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WIEN / Staatsoper / STREAM + TV: LE NOZZE DI FIGARO

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Foto: Wiener Staatsoper / Pöhn

WIEN / Staatsoper / STREAM + TV:
LE NOZZE DI FIGARO von W.A.Mozart
7. Februar 2021 auf Ö III

In der Ära Roscic versucht man nun bereits zum zweiten Mal mit Erfolg, Fehlentscheidungen des vorigen Direktors zu korrigieren, der sich mit der „Elektra“ des Harry Kupfer und mit „Le nozze di Figaro“ von Jean-Pierre Ponnelle von bewährten Meisterinszenierungen getrennt und sie durch zweifelsfrei viel Schlechteres ersetzt hat.
Jean-Pierre Ponnelle (1932-1988), Franzose mit mütterlicherseits deutschen Wurzeln, war in seiner großen Zeit einer der wichtigsten Opernregisseure zwischen Salzburg und New York, Zürich, München und Wien, ein Künstler, der seine Ausstattungen selbst schuf und mit seinem untadligen Geschmack Ästhetik nie scheute, ein Interpret, der die Vorlagen aus der Musik und aus ihrer gegebenen Handlung heraus verstand. Sein Theaterverständnis war so groß wie die Sensibilität, mit der er die Werke anging. Er prägte das Opernglück von mindestens einer Generation von Opernbesuchern und starb, als sich das Regietheater anschickte alles wegzufegen, wofür er gestanden war. Er war das Opern-Pendant zu Giorgio Strehler, der das Regietheater noch voll erlebt hat und dazu nur sagen konnte: Warum so laut? Warum so hässlich? Warum so böse? Mit Ponnelle und Strehler sind Welten zu Ende gegangen.

Diese Inszenierung von „Le nozze di Figaro“ wurde 1972 für die Salzburger Festspiele (und Herbert von Karajan) kreiert und Jahr für Jahr gespielt, bis sie im Mai 1977 (auch unter Karajan) nach Wien übersiedelte. Sie hat also, wie leicht nachzurechnen ist, fast ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel. Staubiges aus der Abstellkammer? Mitnichten. Die Ausstattung ist unverändert schön, wenn man bereit ist zu glauben, dass das Schloß des spanischen Grafen Almaviva im Sevilla knapp vor der Französischen Revolution immer noch Stil und Eleganz hatte, ebenso wie die stimmigen Kostüme. Und Grischa Asagaroff, der von Zeit zu Zeit selbst als Regisseur wirkte, hat die Sänger von heute mit voller, detailfreudiger Lebendigkeit so geführt, wie es damals von Ponnelle gemeint war. Eine Geschichte von liebenden, herumwirbelnden Menschen, die nicht ausgeschickt sind, uns ein politisches Statement unter die Nase zu reiben. Frei von Überzeichnungen und szenischen Gewaltsamkeiten erleben sie ihre Ups and Downs, so wie Mozarts Musik sie vorgibt. Statt zähneknirschendem Klassenkampf gibt es Humor, und man könnte annehmen, dass Figaro und Susanna Graf und Gräfin verstecken werden, wenn die Revolution kommt, und sie nicht aufs Blutgerüst schicken – Mozart war ein Humanist, die Musik sagt es mit jedem Ton.

Auch bei Philippe Jordan, obwohl dieser schon bei der Ouvertüre hören lässt, dass er nicht den „duftigen Mozart“ im Sinn hat (obwohl der natürlich auch sehr schön ist). Doch wo zu Beginn markige Präsenz zu hören ist, so erweist sich Jordan in der Folge als zwar immer „drängender“ (Durchhänger gibt es bei ihm keine), aber nie gewaltsamer Diener des Werks. Er reüssiert nicht nur höchstpersönlich am Hammerklavier für die Rezitative, sondern vor allem als „mit-atmender“ Begleiter, denn das ist ja das Geheimnis der großen Mozart-Dirigenten, die Sängern auf der Musik zu tragen. Und das gelingt ihm sehr schön.

Die Besetzung des Abends kann man – ohne in Jubelstürme auszubrechen – am besten mit „erfreulich“ bezeichnen. Die Herrschaften der Hauptrollen sind durchwegs jung, in ihren frühen Dreißigern (so weit das Internet ihr Alter preisgibt), das hebt das übliche Altersgefälle zwischen dem Grafenpaar und dem Dienerpaar auf, aber schließlich muss der Graf ja nicht ein alter Lustmolch und die einstige „Rosina“ nicht schon eine leidende Marschallin sein. Jede Aufführung mixt die Karten neu, und hier fegen junge Leute herum, gleich von Beginn an, wenn Figaro und Susanne eigentlich kuscheln – wie auch nicht, verliebt, wie sie sind.

Eine wirklich liebenswerte Susanne, die auch immer wieder die richtigen „Glockentöne“ für ihre Rolle mitbringt, ist die Engländerin Louise Alder, die in dem Kanadier Philippe Sly einen sympathischen Figaro hat, der sich allerdings nicht sehr in den Vordergrund spielt. Einen jungen und ärgerlichen Graf mit schöner Mozart-Stimme (wäre er nicht ein prägnanterer Figaro gewesen?) gibt Andrè Schuen, als elegante Gräfin (allerdings mit doch zu scharfer Stimme für diese Rolle) erlebt man die Italienerin Federica Lombardi, diesen Sommer in Salzburg als Donna Elvira angesetzt. Wenn Cherubino nicht ein Rotzlöffel, sondern ein jugendlicher Schwärmer sein soll, ist er bei Virginie Verrez gut aufgehoben. Und sehr viel Spaß hat Stephanie Houtzeel an der maliziösen Boshaftigkeit der Marcellina. Dazu kamen Josh Lovell, Andrea Giovannini, Evgeny Solodovnikov, Marcus Pelz und Johanna Wallroth auf der Höhe ihrer Aufgaben.

Der Begriff „Werktreue“ ist obsolet geworden, viel bekämpft als angeblich nicht existent, so wie auch der Begriff „Regietheater“ geleugnet wird, aber das sind Wortgefechte, im allgemeinen weiß man genau, was gemeint ist. Und wenn man ein Beispiel dafür suchen möchte, was Werktreue in bester Form bedeuten kann, dann scheint dieser Ponnelle-„Figaro“ in hohem Maße geeignet.

Ist es ein „Figaro“ von gestern? Oder ein zeitloser? Eines aber ist klar: ein wunderschöner (natürlich nur für altmodische Gemüter – oder doch objektiv?)! Schade, dass man ihn nicht lange behalten wird. Schließlich arbeitet Barrie Kosky am nächsten Mozart-Da Ponte-Zyklus des Hauses.

Renate Wagner

 

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