Erwin Schrott (Scarpia). Copyright: Wiener Staatsoper/Pöhn
WIEN / Staatsoper: TOSCA von Giacomo Puccini
600.Aufführung in dieser Inszenierung
12. Jänner 2018
Vor der Vorstellung kam Direktor Meyer mit einem Kardinal vor den Vorhang. Dass es nicht unser „echter“ von Wien war, sah man gleich, aber immerhin eine würdevolle Erscheinung. Er halte nichts von Jubiläen, meinte der Direktor, aber dieses sei doch ein besonderes. Die 600. Vorstellung von Giacomo Puccinis „Tosca“ in der Regie von Margarethe Wallmann und der Ausstattung von Nicola Benois an diesem Haus. Nicht die älteste noch existierende Produktion (das ist die „Butterfly“ von Gielen, seit 1957 auf dem Spielplan, allerdings nur mit lumpigen 379 Vorstellungen), aber die gewichtigste unter den „Oldies“. Seit am 03.April 1958 hier Herbert von Karajan am Pult stand und Renata Tebaldi, Giuseppe Zampieri und Tito Gobbi sangen, sind in 60 Jahren alle großen Sänger der Welt in diesen Partien hier „durchmarschiert“. Und Herr Fiala, wie der Kardinal im bürgerlichen Namen heißt, war von Anfang an als Statist dabei. Nur dass er vom Ministranten zum Kirchenfürsten geworden ist – welch wunderbare Kontinuität auch in 60 Jahren Staatsoper, wo die Dinge quasi zum persönlichen Besitz von Menschen werden, dem Publikum ebenso wie den Mitwirkenden…
Er wünsche dieser Wallmann-„Tosca“ noch ein langes Leben, meinte Direktor Meyer schließlich. Sein Nachfolger wird es vernommen haben. Er sollte auch jahreslang Besseres zu tun haben, als eine so praktikable Inszenierung, die ganz auf Persönlichkeit und Wirkung der Protagonisten ruht, gegen irgendeine Regietheater-Schandtat auszutauschen.
Von der Voraufführung dieser Jubiläums-„Tosca“, um die vorangegangene Vorstellung einmal so zu nennen, hatte man nicht das Beste gehört, vor allem der Dirigent war wohl eindeutig krank. Frédéric Chaslin, als Ersatz herbeigeholt, ging besonders vorsichtig und gescheit zu Werk, „Tosca“ allein „nach Vorschrift“ ist wahrlich gut genug, keine Exzesse in Tempi oder Lautstärke und das ebenso hörbare wie erfolgreiche Bemühen, die Sänger sorglich und optimal zu begleiten. Auch nobel genug (bei der „Tosca“ ist es ja die Entscheidung des Dirigenten) die Generalpausen für den Applaus einzubauen…Eine ausgesprochene ausgewogene Vorstellung, die ihre Spannung aus den Protagonisten empfing.
Der „Debutant“ (es war zwar sein zweiter Scarpia nun, aber gewissermaßen doch der erste) verdient es hervorgehoben zu werden, denn Erwin Schrott war wahrlich exzeptionell. Ich sage es gleich – ich habe nichts gegen einen „lauten“ Scarpia (kein gebrüllter natürlich, da gibt es Unterschiede, die ich nicht erklären muss), denn die Brutalität der Figur kommt hier auch aus der Kraft der Stimme, und darüber verfügen wenige Kollegen im nötigen Ausmaß. Schrott hat genau den richtigen Zeitpunkt abgewartet, um seinen großen, beweglichen, in allen Registern sitzenden Bassbariton mit dieser Rolle zu konfrontieren, deren Niedertracht er nicht nur darstellerisch, sondern auch stimmlich konturiert. Einer, dem man den gnadenlosen Sadisten glaubt, den er nuanciert aufblättert – und den Tod von Herzen gönnt… (Wenn er dann wieder aufsteht, den jubelnden Applaus entgegennimmt und die Rolle nächstes Mal wieder so Gänsehaut-erzeugend verkörpert…)
Angela Gheorghiu. Copyright: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Mit den richtigen Sängern ist ein zweiter Akt „Tosca“ jedes Mal (auch wenn man jeden Ton kennt) ein an Spannung kaum zu übertreffendes Erlebnis. So auch hier, wenn Schrott hier in Angela Gheorghiu eine der großen Tosca-Interpretinnen unserer Tage gegenübersteht, auch wenn man stimmlich bereits Abstriche machen muss. Gerade Rollen wie diese nagen an der Substanz, der leichte, helle Ton ist einer gewissen trockenen Härte gewichen, die Belcanto-Linie lässt sich nur noch selten hören, aber was bedeutet das in einem 2. Akt, wo der Verismo zu höchster Brutalität auffährt, diese Frau zuhören muss, wie ihr Geliebter gefoltert wird und um sein Leben kämpft – bis zur Gewalttat des Mordes? Da braucht man keine „schönen“ Spitzentöne, da sind sie verzweifelt scharf genau so richtig, und ihre Arie muss nicht schmelzen, wenn sie mit so viel Ausdruck gesungen wird. Man braucht sich nur zum Vergleich auf YouTube das „Vissi d’arte“ von Sonya Yoncheva anzuhören, die an der Met sicherlich zu Recht in dieser Rolle so gefeiert wurde. Dann kann man die Interpretations-Weiten zwischen der „neuen“ und der erfahrenen Tosca ermessen, und die Stimme steht dann in der zweiten Reihe.
Massimo Giordano war lange nicht in Wien. Wie die Gheorghiu muss er ein Dorian Gray-Gen haben, so unverändert gut und strahlend sehen die beiden aus (zumindest von der Galerie Seite). Stimmlich hatte er seine Krisen, und nun ist er wieder da. Wie oft gelingt schon die erste Arie? Was haben sich Männer mit der höchsten Opernkompetenz der Welt, Verdi und Puccini, eigentlich gedacht, ihre Tenorhelden in „Aida“ und „Tosca“ quasi mit einer Arie auf die Bühne zu stoßen? Wie dem auch sei – es wurde besser. Wäre schön, wenn schon das erste „Vittoria“ sitzt, aber ein zweites, das überzeugt, tut es auch. Und im dritten Akt sang Massimo Giordano dann „E lucevan le stelle“ schlicht und einfach makellos schön. Willkommen zurück.
Clemens Unterreiner stolpert als Angelotti wort-überdeutlich und hochdramatisch durch seine kleine Rolle (unübersehbar, unüberhörbar), Alexandru Moisiuc ist nicht der komischste aller Mesner, aber ein solider Herr, und obwohl er an sich doch so sympathisch ist, überzeugte Benedikt Kobel als Spoletta, einer der Handlanger des Bösen. Und dass Erwin Schrott locker und cool beim „Te Deum“ den Chor übersang, spricht ja nicht gegen diesen (den Chor nämlich).
Kurz, nehmt alles nur in allem, es war ein würdiges Jubiläum.
Renate Wagner
P.S. Zwei Pausen lang auf dem Platz geblieben (um mich in die Buffeträume zu stürzen, bin ich viel zu klaustrophobisch), vertiefte ich mich in den Eisernen Vorhang, kam aber trotz heftigen Grübelns nicht darauf, was diese Schar amerikanischer College-Absolventen mit ihren charakteristischen Talaren und Hüten für uns bedeuten soll und warum wir angehalten sind, uns dafür zu interessieren. Ist alles allein dadurch Kunst, dass behauptet wird, es sei Kunst?