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WIEN / Staatsoper: TOSCA-Rollendebüt von Camilla Nylund

Ein Ereignis mit kleinen Einschränkungen

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Camilla Nylund (Floria Tosca). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: Camilla Nylunds Rollendebüt als TOSCA

633. Aufführung in dieser Inszenierung

23. November 2022

Von Manfred A. Schmid

Seit Beginn der Corona-Krise hat sich die finnische Sängerin, seit kurzem Trägerin des Lotte Lehmann-Gedächtnisringes, mit der Rolle der Floria Tosca beschäftigt und intensiv auf ihr Rollendebüt vorbereitet. In einem im Online Merker erschienenen Interview hat Camilla Nylund schon vor einiger Zeit ausführlich darüber berichtet. Das erwartete Ereignis ist nun tatsächlich zu einem Ereignis geworden. Kammersängerin Nylund ist eine hervorragend singende und feinfühlig spielende Titelheldin in Puccinis packendem Thriller. Allein ihr Stimmumfang stößt in den tiefen Regionen an seine Grenzen.

Die Verwandlung der eifersüchtigen Diva aus dem ersten Akt in eine Frau, die das Heft des Handelns in die Hand nimmt und den schäbigen Erpresser und Vergewaltiger Scarpia ersticht, wird drastisch vorgeführt. Dass ihre zarten Hände dazu fähig sind, wie ihr Geliebter Cavaradossi bei ihrem unverhofften Wiedersehen verwundert feststellt, dass die vom künstlerischen Erfolg verwöhnte Frau diesen mutigen Schritt wagt, bleibt tatsächlich rätselhaft. Natürlich ließe sich das mit den durch Scarpia erlittenen Demütigungen, sein schändliches Handeln, sein unverhohlen zur Schau gestelltes Triumphgefühl erklären. Wenn man aber beobachtet, wie Nylund an dem für zwei Personen gedeckten Tisch steht, lange innehält und dann doch, wie von außen (oder innen?) gesteuert, nach dem Messer greift, ahnt man, dass hier etwas vor sich geht, was nicht zur Gänze nachvollziehbar ist. Aus dieser Tat geht Tosca in ihrem Selbstbewusstsein aber ungemein gestärkt hervor. Ausgerechnet sie, die sich bisher nur den schönen Dingen des Lebens und der Kunst gewidmet hat, ist es, die nicht nur – vermeintlich – ihren Geliebten vor dem Erschießen gerettet, sondern auch die Wurzel allen Übels, den tyrannischen Despoten, vernichtet hat. Nicht ohne Stolz, aber auch mit gewisser Verwunderung stellt sie vor seiner Leiche fest: Und vor diesem Mann hat ganz Rom gezittert. Wie sorgsam sich Camilla Nylund mit der Gestaltung ihrer Rolle beschäftigt hat, zeigt sich aber schon im ersten Akt. Als sie von Scarpia mit Komplimenten bedacht, ja geradezu umworben wird, und er ihr auch noch einen charmanten Handkuss gibt, schaut sie irritiert drein, als ob sie ahnen würde, dass das noch böse enden werde.

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Erwin Schrott (Scarpia) und Camilla Nylund (Floria Tosca)

Gesanglich findet sich die in Wagner- und Strauss-Partien bewährte Sopranistin in ihrer neuen Rolle gut eingesetzt. Camilla Nylund überzeugt mit makelloser Stimmführung. Dass ihr auch die schwierigsten Stellen und Spitzentöne keine Probleme bereiten, war ebenso vorauszusehen wie ihre die Gefühlswelt Toscas auslotende Gestaltung von „Vissi d’arte“, mit feinstem Pianissimo und wunderbar anschwellenden Steigerungen. Nur in den tiefen Stimmregionen, die zu dieser schwierigen Partie gehören, wirkt sie etwas überfordert, wird leise oder löst das Problem mit dramatischem Sprechgesang, was in Momenten höchster Erregung immerhin plausibel sein kann. Allerdings nur, wenn er gewollt und nicht aufgezwungen ist. Trotz dieser Einschränkung ein durchaus erfreuliches Rollendebüt.

Keinerlei Probleme mit dem Stimmumfang seiner Rolle hat der italienische Tenor Stefano la Colla, der im italienischen Fach und insbesondere als Cavaradossi schon an Bühnen in aller Welt in Erscheinung getreten ist. Sein Rollendebüt an der Staatsoper fällt allerdings nicht ganz so überzeugend aus, was vor allem an seinem Auftritt im ersten Akt liegt. Die Arie „Dammi i colori!… Recondita armonia, gefürchtet, weil sie gleich zu Beginn vollen Einsatz fordert, bleibt glanzlos, auch das Timbre wirkt gewöhnungsbedürftig und nicht gerade einnehmend. Da auch das „Vittoria“ im zweiten Akt alles andere als strahlend wirkt, dafür aber der gesangliche Tenor-Höhepunkt „E luvean le stelle“ sehr befriedigend realisiert und zu Recht auch mit Applaus bedacht wird, stellt sich die Frage, ob Stefano la Colla tatsächlich ein „Dritter-Akt-Tenor“ ist, der seine Kräfte für den möglichst überzeugenden Schlussauftritt aufspart, oder ob das diesmal der Tagesverfassung geschuldet ist. Er hat jedenfalls eine zweite Chance verdient und hat die auch: Es warten noch weitere Vorstellungen.

Als Scarpia hat Erwin Schrott die Opernwelt schon vor einigen Jahren mit einer sehr eigenwilligen Interpretation der Rolle des Böswichts überrascht. Der Scarpia, den er auf der Bühne verkörpert, ist nicht der grobe, laut drohende und brutale Angst verbreitende Machthaber, als der er üblicherweise dargestellt wird, sondern Schrotts Scarpia ist ein Verführertyp mit erotischer Ausstrahlung, nicht von Vornherein mit roher Gewalt herangehend, sondern charmant seine Wirkung auf das Opfer austestend. Erst wenn er damit an Grenzen stößt, zeigt er sein wahres Gesicht und bedrängt Tosca körperlich. Aber sogar in diesen Momenten ist er auf Haltung bedacht. Schrótts Scarpia schreit nicht, wird nie laut, sondern sogar seine ärgsten Drohungen spricht er eher sanft aus. Und gerade das macht ihn so gefährlich und unheimlich. Was einst eine Bereicherung war, ist in der Zwischenzeit vielleicht schon etwas zu manieriert worden, manchmal ist er einfach zu leise und wird von den entfesselten Klängen aus dem Orchestergraben zugedeckt. Das markerschütternde „Te Deum“ hat man jedenfalls schon mächtiger gehört. Dennoch: Erwin Schrott als Scarpia, das hat was!

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Stefano di Colla (Cavaradossi)

Was sich um das Dreigestirn Tosca-Cavaradossi-Scarpia sonst noch tut: Attila Mokus debütiert befriedigend als gehetzter, aufgebrachter Angelotti, Wolfgang Bankl der von ihm liebe- und humorvoll gestaltete, gutmütige und zugleich hinterhältige Mesner. Weitere – mehr als rollendeckende – Besetzungen aus dem Haus sind Andrea Giovannini und Marcus Pelz als Scarpias fiese Schergen Spoletta und Sciarrone, Ilja Kazakov betätigt sich als mitfühlender Schließer. Chiara Bammer, vermutlich aus der Opernschule, ist der den Dritten Akt auf dem Dach der Engelsburg mit einem traumverlorenen Gesang eröffnende Hirte.

Giacomo Sagripanti am Orchesterpult sorgt für einen ungetrübten Verlauf der Vorstellung, setzt die melodramatischen so, dass sie nicht zu plakativ wirken, und hat in den lyrischen Passagen ein gutes Ohr für das Gesangsensemble auf der Bühne.

 

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