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WIEN / Staatsoper: SIEGFRIED

Klaus Florian Vogt als alles überragender Titelheld, ohne tatsächlich ein Held zu sein

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Klaus Florian Vogt (Siegfried) und Matthäus Schmidlechner (Mime), Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: SIEGFRIED – Zweiter Tag des Bühnenfestspiels

32. Aufführung in dieser Inszenierung

11. Juni 2023

Von Manfred A. Schmid

Als Lohengrin ist er längst eine Traumbesetzung. Ob sein strahlend heller, jugendfrischer Tenor auch für den Siegfried passt? Nach einem erfolgreichen Rollendebüt Anfang März in Zürich ist Klaus Florian Vogt nun auch in Wien als Siegfried besetzungsmäßig ein Volltreffer. Freilich nicht als hochdramatischer Heldentenor, der er nicht ist, sondern als lyrischer Tenor mit dramatischem Potenzial, was vortrefflich zu dem jungen, etwas naiven, ungemein neugierigen Burschen passt, der sich daran macht, die Welt unbekümmert kennenzulernen und in ihren Verlauf, wenn erforderlich, auch einzugreifen, ohne viel darüber nachzudenken. Für den Wanderer (Wotan) und Mime ist er, wenn sie von Siegfried sprechen, nur ein „Knabe“ oder „Kind“, auch für Brünnhilde ist er ein „kindischer Held“. Dabei kann hier von einem „Helden“ im wahren Sinn des Wortes eigentlich noch gar nicht die Rede sein. Denn ein Held ist jemand, der die Gefahr des Scheiterns – bis hin zum Tod – erkennt und das Wagnis dennoch auf sich nimmt. Der Siegfried in der nach ihm benannten Oper Richard Wagners kennt das Risiko aber nicht, auf das er sich einlässt, weil er das Fürchten (noch) nicht gelernt hat, sondern er macht sich einfach ans Werk. Diese Einstellung hat daher mit Mut, einem wesentlichen Kriterium für einen Helden, nichts zu tun, wie er selbst bekennt: „Mut oder Übermut – was weiß ich!“ Der Siegfried, wie er von Klaus Florian Vogt dargestellt wird, hat viel mehr mit dem dummen Toren Parsifal zu tun als mit dem teutonisch verklärten Superhelden. Wie im Parsifal geht es auch hier um einen Entwicklungsprozess, der zu einem verantwortungsvollen, bewusst handelnden, reifen, „heldenhaft“ handlungsfähigen Mann führen kann. Insofern mag es auch durchaus angebracht sein, dass in der die Tetralogie abschließenden Götterdämmerung am kommenden Sonntag die Partie des zum Helden gereiften Siegfried mit einem Tenor anderen Kalibers (Burkhard Fritz) besetzt sein wird.

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Ricarda Merbeth (´Brünnhilde) und KLaus Florian Vogt (Siegfried).

Gerade aber im Siegfried ist Vogts Leistung höchst eindrucksvoll und seine stimmliche Verfassung ideal eingesetzt. Sein lyrischer Tenor hat ja auch durchaus einen metallischen Kern, aber dieser ist eben nicht aus Stahl, sondern aus Platin. Die fordernde Partie bewältigt er bis zum Schluss jedenfalls makellos und stimmstark. Darstellerisch ist er ganz der naive, intuitiv auch bauernschlau agierende junge Mann, dem jede Art von Reflexion fernliegt, sich vielmehr von Instinkten leiten lässt und etwa den bösen Charakter seines „Ziehvaters“ Mime durchaus zu durchschauen in der Lage ist. Köstlich sein respektloser Umgang mit dem Wanderer (eigentlich sein Großvater) und seine von Angst geprägten ersten Kontakte mit Brünnhilde, als er, der in einem merkwürdigen Männer-WG aufgewachsen ist, zunächst verzweifelt und überfordert den Beistand seiner Mutter erfleht, bald aber die Reize der Frauenwelt zu entdecken und zu würdigen lernt. Wenn er schon hier zu einem Helden werden sollte, dann vorerst nur als Frauenheld. Dass er im ersten Aufzug bei der Ausübung seines Schmiedehandwerks zur Wiederherstellung des zerbrochenen Schwerts vom musikalischen Gehämmere im Orchestergraben einige Male zugedeckt wird, soll nicht unerwähnt bleiben.

Ricarda Merbeth, die erst im dritten Aufzug ins Spiel kommt, ist als Brünnhilde eine gute Ergänzung  in einer zaghaft beginnenden Liebesbeziehung, die alsbald monumentale leidenschaftliche Dimensionen erreicht. Die enorme Höhe ihrer Partie bereitet ihr prinzipiell keine Mühe, minimale Tonschwankungen sind aber doch zu registrieren.

Eric Owens als Wanderer ist, wie schon in Rheingold und Walküre, eine solide, nicht gerade begeisternde Besetzung für die Bassbariton-Rolle des Göttervaters, der diesmal incognito unterwegs ist, nach dem Rechten schauen will, dabei aber feststellen muss, dass alles nicht so läuft, wie erhofft. An ausgeprägte Sänger/Darsteller, wie es in der Vergangenheit etwas Tomasz Konieczny in dieser Rolle einer war, kommt er nicht heran. Da fehlt es nicht zuletzt auch an der nötigen Ausstrahlung, aber auch an den entsprechenden stimmlichen Voraussetzungen.

Ganz ausgezeichnet ist hingegen, wie es sich schon in Rheingold angedeutet hat, Matthäus Schmidlechner als umtriebiger Mime, der die Chance wittert, in der Gier nach Gold und Macht seinen Bruder Alberich übertölpeln zu können und dabei auch nicht davor zurückschrecken würde, Siegfried mit einem Gifttrank aus dem Weg zu räumen. Schmidlechner verfügt über einen wandlungsfähigen, zu komischen, selbstsentlarvenden Äußerungen passenden Charaktertenor, der die hinterhältige, fiese Natur dieser Figur offenbar macht und dabei durchaus an die prägende Gestaltung des Mime durch Heinz Zednik erinnert.

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Matthäus Schmidlechner (Mime) und Eric Owens (Der Wanderer).

Zu den gelungensten Szenen des von Sven-Eric Bechtolf inszenierten Rings, in Bühne und Ausstattung von Rolf und Marianne Glittenberg, gehört die eindrucksvoll gelöste, tödlich endende Begegnung Siegfrieds mit dem Riesenwurm Fafner. Das riesengroße Auge des Ungeheuers und der in der Pupille in James-Bond-Manier schwert- und nicht revolverschwingende Schatten Siegfrieds verfehlen ihre Wirkung ebenso wenig wie der sterbende Wurm, der dann meterhoch emporhebt, sich verwundert ob seiner Tötung an Siegfried wendet und dann wieder in der Erde verschwindet, bis Siegfried nur noch die schlangenhautähnlichen Überreste herauszieht und aufrollt. Ain Angers schwarzer Bass ist ein Ereignis.

Der Alberich von Michael Nagy hat einen starken Auftritt in seinem Streitgespräch mit dem Wanderer, der neben ihm noch blasser wirkt, als er tatsächlich ist. Auch in seiner Auseinadersetzung mit Mime zeigt der Bariton seine Führungsqualität und lässt keinen Zweifel hochkommen, dass er seine Ansprüche energisch umsetzen wird.

Maria Nazarova, die unlängst die Premiere der Neuinszenierung von Le nozze di Figaro durch ihren Einsatz als im Orchestergraben singende Susanna gerettet hat, brilliert als klar und hell klingende, textverständliche Stimme des Waldvogels. Die Erda von Noa Beinart hat sich, im Vergleich zu ihren Auftritten in den beiden vorhergegangenen Teilen, um einiges verbessert. Diesmal gelingt ihr eine eindrucksvolle Gestaltung der aus ihrem wohligen Schlaf erweckten Urgöttin, die von Wotan über das Los ihrer gemeinsamen Tochter Brünhilde informiert wird.

Die dramatische Farbigkeit und die Intensität von Wagners Musik wird von Franz Welser-Möst am Pult des Staatsopernorchesters stark herausgearbeitet, es mangelt aber auch nicht an zarten und innigen Passagen von geradezu transzendentaler Schönheit. In Erinnerung bleiben die bedrohlichen Entwicklungen ankündigenden Fagotte im Vorspiel und die schimmernden, anschwellenden Streicherklänge im letzten Zwischenspiel, die auf die ekstatischen Liebesbeteuerungen nach der Erweckung Brünnhildes hindeuten. Dass es bei einem so monumentalen Werk auch vereinzelt zu verhuschten Einsätzen der Bläser kommt, damit ist wohl zu rechnen. Erwähnenswert ist der Einsatz von Solohornist Manuel Huber, als Siegfried darangeht, das Lied des Waldvogels nachzuahmen.

Starker, begeisterter Applaus für einen großen Opernabend, bei dem vor allem die Titelfigur, eingebettet in ein gutes bis außerordentliches Ensemble, geglänzt und erfreut hat.

 

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