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WIEN / Staatsoper – Stream: PIQUE DAME

Die Newa im Regenschirm

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WIEN / Staatsoper – Stream:
PIQUE DAME von Peter I. Tschaikowski
27. Juni 2025 

Die Newa im Regenschirm

Bedenkt man, wie großzügig die Direktion Meyer die Opernfreunde bedacht hat, mit bis zu drei Streams pro Woche, hat sich der derzeitige Direktor diesbezüglich immer als Sparefroh erwiesen. Eigentlich nur die jeweiligen Neuproduktionen in einer späteren Vorstellung, und Gelegentliches, wenn eine seiner Lieblinge (Grigorian, Yende) sang. Ende dieser Spielzeit sind plötzlich Festtage ausgebrochen – „Troubadour“ (mit Beczala), „Rosenkavalier“ (mit Stoyanova) und nun „Pique Dame“ mit der Netrebko. Von besonderem Interesse, weil sie die Rolle erstmals in Wien gesungen hat – und weil man ohnedies keine Karten bekommen hätte.

Zwar leidet der Abend seit der Premiere an der unglückseligen Inszenierung von Vera Nemirova, die das Geschehen in das Einheitsbühnenbild eines sozialistischen Hinterhofs verbannt, der dann alles sein muss, inklusive die Newa, in die sich Lisa natürlich nicht stürzen kann, weil sie nicht da ist (statt dessen verschwindet sie unter den schwarzen Schirmen einer vorbeiziehenden Menge). Die Gräfin hat auch kein eigenes Zimmer und wird mitten im Hof auf einem schäbigen Bett von Hermann vergewaltigt – so viel zur neuen Todesart, die sich die Regisseurin ausgedacht hat. Wie gut, dass der Auftritt von Zarin Katharina der Großen durch den Zuschauerraum erfolgt und sie auch dort bleibt – auf der Bühne hätte sie ihr Rußland nicht wieder erkannt. Und keinen Ersatz gefunden, der irgendjemanden erfreuen oder im Sinn des Werks befriedigen könnte. Aber so ist es nun einmal auf den Opernbühnen heute.

Schließlich war man wegen der Besetzung da (bzw. vor dem Computer oder dem Fernsehschirm, wenn man das Bild – glücklicherweise – auf das größere Format und den Ton zumindest auf Stero übertragen konnte). Und Anna Netrebko ist immer noch ein Star, der die Häuser füllt, und die sich in den letzten Jahren geradezu ein Riesenrepertoire erarbeitet hat. Wenn es mit der (zuletzt für Wien angekündigten) Ariadne wohl nichts mehr wird, für die Amelia in Berlin sind die Karten schon verkauft. Von Wien zischt sie für Aida und Abigail nach Verona, letztere gibt es nächste Saison auch bei uns. Und man kann sich freuen, denn dank ihrer makellosen Technik und immer noch vorhandenen Stimmschönheit ist die Netrebko-Wirkung unbeeinträchtigt (zumal sie diesmal nichts von der gutturalen Tiefe hören ließ, die zuletzt manche Leistung beeinträchtigt hat). Ihr Geheimnis ist wohl auch der Einsatz, den sie jedesmal gibt – ihre Lisa ist zwar kein junges Mädchen mehr (wie auch), aber wunderbar eine in ihren Gefühlen verwirrte und letztlich in die Verzweiflung getriebene Frau. Stimmlich war erst gegen Ende etwas Anstrengung und Abnutzung zu spüren, es ist ja auch eine Riesenpartie, aber man ist froh, sie gesehen zu haben.

Yusif Eyvazov hat seine Karriere mit Kraft und Technik gemacht, Fans seines Timbres werden sich wohl kaum finden. Seltsamerweise hat dieses sonst störende Manko diesmal nicht gegriffen. Vielleicht, weil er bei den Russen eben „zuhause“ ist und folglich authentischer wirkt, vor allem aber wohl, weil der Hermann als von Anfang bis Ende Zerrissener wohl eine der problematischsten Operncharaktere ist, der nicht „schön“ klingen muss. Wie Eyvazov die Getriebenheit der Figur in den Griff bekommt, der nach und nach im Wahnsinn landet, ist schlechtweg beeindruckend.

Die Gräfin der Elena Zaremba sieht so gut aus und is so elegant, dass man zwar gerne glaubt, dass sie einst eine gefeierte Schönheit war – die dämonische Alte, die uns so viele Sängerinnen gezeigt haben (von der Mödl bis zur Silja, auch ein spektakuläres Gastspiel von Grace Bumbry in dieser Rolle), ist sie wohl nicht. Jedenfalls gibt sie der Stimme und der Gestalt einige Brüchigkeit – dass man schon faszinierter von der Figur war, hat wohl damit zu tun, dass die Vergleichslatte so hoch liegt.

Erwähnenswert ist die Begegnung mit Boris Pinkhasovich als Jeletzky, der über einen so schönen, rauen russischen Bariton verfügt, und erfreulich. dass Elena Maximova an die Staatsoper zurück gekehrt ist.

Mit Timur Zangiev stand ein Mann am Pult, der den Tschaikowski-Sound zwischen düsterer Melodik und harscher Dramatik auslotete. Schön, dass man den Abend „wenigstens so“ sehen konnte.

Renate Wagner   

 

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