Herodes (Herwig Pecoraro) beklagt den Tod des Narraboth (Jörg Schneider).
Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Ein Scherzo mit tödlichem Ausgang
Wiener Staatsoper: Salome von Richard Strauss in der 236.Aufführung
mit der Regie von Boleslav Barlog am 22. April 2019
Es hat schon einen eigenen Reiz, wenn auf den wagnerisch verschwurbelten Karfreitagszauber des Parsifal am nächsten Tag mit der Salome von Richard Strauss eine weitere Oper mit biblisch-historischem Hintergrund folgt und der Prinzessin von Judäa – auf ihr beharrliches Drängen hin – der Kopf des Propheten Jochanaan auf einem Silbertablett serviert wird. Der Dirigent Michael Boder, derzeit wohl begehrtester Dirigent für zeitgenössisches Musikdrama, sorgt am Pult des Staatsopernorchesters am Ostermontag für eine brillante Umsetzung der in knallig schillernden Farben kraftvoll und pastös hingepinselten Partitur, die hart an die Grenzen der Tonalität geht und so bereits bei ihrem Erscheinen die heraufziehende Moderne zur Zeit des fin de siècle deutlich ankündigte. Auch die Inszenierung von Boleslaw Barlog aus dem Jahr 1972, im jugendstilverbrämten, von der Ornamentik Klimts inspirierten, grün-blau-goldenem Bühnenbild von Jürgen Rose, verweist auf die schöpferisch so ergiebige Entstehungszeit der 1905 in Dresden uraufgeführten Oper. Wie Michael Boder den Schleiertanz, in dem Strauss kühn impressionistisch anmutende orientalischen Exotismen mit knallhartem Expressionismus vereint, zum Leuchten bringt, ist schon atemberaubend und stellt den musikalischen Höhepunkt einer spannungsgeladenen Aufführung dar. Auch die gestalterische Leistung von Gun-Brit Barkmin in der Titelpartie ist hier am überzeugendsten. Gesanglich bleibt die aus Deutschland stammende Sängerin, die schon seit einigen Jahren als gefragte Salome um die Welt reist, an diesem Abend allerdings einiges schuldig. Ihr flacher, timbremäßig obertonarm wirkender Sopran ist alles andere als intonationssicher. Wenn es allerdings um deklamatorische Passagen geht, weiß sie mit ihrer Wortdeutlichkeit und mit ihrem intensiven Ausdruck zu punkten.
Markus Marquardt (Jochanaan), Gun Brit Barkmin (Salome). Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Blass und wenig durchschlagskräftig ist der Bariton Markus Marquardt. Den gewohnt selbstbewusst auftretenden, den frivolen Lebenswandel am Hofe des Herodias verdammenden Propheten und Mahner, der auch aus dem Brunnen noch vernehmlich und unbeirrt das Verhalten geißelt, verkörpert er jedenfalls nicht. Seine Stimme hat – zumindest an diesem Abend – nicht das geforderte Format und klingt vor allem in der Anfangsphase, wo er aus dem Verließ heraus zu singen hat, in der Höhenlage ziemlich unsicher.
Sehr gelungen ist hingegen Jörg Schneiders Gestaltung des in Salome hoffnungslos verknallten Narraboth. Sein glockenheller, ausdrucksstarker Tenor verleiht seiner Schwärmerei „Wie schön ist die Prinzessin Salome heute Nacht!“ ebenso aufrichtige Glaubhaftigkeit wie seinen an sie gerichteten, vergeblichen Warnungen, den Bogen nicht zu überspannen. Es wäre höchst an der Zeit, dieses Ensemblemitglied mit neuen Herausforderungen, die seinen Anlagen entsprechen, zu konfrontieren und ihm so weitere Entfaltungsmöglichkeiten zu bieten.
Herwig Pecoraro bringt – wie auch schon als Mime in Wagners Siegfried – das Kunststück zusammen, trotz hörbarer stimmlicher Grenzen seinem Herodes ein unverwechselbares Profil zu verleihen. Da kommt es auch nicht auf schönen Gesang an, streckenweise klingt es sogar wie eine Parodie, doch der Charakter des verängstigten, hypochondrischen und lüsternen Mannes, der zudem merklich unter der Fuchtel seiner Frau Herodias zu leiden hat, setzt sich hier, fein gearbeitet, durch. Da steckt jahrelanges Feilen an dieser Figur dahinter. Mit seinem eigen klingenden, brüchig gewordenen Charaktertenor und seiner stets wortdeutlichen und der Partitur strikt folgenden Phrasierungs- und Deklamationskunst setzt Pecoraro auch darstellerisch die komischen Akzente in dieser tragischen Geschichte und lässt so erahnen, was Richard Strauss wohl gemeint haben mag, wenn er seine Oper als ein „Scherzo mit tödlichem Ausgang“ bezeichnet hat.
Jane Henschel als Herodias hingegen kann nur noch giftig keifen und ihre Tochter mit rechthaberischen Zurufen ermuntern, von ihrem unseligen Vorhaben nicht abzurücken. Ein bisschen wenig, um sich nachhaltig einzumischen. Das gelingt anderen Mitwirkenden in weit weniger gewichtigen Rollen – zu nennen wären hier etwa Wolfgang Bankl als Soldat und die streitenden Juden Thomas Ebenstein, Leonardo Navarro, Carlos Osuna und Benedikt Kobel – um einiges besser.
Insgesamt: Das weitaus Beste an diesem Abend ist das, was aus dem Orchestergraben gekommen ist. Kurzer, nicht allzu heftiger Beifall für einen kurzen Opernabend.
Manfred A. Schmid