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RUSALKA von Antonín Dvořák
Neunte Aufführung in dieser Inszenierung
9.Februar 2016
Vor etwas mehr als zwei Jahren bei der Premiere hörte man Krassimira Stoyanova als betörend singende Rusalka und Michael Schade als ihren Prinzen. Bei der zweiten Aufführungsserie in der Saison darauf gab es neben der für Kristine Opolais einspringenden Olga Bezsmertna einen stimmlich idealen Prinz in der Person von Piotr Beczala. In der nunmehrigen dritten Serie waren alle fünf Hauptrollen neu besetzt, was dem Abend das Interesse von nahezu einer Premiere verschaffte – leider nur hat man die Inszenierung nicht ausgetauscht…
Auf Camilla Nylund wartete an diesem Abend mehr, als sie vermutlich erwartet hat (oder befürchtet, hätte sie geahnt, was auf sie zukommt). Nicht nur (wenn auch als Einspringerin für die Premierensängerin, aber wer beschwert sich, wenn A-Klasse durch A-Klasse ersetzt wird?) eine Rolle, die sie liebt, zumal sie das slawische Fach vermehrt singen möchte. Ihre schlanke, helle, dabei nie „kalte“ Stimme ersetzt breites Melos durch delikate Stimmführung in allen Registern und allen Lautstärkeschattierungen, wobei sie nur im dramatischen Ausbruch am Ende des zweiten Aktes leise an Grenzen zu stoßen schien. Darstellerisch wuchs sie von dem unsicheren Nixen-Zauberwesen des Beginns zur Verstörtheit und Verlorenheit des zweiten Aktes, um im 3. Akt dann wie übernatürlich zur Magie einer durch Liebe und Leid geläuterten wahren Märchengestalt zu finden, die nicht mehr von dieser Welt ist.
Was Camilla Nylund noch zu erleiden hatte, „verstrickte“ sie in eine der vielen albernen Regieideen des Abends: Im dritten Akt hatte sie nicht nur traumhaft zu singen, was sie glorios tat, sondern schickte sich auch an, den Prinzen (den sie ja nicht zu sich ins Wasser ziehen konnte – weit und breit keines zu finden) laut Bechtolf-Regie an einen Baum zu fesseln (!!!). Allerdings stellte sich schnell heraus, dass der dazu nötige endlose schwarze Schal sich unter einem Stein verfangen hatte und festhakte. Also musste Camilla Nylund nicht nur weitersingen, als sei nichts geschehen, sondern auch noch die Ursache der Katastrophe finden, sich dann niederbeugen, an dem Schal zerren, was nicht klappte, weiter niederbeugen und ihn schließlich gewaltsam unter dem Stein hervorreißen… und immer so tun, als sei das ganz selbstverständlich. Außerdem hieß es mit gemessener Eleganz das „Fesslungswerk“ zu Ende zu führen, was auch Schwierigkeiten machte, weil der Schal nicht am Kopf des Prinzen halten wollte, und man wagt nicht zu denken, was geschehen wäre, wenn der Schal sich obstinat nicht bewegt hätte? Und wenn sie sich gar (es sah einige Male so aus) in dem Zeug so verstrickt hätte, dass sie gestolpert wäre und den Boden unter den Füßen verloren hätte (um einen möglichen Bauchfleck nobel auszudrücken?). Nicht auszudenken…
Neu an diesem Abend war auch die „fremde Fürstin“ in Gestalt der Russin Elena Zhidkova, die mit überragendem Impetus schon vor zwei Jahren in der „Adriana Lecouvreur“ ihre Kollegin Gheorghiu das Fürchten lehrte. Sie ist von Kopf bis Fuß die funkelnde Bösewichtin, die man einer reinen Heldin gegenüberstellt, und wenn ihr Mezzo an diesem Abend auch gnadenlos hart und schrill klang (und man gar nichts gegen ein wenig Belcanto gehabt hätte), so minderte das erstaunlicherweise die Wirkung ihres Auftritts überhaupt nicht.
Die „fremde Fürstin“ der Premiere, Monika Bohinec, wurde auf die Rolle der Jezibaba zurückgestuft, was (abgesehen, dass es die wesentlich größere Partie ist) dramaturgisch weit besser zur ihrer Persönlichkeit passte. Wenn sie auch nicht die stimmlichen Schwierigkeiten ihrer Premierenvorgängerin (Baechle) hatte, so klang das, was sie hören ließ, allerdings nicht eben angenehm – aber sagen wir, dass die Jezibaba ja wirklich eine böse Hexe ist…
Der neue Prinz war durchaus auf dem Weg zum König, ungeachtet dessen, dass es Leute gibt, die meinen, die Stimme von Klaus Florian Vogt sei Geschmacksache. Tatsache ist jedenfalls, dass ihre Klarheit, Helle und „Sauberkeit“ ganz besondere, von wenigen Kollegen sonst so gebündelte Qualitäten darstellen, und dass er in den letzten Jahren jenes vollere Volumen zugelegt hat, das ihm wärmeren Glanz verleiht. Ein sehr schön gesungener Prinz also, als Darsteller im ersten Akt von dem idiotischen Jägeranzug (mit Steirerhut) gehandicapt, womit jeder nur blöd aussehen kann, im zweiten Akt überraschend ausdrucksstark als der Mann, der seiner neuen Geliebten schon überdrüssig ist, bevor er sie noch geheiratet hat, und jede Ausflucht (zu besagter „fremder Fürstin“) benützt. Am Ende darf er noch in Ehren wieder lieben und freiwillig sterben… ist ja Oper.
Eine verdiente Chance gab die Staatsoper (die ihre Ensemblemitglieder ja nicht immer optimal einsetzt) dem jungen koreanischen Baß Jongmin Park mit der Rolle des Wassermanns. Diese Stimme ist nicht nur bemerkenswert groß und auffallend schön timbriert, sondern auch technisch wirklich bemerkenswert sicher – und die Indisposition, für die sich der Sänger entschuldigen ließ, hatte er offenbar total im Griff. Wenn das keine Weltkarriere wird, stimmt etwas nicht in der Opernwelt.
In den Nebenrollen teils bekannte, teils neue Interpreten, nicht alle gleich gut, aber niemand unter dem Niveau des Abends, den der Tscheche Tomáš Netopil souverän im Griff hatte, voll entschlossen, die Musik seines Landsmannes Dvorak zu optimaler Wirkung zu bringen – ob dramatisch drängend oder lyrisch verweilend (da spielt immer wieder die Harfe mit), ob mit verführerischen Orchester-Glissandi oder ohrenbetäubenden Fortissimi.
Nicht verschwiegen werden soll der Schwachpunkt des Abends, die Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf, die ein vages, uninspiriertes, „ich trau’ mich gar nichts“-Mittelding zwischen Schenk’scher Opulenz und Kusej’scher Umdeutung (Wassermanns Bordell) ist, irgendwas Dürres im Schnee, zwischen Betonwänden, wo die Nixen zu Vampiren mutieren und der Regisseur, betrachtet man sein Gesamtkonzept, im Grunde nur zu sagen scheint: „Eigentlich ist mir nichts eingefallen.“
Neben mir saß ein russisches Paar, selbstverständlich kamen sie nach dem ersten Akt nicht wieder. Wenn ausländische Gäste in die Wiener Staatsoper kommen, wollen sie sicher nicht in die deprimierende Öde einer Glittenberg-Ausstattung starren. Auch nach der zweiten Pause waren nicht wenige Zuschauer nicht mehr gesehen… Die Wiener allerdings trösteten sich mit der Besetzung (wann tun sie das nicht – und was bleibt ihnen übrig?) und spendeten den verdienten Applaus mit Jubelstürmen für die Titelrollensängerin.
Renate Wagner