Staatsoper: Ballettpremiere „Kallirhoe“ – eine Klassiker-Imitation mit tollem Säbeltanz 19.10.2025

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Alessandra Ferri, Wiens neue Ballettchefin aus Mailand mit ungewöhnlicher Ballerinenkarriere, setzt mit der ersten von ihr geplanten Premiere bereits kurz nach ihrem Einzug in die Staatsoper und mit einem neue zusammengesetzten Solistenensemble auf ein abendfüllendes Ballett. Erdacht im dramaturgischen Stil der historischen Ballettromantiker. Mit dem Titel „Kallirhoe“ … was könnte dies wohl bedeuten? Kallirhoe = die Schönfliessende, altgriechisch, geläufig für weibliche Schönheiten wie für Badeorte in dieser Epoche. Eine gleichnamige Oper (André Destouches, 1715) und ein ’symphonisches Ballett‘, 1888, von Cécile Chaminade, scheinen in der Musikgeschichte auf. Beruhend auf einem nicht genau datierbaren antiken Liebesroman eines Chariton von Aphrodisias.
Alexei Ratmansky ist der Choreograph dieser wie eine Melange wirkenden eigenartig arrangierten Tanzschöpfung, welche am Premierenabend vom Publikum sehr positiv aufgenommen wurde. Ratmansky – 1968 in Leningrad geboren, mit ukrainischen Eltern, Ausbildung in strenger russischer Ballettschulung – ist erfolgreich als Tänzer gewesen und wird wegen seiner Rekonstruktionen klassischer Choreographien geschätzt. Von 2004 bis 2008 ist er künstlerischer Leiter des Moskauer Bolschoi Ballett gewesen, doch zuvor wie auch jetzt lebt er in New York und arbeitet dort mit den besten Kompanien zusammen. Und er hat sich von der derzeitigen russischen Diktatur weg gewendet, sein Name darf in Moskau nicht mehr aufscheinen: „Es fasziniert mich auf negative Weise, wie schnell Russland zurückspringt in seine dunkelste Zeit. Es geht heute nicht einmal um eine Ideologie, sondern nur darum, sich auf zynische Art und Weise Gebiete einzuverleiben.“
Doch mit dieser vor fünf Jahren in New York uraufgeführten „Kallirhoe“-Ballettshow rudert Ratmansky in die Sowjet-Jahre der großen russischen Tänzergarde und deren dramatischer Darstellungskunst zurück. Ohne diese Dramatik so richtig zu treffen. Die antike Story: Glückliches Liebespaar, auflauernde Räuber, Verschleppung, Versklavung, schließlich wieder die Vereinigung der Liebenden. Wir begegnen dem König und der Königin von Babylon, dem Statthalter von Karien, grimmigen Piraten und einer Reihe nicht so einschätzbarer Figuren in irgendwie historischer Tänzerkostümierung. So ein bisschen lässt sich erahnen, wie sich diese Personen fühlen oder welche Motivationen es für sie geben könnte. Wirkt aber kaum spannend, bleibt nebensächlich. Doch Eindruck können die Gruppentänze hinterlassen. Immer wieder und wieder wird eine Folge lyrischer Reigentänze der Frauen sowie Artistik oder Kriegerspiele der Männer geboten. Ja, der tolle Säbeltanz des Aram Katschaturjan, der zündet, der muss zünden. Der Handlung musikalisch unterlegt sind durcheinander geschüttelte Auszüge aus Katschaturjans Kolchosen-Ballett „Gayaneh“ aus dem Jahr 1942 – der Kommissar ist schließlich im Besitz der Liebe der Baumwollpflückerin Gayaneh. Treffsichere Musik von Katschaturjan aus der Stalin-Zeit, auftrumpfend mit farbig orchestrierter armenischer Folklore. Tanz der Rosenmädchen, Tanz der Hochländer, Wiegenlied, Lesginka, auch Takte aus seinem Klavierkonzert – echt schön, doch wohl kaum in der Antike verwurzelt.

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Nochmals: Es ist ein Premierenerfolg zum Start des neu formierten Ensembles. Mit Madison Young in der Titelrolle und Victor Caixeta als ihr durch die Szenen irrender Liebespartner sowie Routinier Paul Connelly am Pult. Die Szenerie: Von Ratmansky mitgebracht. Die neu engagierten Solisten werden wohl bald in Wien mit ihren Profilen aufzeigen dürfen. Diese so stark an klassischem Stil angelehnte „Kallirhoe“ – unter den Klassikern wird sie sich wohl nicht einreihen dürfen.
Meinhard Rüdenauer

