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WIEN / Staatsoper: Solistenkonzert ASMIK GRIGORIAN & H. LOO

Opersängerin als "Pop-ernsängerin: Asmik Grigorians musikalische Geheimnisse

WIEN / Staatsoper: Solistenkonzert ASMIK GRIGORIAN & HYUNG-KI JOO

28. Mai 2024

Von Manfred A. Schmid

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Asmik Grigorian. Foto: Wiener Staatsoper

Schon die Ankündigung von Asmik Grigorians Solistenkonzert an der Staatsoper gab Rätsel auf. Man kennt zwar Crossover-Konzerte, bei denen etwa Barockmusik in Jazz übergeht oder Klassik mit Popmusik gekreuzt wird. Aber Bizet, Puccini, Messiaen und John Lennon/McCartney, Lady Gaga und Sting im Auftritt einer Opernsängerin vereint, das regt schon die Phantasie an. Als merkwürdig fiel weiters auf, dass bis zum Tag vor dem Konzert kein Programm bekanntgegeben wurde, so dass man davon ausgehen konnte, dass wohl etwas Ungewöhnliches im Gang sein und bis knapp davor noch daran gearbeitet werden musste. Schließlich fiel auch Grigorians Klavierbegleiter ziemlich aus dem Rahmen: Ist Hyung-ki Joo doch als die eine Hälfte des genialen Musical-Comedy-Duos Igudesman und Joo bekannt. Musical comedy und Asmik Grigorian? – Eine Paarung, auf die man nicht so leicht gekommen wäre. Und das alles unter dem verheißungsvollen Titel „A Diva was born“.

Das Konzert beginnt recht ungewöhnlich. Nach einem kurzen Salonstück von Hyung-ki Joo mit dem Titel „The Little Prince (from childhood)“, vom Komponisten am Klavier vorgetragen, hört man die Sopranistin, von oben auf der Galerie, wunderbar ausschwingend singen. Vocalisen, beginnend mit melancholisch-dunklen Volksweisen aus Armenien und ähnlich Schwermütigem von einem armenischen (Alexander Arutjunan) wie auch von einem litauischen Komponisten (Juozas Karosas): Erinnerungen an Asmik Grigorians Kindheit in Litauen, wo sie als Tochter eines armenischen Tenors und einer litauischen Sopranistin in einem musikalischen Haus aufgewachsen ist. In dieser Tonart, mit Melodien ohne Text, was wohl auch an das kindliche Summen und Lallen erinnern sollte, geht es weiter. Grigorian schreitet, unten im Parkett angekommen, nuancenreich tiefer in den elegischen Kosmos elegischer Vocalisen eintauchend und darin nachgerade meditativ versinkend, durch die Reihen zur Bühne hin. Zu hören sind Kompositionen von Heitor Villa-Lobos („Bachianas Brasilieras no. 5“), Gabriel Fauré („Vocalise-Ètude“), Reinaldo Hahn („Souvenier de Constantinople“), Maurice Ravel („Habanera – Vocalise-Étude“), die von Grigorian, ganz der Klangwelt hingegeben, mit traumhafter Innigkeit dargeboten werden. Bevor auch das Publikum in einen suggestiven Trancezustand versetzt wird oder es allzu eintönig zu werden droht, interveniert Hyung-ki Joo, der brillante Musiker und Clown am Klavier, und fordert von der Sängerin Konkreteres: Stücke mit mehr Text und Charakter, bei denen nicht nur schönes Singen, sondern auch dramatisches Gestalten gefordert ist. Die nun folgende Übergangsphase, von Leonard Bernsteins „Piccola Serenata“ über Francis Poulencs „Honoloulou“ bis zu den „Memories“ von Charles Ives, allesamt eher mit lautmalerischen bis hin zu dadaistischen Texten versehen, führt dann mitten hinein in die Opernwelt. Doch auch hier verläuft nicht alles glatt, wie die Streitgespräche der beiden Künstler nahelegen, in denen Joo derjenige ist, der die Befürchtungen und Einwände widergibt, die in der Zeit der Ausbildung wohl auf Asmik Grigorian herniedergeprasselt sind: ihre Stimme sei zu klein im Vergleich zu den mächtigen Stimmen ihrer Eltern (sie singt Puccinis  „O mio Babbino caro“),und eigentlich sei sie vermutlich doch eher für eine Mezzosopranistin  geeignet (dazu singt sie die „Habanera“ aus Bizets Carmen). Dabei beweist Asmik Grigorian nicht nur eine erstaunliche Wandlungsfähigkeit bei der Aneignung ganz unterschiedlicher Opernfiguren und Opernstile. Vor allem aber auch viel Sinn für Humor und Parodie, was sich auch in der Kleidung niederschlägt, wenn sie als Butterfly einen Kimono anhat und den dann wegwirft, und mehrmals ihr Outfit, je nach Stimmungslage und Stilrichtung, ändert.

Schließlich kommt es zum Eintauchen in die Welt des Musicals und der Popkultur: mit dem frisch und frei gesungenen „I Feel Pretty“ aus Bernsteins Westside Story, gefolgt von Stings „Moon over Bourbon Street“, bei dem sich Grigorian als gewiefte Jazzerin mit erstaunlicher Tiefe ins Zeug legt, um sich dann, mit dem Mikrofon in der Hand, im Minrock und mit hohen Stiefeln, auch in der Popmusik zu bewähren, was Joo als Verwandlung der Opernsängerin in eine „Pop-ernsängerin“ (mit Lady Gagas „Always Remember Us This way“) bezeichnet.

Asmik Grigorian zeigt in diesem ungewöhnlichen Solistenabend ihre Entertainer-Qualitäten, berührt aber vor allem damit, dass hinter der Musical Comedy – besonders witzig und gekonnt ihre Interpretation des Songs „A Word on my Ear“ des britischen Komiker-Duos Flanders & Swann – ein tiefer Ernst steht: ihr starkes  Interesse an anderen Sparten der Musik und ihre unter Beweis gestellte Beschäftigung damit. Die Diva, von der hier die Rede ist, schaut über den Tellerrand der Oper und der Klassik weit hinaus und genießt die künstlerische Möglichkeit, das breitgefächerte Spektrum ihrer musikalischen Interessen und Fähigkeiten an diesem überraschungsreichen Abend in dem Haus, wo sie demnächst als Turandot auf der Bühne stehen wird, voll ausbreiten zu können. Gut unterstützt wird sie dabei von dem mit allen musikalischen Finessen und Stilrichtungen bestens vertrauten Partner am Klavier, der zuweilen auch selbst singt, wenn auch nicht immer alles so witzig ist, wie ausgedacht und angestrebt. Seine grölende Interpretation des Beatle-Songs „TIcket to Ride“ etwa geht ziemlich auf die Nerven, auch der Schlusspunkt mit seinem eigenen Lied „You just have to laugh“ liefert nicht das erwartete stimmige Resümee dieses Abends, sondern zeigt nur, dass er unbedingt das letzte Wort haben will. Was aber durch seine Kreativität als Begleiter, der in den Klavierpart immer auch köstliche improvisatorische Erweiterungen und Abweichungen einbaut, spielend wettgemacht wird.

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Hyung-Ki Joo

Was hier dargeboten wird, ist keiner der üblichen Lieder- oder Arienabend, auch keine Mischung aus beidem, sondern eine musikalische Reise, auf die Asmik Grigorian das Publikum mitgenommen hat. Eine Reise, die von ihrer Kindheit bis in die Gegenwart führt und einen Einblick in das vermittelt, was sie in ihrem Innersten künstlerisch bewegt. Das Publikum hat diese unerwartete Einladung weitgehend und bereitwillig angenommen und ist dabei reich beschenkt worden.

 

 

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