Wiener Staatsoper, Tristan und Isolde, 18. Juni 2013 (Premiere: 13. Juni 2013)
Peter Seiffert, Nina Stemme. Foto: Barbara Zeininger
„Höchste Lust!“ sind die letzten Worte in Richard Wagners elementarem Werk Tristan und Isolde. Und ebendiese verspürte wohl jeder Besucher der zweiten Aufführung der Neuinszenierung an der Wiener Staatsoper. Was will man da meckern, was kritisieren, wenn einen die Musik voll umarmt wie an diesem Abend, wenn Sänger von einer derartigen Präsenz auf der Bühne stehen, wenn ein Regisseur am Werk war, dem es in erster Linie um das Opus Wagners geht. Da kann man sich nicht einmal darüber ärgern, dass die im ersten Akt in seltsamer Choreographie über die Bühne springenden Matrosen eigentlich so was von unnötig wären oder dass an einem Haus wie der Wiener Staatsoper in schwarz gekleidete Bühnenarbeiter provinziell fürs Publikum sichtbar dafür sorgen müssen, dass das Schiff auf die richtige Position kommt. Nein, alles vergessen und verziehen.
Einige in den Premierenkritiken der Tagespresse geäußerte kritische Meinungen versteht man nach so einem Abend sowieso gar nicht. Etwa den, dass dieser Tristan Rampensingen nach alter Art biete: Ja sah man denn gar nicht das Mienenspiel der hin- und hergerissenen Isolde, fiel einem nicht die Körpersprache des beinahe servil agierenden Kurwenal auf, kann ein König Marke berührender gespielt werden? Regisseur David McVicar ging es nicht um die Profilierung seiner Person, nicht um Effekthascherei oder Schlagzeilen, er zeigte das ewiggültige Drama (das im Grund eigentlich gar keine Handlung hat) in ästhetisch prachtvollen Bildern und Gewändern (Ausstatter war Robert Jones), vorwiegend in dunkler Nacht, wie es das Libretto vorgibt. Natürlich sah man an vielen Häusern schon Lichtregien mit mehr Firlefanz als jene von Paule Constable. Aber gerade die Selbstbeschränkung setzte den Fokus der Aufmerksamkeit auf die Musik, und genau das soll ja bei einem Tristan erreicht werden.
Was nun die musikalische Umsetzung anbelangt, mögen sich bei Franz Welser-Möst vielleicht noch die Geister scheiden. Aber mir schien sein Ausreizen der gesamten Dynamik adäquat, er forcierte an den richtigen Stellen, das Staatsopernorchester zeigte sich in Top-Form und der Gesamtklang – auf den es bei Wagner-Opern ja so sehr ankommt – stimmte vom zögernden Beginn bis zur Schluss-Apotheose. Allerdings waren dazu auch Kaliber wie Nina Stemme und Peter Seiffert in den Titelpartien notwendig. DIE Stemme befindet sich ja – und hier glaube ich sind wirklich alle Rezensenten einer Meinung – auf dem Gipfel ihrer Karriere. Allein die Wärme ihrer Stimme, die man auch bei schneidender Höhe immer noch fühlte, prädestiniert sie für die Isolde. Mit endlosem Atem singend spürte man bei ihr nie, welche Schwierigkeiten in der Partitur verpackt sind, mit kleinen Gesten unterstreicht sie jedes einzelne gesungene Wort. Bravissima! Aber auch Peter Seiffert kann nur in höchsten Tönen gelobt werden, sein wunderbares Timbre hat sich die Frische erhalten, ab und zu wird es ein weniger rauer und auch die Phrasierungen wirken gelegentlich eigenwillig. Aber was soll das beckmessern, wenn er im dritten Akt ohne Rücksicht auf Verluste in aller Wortdeutlichkeit mit seinem Schicksal die Herzen des Publikums erreicht – das muss man ihm erst einmal nachmachen.
Gegen dieses Traumpaar hatten es die übrigen Protagonisten natürlich nicht leicht. In der von mir besuchten zweiten Aufführung der Serie empfand ich die Premierenschelte für Janina Baechle unangebracht. Ihre Brangäne behauptete sich stimmlich sehr wohl neben ihrer Herrin, vielleicht litt sie unter Premierennervosität? Unbestritten hingegen der voluminöse Bass Stephen Millings als König Marke, der dieser Figur erstaunliche Facetten entlockte. Schauspielerisch noch eindrucksvoller legte Jochen Schmeckenbecher den Kurwenal an, wobei er in stimmlicher Hinsicht erst im letzten Akt auf Volltouren lief (dort aber richtig gut). Wobei insgesamt anzumerken war, dass die Außentemperatur an diesem Abend in Wien so um die 35 Grad betrug, also auch eine körperliche Höchstleistung aller Akteure, wobei das Staatsopernorchester für neue Kleidervorschriften sorgten: Weißes Hemd oder Bluse ohne Sakko – gar nicht so übel anzusehen!
Abgerundet wurde das Ensemble von einem energischen Melot, wobei Eijiro Kais Stimme für die Zukunft erneut ein Versprechen abgab, sowie von Carlos Osuna (Hirt), Marcus Pelz (Steuermann) und Jinxu Xiahou (Stimme eines jungen Seemanns). Uneingeschränkter Jubel für die gesamte Produktion, der Hitze wegen vielleicht nicht ganz so lang wie es angemessen wäre.
Ernst Kopica