WIEN / Staatsoper: „SIEGFRIED“ – 26.05.2022
Jochen Schmeckenbecher, John Lundgren. Foto: Klaus Titzer/ Wiener Staatsoper
Die größte Überraschung dieses Abends war wohl die Leistung des Orchesters der Wiener Staatsoper. Im Gegensatz zum „Rheingold“ und zur „Walküre“ präsentierte sich das Orchester diesmal wieder in Bestform, wenn es auch manchmal – wie gleich zu Beginn im Orchestervorspiel zum 1. Aufzug – zu einigen Irritationen und Ungenauigkeiten kam. Aber so gut wie diesmal haben die Hörner den „Siegfried“ schon lange nicht mehr gespielt. Auffallend war jedoch, dass Axel Kober diesmal das Orchester lauter aufspielen ließ als an den beiden vorangegangenen Abenden, worunter der eine oder andere kleinstimmige Sänger anzukämpfen hatte.
Der 1. Aufzug wurde dominiert von Jörg Schneider, der mit seiner Leistung als Mime an jene großer Vorbilder mühelos anschließen konnte. Ein kauziger, schusseliger Zwerg mit einer großen Portion Hinterfotzigkeit steht da auf der Bühne, der allen Ernstes glaubt, er könnte mithilfe Siegfrieds den Ring und somit die Weltherrschaft erlangen. Es ist erfreulich, dass Schneider sich das schöne Timbre seines lyrischen Tenors erhalten hat und somit Mimes Gesang nicht quäkend klingt. Eine erstklassige Besetzung aus dem Ensemble, bravo!
John Lundgren, Michael Weinius. Foto: Klaus Titzer/ Wiener Staatsoper
Die Stimme des schwedischen Tenors Michael Weinius ist nicht allzu groß, klingt eigentlich mehr lyrisch als dramatisch, besitzt ein angenehmes, helles Timbre, allerdings wenig Höhensicherheit. Im ersten Akt konnte er sich fast nicht von Jörg Schneiders Tenor abgrenzen, beide Stimmen klangen vom Volumen her sehr ähnlich. Michael Weinius ist nicht der erste Tenor, der im finalen Schlussduett Ermüdungserscheinungen neben der ausgeruhten Brünnhilde zeigt. Sehr positiv aufgefallen ist sein engagiertes Spiel mit viel Spielwitz, vor allem im 2. Aufzug.
John Lundgren hat sich als Wanderer im Vergleich zu seinen Leistungen als Wotan in den ersten beiden Ring-Abenden erheblich gesteigert. Die Stimme klang – zumindest in den ersten beiden Akten – kräftiger und größer. Im 3. Aufzug ließ seine Kraft leider wieder hörbar nach. Er bemühte sich auch diesmal um eine bessere Artikulation. Allerdings fielen gewisse Unarten wie das Anschleifen der Töne, unschöne Vokalverfärbungen und Textunsicherheit neuerlich auf. Bezüglich der Textunsicherheit war er jedoch diesmal nicht allein. Ich habe noch nie so viele Textfehler (vor allem von den vorgenannten Herren) in einer „Siegfried“-Aufführung erlebt wie an diesem Abend.
Ausgezeichnet mit kernigem Bariton und großer Textverständlichkeit (da könnten sich die beiden vorgenannten Sänger ein Beispiel nehmen!) gestaltete Jochen Schmeckenbecher den Alberich.
Zufriedenstellend ergänzten Dmitry Belosselskiy als Fafner und Joanna Kędzior als Waldvogel die Besetzung im 2. Aufzug.
Noa Beinart, John Lundgren. Foto: Klaus Titzer/ Wiener Staatsoper
Zu Beginn des 3. Aufzuges bereitete der kurze Auftritt der Erda ungetrübte Freude. Mit ihrer weich strömenden, satten Alt-Stimme war Noa Beinart eine Idealbesetzung der Ur-Wala.
Brünnhildes Erwachen war jedoch dann der Höhepunkt des Abends. Die Stimme von Nina Stemme hat sich seit der Premiere im Jahr 2008 verändert. Sie klingt nun fülliger und dunkler als damals, hat sich jedoch die Höhensicherheit bewahrt. Kraftvoll und mit edlem Jubelklang sang sie „Heil dir, Sonne! Heil dir, Licht!“
Am Ende gab es viel Beifall für alle sowie Jubel für Nina Stemme, das Orchester und Axel Kober. Und diesmal gab es auch keine Buhs für John Lundgren.
Am Sonntag folgt dann die „Götterdämmerung“.
Walter Nowotny