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TOSCA von Giacomo Puccini
27. September 2025
Ein faszinierender Bösewicht
Von der vorangegangenen Aufführung hatte man Schlimmes gehört – technische (oder digitale?) Pannen. Als die Wiener Staatsoper allerdings drei Tage später ihre „Tosca“ per Stream in die Welt schickte, lief alles tadellos. Es war eine Aufführung, die jedem ersten Opernhaus zur Repertoire-Ehre gereichen würde. Wobei der Glanz in Wien natürlich auch der Inszenierung von Margarethe Wallmann und der Ausstattung von Nicola Benois zu danken ist, eine Produktion, die es verdiente, als ewiges Denkmal ihrer selbst erhalten und lebendig zu bleiben – denn sie schafft den Raum, in dem sich die Sänger optimal entfalten können.
Die Kirche, wo am Ende der Chor nicht überbordet, sondern so geschickt zur Seite gelenkt ist, dass er die erste Auseinandersetzung Tosca-Scarpia nicht stört, dann Scarpias luxuriöses Arbeitszimmer im Palazzo Farnese, schließlich das Dach der Engelsburg – da spielt die Tosca in spät-Napoleonischen Zeiten, da stimmen auch die Kostüme, die zusätzlich den Reiz der Schauerstory vermitteln und konterkarieren. Man muss Scarpia nicht in ein Kellergefängnis versetzen, um dem Publikum aufs Auge zu drücken, wie „böse“ dieser Mann ist und wie sehr er seine Macht mißbraucht: Man begreift es auch im Renaissance-Palst.
Also ist die Wiener „Tosca“ im idealen, dem Werk entsprechenden und auch huldigenden Rahmen eine Frage der Besetzung. Für die Titelrolle hat man für diese Serie die Russin Elena Stikhina aufgeboten, derzeit mit zahlreichen großen Rollen international unterwegs, in Salzburg zuletzt mit Beczala im „Andrea Chenier“ zu hören, in Wien gerade als „Iolanta“ eingesprungen und im Mai hierorts auch als Salome vorgesehen. Sie ist eine attraktive Frau mit technisch souveräner, blühender Stimme, die eine tadellose Tosca singt und als liebende Frau spielt. Was fehlt, ist der letzte Kick, ist das Flair, das Tosca, die Sängerin, den Star umgeben müsste, sonst wäre Scarpia wohl nicht so sehr an ihr interessiert…
Auf der Suche nach den Tenören einer gegenwärtigen Generation (wo eine ehrenwerte Garde sich gerade langsam zurück zieht), ist Jonathan Tetelman derzeit ein erster Name, wieder ein Künstler aus Lateinamerika, dem man schon so manchen Star verdankt (von Villazon über Florez bis Schrott). Manchem seiner Kollegen hat er die schlanke Silhouette voraus, was sich für Liebhaber-Figuren auf der Bühne immer gut macht, vor allem aber verfügt er über einen substanziellen, prächtig höhensicheren Tenor. Er hat auch die Erkenntnis verinnerlicht, dass man auf der Bühne nicht nur singen, sondern auch spielen muss – möglicherweise drückt er da noch zu betont auf die Tube, aber mit mehr und mehr Routine kommt dann auch da die Selbstverständlichkeit. Cavaradossi ist zweifellos ein Widerstandskämpfer, hier schmilzt er vor allem als Liebhaber dahin.
Die stärkste Leistung des Abends kam allerdings von Ludovic Tézier, der als Jago (in einer allerdings nicht berauschenden Inszenierung) nicht sonderlich überzeugend war, aber den Scarpia bis auf die letzte Nuance auskostete – der Machtmensch, der Zynismus und Bösartigkeit jede Sekunde spürbar macht. Dazu ein Bariton, der es weder an Kraft noch Differenzierung fehlen lässt, eine spannende Leistung, stellenweise geradezu Gänsehaut erzeugend. Und das bei einer Oper, die man so auswendig kennt, dass es wirklich großer Interpreten bedarf, um sie für den jahrzehntealten Opernbesucher immer wieder neu zu beleben.
Pier Giorgio Morandi führte den Abend als Sängerbegleiter und Stimmungsmacher tadellos, die Nebenrollen funktionierten ohne Einschränkung (schön, wie an dem Mesner von Wolfgang Bankl kein Hauch von Routine klebt).
Wäre man im Haus gewesen, man hätte so überzeugt applaudiert wie das dort anwesende Publikum.
Renate Wagner