwingt und deren besonderes Kennzeichen als „Innigkeit“ zu beschreiben wäre. Wunderschön, wie Golda Schultz das macht, man hat genügend Lius gesehen, um zu wissen, wie wenige das hin bekommen (und denkt man an den Idealfall der Freni, kommen einem gleich die Nostalgie-Tränen…).

Nun möchte man dem Direktor, der uns so unauffällig aus den Fingern geglitten ist, noch rasch fragen (aber was interessiert es ihn noch angesichts der Probleme, die ihn in Mailand erwarten), warum bitte München eine Anna Netrebko als Turandot hat und die Wiener Staatsoper nicht, so viel schlechter sind wir ja nicht? (Abgesehen davon, dass sie hier auch noch nicht Aida, Tosca, Macht-Leonora gesungen hat, so richtig bemüht hat man sich um die Diva ja wohl nicht.) Die Netrebko wäre es gewesen, die diese Besetzung vermutlich komplett gemacht hätte.

Elena Pankratova hat die messerscharfen, erwarteten Turandot-Höhen, aber das reicht ja nun einmal gar nicht, wenn der Rest der Stimme nicht sonderlich beeindruckt. Diese Dame muss nicht nur (im positiven Sinn) Gänsehaut erzeugen, sondern auch ehrlich faszinieren, und das gelang längere Zeit nicht. Erst am Ende, als sie sich Calaf dann annäherte, als das Eis schmolz, stimmte plötzlich die Chemie mit Alagna – und dass sich die beiden vor dem Vorhang dann auch spontan um den Hals fielen, war absolut echt und ein Zeichen, dass sie doch die Wellenlänge gefunden haben. (Im übrigen sah man #metoo in jeder Geste des Tenors – keiner wagt es mehr, eine Partnerin mehr als distanziert an der Schulter zu halten, sonst kann er sich weiß Gott was anhören…)

Wie schon bei der Premiere waren die drei Minister, die man in früheren Zeiten oft brillant (und ziemlich hoch besetzt) gesehen hat, nicht sonderlich spannend (Boaz Daniel preschte vor, Carlos Osuna und Leonardo Navarro kamen ihm nach). Benedikt Kobel, der immer „jung“ war, ist jetzt beim alten Kaiser gelandet, Ryan Speedo Green beim alten Timur, Paolo Rumetz verkündet, was in Peking alles Böses passiert…

Aber es ist nicht böse, denn der aus Valencia gebürtige Dirigent Ramón Tebar bekam das Werk erstaunlich in den Griff. Gerade bei Opern wie „Turandot“, die so unendlich laut sein können und doch Lyrik aus den Kehlen schmelzen lassen, wo so viel Dramatik losdonnert und doch (etwa mit dem Gesang an den Mond) ganz zarte musikalische Gespinste zu zaubern sind, ist es sehr schwer, allen Nuancen gerecht zu werden und sich nicht von den Extremen hin- und her reißen zu lassen. Es funktionierte.

Und die Inszenierung von Marco Arturo Marelli funktionierte auch (selbst wenn sie der x-te Aufguß eines Konzepts ist, das er überall und dann auch in Wien abgezogen hat), bedient zwar die „Chinoiserie“, macht aber quasi Theater auf dem Theater daraus, was der Sache einige Leichtigkeit gab. Dumme Stellen gibt es immer (wenn die drei Minister mit den Köpfen der toten Prinzen wie Metzger agieren, wenn das Finale eine wirklich dumm-parodistische Hochzeit ist), aber im Vergleich zu dem chinesischen Ausstattungs-Overkill, den man oft gesehen hat, ist die Lösung gelungen.

Das Publikum belohnte das Finale (natürlich, es ist ja laut genug) mit einem Begeisterungsschrei, und Alagna schüttelte auch dem Souffleur (oder Suggeritore?) die Hand. Eine schöne Geste, sich an die zu erinnern, die unbedankt am Gelingen eines solchen Abends mitwirken.

Renate Wagner

 

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