Ein Kaleidoskop des Tanzes – Ludwig Minkus‘ Don Quixote in der Nurejew Choreographie an der Wiener Staatsoper, Aufführung vom 27.02.2024
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Im Winter 1960 kam Jeanine Ringuet als Vertreterin der Pariser Agentur für Literatur und Kunst des russisch-französischen Kulturaustauschs nach Leningrad, um die erste Tournee des Kirow-Balletts im Westen zu organisieren. Während ihres Aufenthalts sah sie zufällig ein Plakat für eine Aufführung des wenig bekannten Balletts „Don Quixote“, choreografiert von Marius Petipa zur Musik von Ludwig Minkus. Trotz der Warnungen beschloss sie, die Aufführung zu besuchen. Fasziniert von der Darbietung des jungen Rudolf Nurejew in der Rolle des gerissenen Barbiers Basilio stellte Ringuet fest, dass er ihrer Meinung nach der beste Tänzer der Welt war, sein Name aber nicht auf der Liste der Künstler stand, die im Westen auf Tournee waren. Sie bestand darauf, dass er in das Programm aufgenommen wurde, doch man teilte ihr mit, dass dieser widerspenstige Künstler keine Erlaubnis habe, ins Ausland zu reisen. Ringuet wandte sich an die sowjetische Kulturministerin Furtseva, damit Nurejew im Mai 1961 Frankreich besuchen konnte. Ursprünglich war „Don Quixote“ nicht geplant, aber Nurejew beschloss, die erste vollständige Fassung des Balletts im Westen aufzuführen.
1966 präsentierte Nurejew seine Interpretation von „Don Quixote“ für das Wiener Staatsballett und schuf seine Version des Balletts als Ergebnis seines kreativen Beitrags zu Marius Petipas klassischem Werk. Er führte wesentliche Änderungen und eigene innovative Elemente in das Werk ein. Seine Choreographie zeichnete sich durch Dynamik, Energie und Ausdruckskraft aus. Er führte auch einige moderne und frische Elemente ein und verlieh dem klassischen Ballett einen zeitgenössischen Charakter.
Im Ballett Don Quixote ist Basilio eine Figur, die einen jungen und energiegeladenen Barbier darstellt, der ein „untypisches“ Bild des “Prinzen” und Protagonisten ist, denn im klassischen Ballett wird dieses Bild oft stark romantisiert und mit Leid und Liebesdrama assoziiert. Nurejews Bild von Basilio ist energisch, fröhlich und hell; Basilio ist in Kitri verliebt und bemüht sich, ihr Herz zu gewinnen. Rudolf Nurejew tanzte die Rolle des Basilio im Ballett Don Quijote zum ersten Mal 1959 im Alter von 21 Jahren mit der sehr erfahrenen und gefeierten Ballerina des Mariinsky-Theaters, Ninel Kurgapkina, und hatte sofort großen Erfolg mit dieser Rolle. Basilios Tanznummern, die heute Abend von einem talentierten jungen belgischen Tänzer, Arne Vandervelde, auf die Bühne gebracht werden, sind technisch sehr anspruchsvoll und dynamisch. Er bekommt die Gelegenheit, seine virtuosen Fähigkeiten als Tänzer unter Beweis zu stellen, was sein künstlerisches Können unterstreicht. Wir hoffen, ihn auch in anderen denkwürdigen Rollen zu sehen, die es ihm ermöglichen, seinen groß angelegten Tanzcharakter von allen Seiten zu zeigen. Bravo Arne Vandervelde!
Die Rolle der Kitri wird von Kiyoka Hashimoto gespielt, der es sehr gut gelingt, das Bild eines jungen und koketten Mädchens voller Vitalität, Ehrgeiz und Humor zu vermitteln. Diese Figur erweist sich als sehr intelligent und charmant. Ihre dynamischen und schwungvollen Tänze spiegeln ihre Vitalität und ihren aktiven Charakter wider. Ihre hochtechnische Ausführung mit schnellen Drehungen, leichten Sprüngen und anmutigen Pirouetten sowie die Fouettés im 3. Akt machen ihre Darbietung sehr einprägsam! Brava Kiyoka Hashimoto!
„Don Quixote“ ist ein Ballett für die ganze Familie und wird besonders für Kinder interessant sein, da es trotz seines mehraktigen Charakters und dank der großen Anzahl charakteristischer Tanznummern sehr leicht zu verstehen und sehr kurz im Gefühl ist. Im Laufe des Abends kann sich das Publikum nicht nur an den traditionellen klassischen Pas de deux und Grand Pas erfreuen, sondern auch an vielen folkloristischen, spanischen und komischen Elementen in der Choreografie, wie dem Pas de Châle mit seinem exotischen und aristokratischen Charakter und dem Fandango im Stil der Folklore, mit fröhlichen und energischen Bewegungen im dritten Akt und Szenen von Hochzeitsfeiern, die eine fröhliche Stimmung widerspiegeln.
Einer der Höhepunkte des Abends war der hinreißende und virtuose Tanz von Espada Eno Peci, der die spanische Tanztradition meisterhaft beherrscht. Wir erinnern uns an seine schnellen und präzisen Schritte, die hochgezogenen Knie, die farbenfrohen Drehungen und natürlich die Elemente, die die Bewegungen eines Stierkämpfers zeigen – das ist die wahre Leidenschaft für Ballett! Elemente der Partnerarbeit mit einem Straßentänzer und einer Decke in seinen Händen verleihen der Darbietung Kreativität und traditionelles spanisches Flair. Bravo Eno Peci!
Nurejew meinte: „Tanze mit Frechheit. Halte dich nicht zurück! Niemand ist an Schüchternheit interessiert. Wenn du schüchtern bist, wirst du von deinem Kostüm und der Kulisse aufgefressen. Meistere die Bühne und beherrsche sie! Du hast Talent, also gib es dir! Das Publikum kommt ins Theater, um Menschen zu sehen, die von dem, was sie tun, besessen sind“. Dieser Abend ist der Beweis dafür – vielschichtig und wunderbar, ein breites Spektrum der Emotionen. „Don Quixote“ ist eine visuelle Show voller bunter und kreativer Bilder. Der Einsatz von leuchtenden Farben, energiegeladenen Bewegungen und schönen Kostümen verleiht dem Abend Theatralik und ästhetisches Vergnügen, während virtuose Sprünge, präzise Drehungen und anmutige Bewegungen ein beeindruckendes Spektakel schaffen. Es war ein Abend mit Dynamik, tänzerischer und künstlerischer Vielfalt, Leichtigkeit und Spaß – ein echtes Ballett-Kaleidoskop!
Darina Leuer