Rusalka – Wiener Staatsoper, 6.2.2014- „Rusalka Scissorhands und Alberich Wassermann“
Gabriel Bermudez, Stephanie Houtzeel. Foto: Barbara Zeininger
Die musikalisch in allerhöchsten Tönen gelobte Neuproduktion von Dvoráks Oper „Rusalka“ erlebt zur Zeit eine Renaissance. Nachdem dieses Werk von westlichen Theatern über Jahre hinweg kaum am Spielplan zu sehen war, gibt es zur Zeit – auch im TV – einen wahren Overflow. Am Mittwoch wurde die umstrittene Kusej-Inszenierung aus München gezeigt (Thema – Familienaufstellung á la Fritzl), diesen Samstag wird aus der Metropolitan Opera in New York die klassische Inszenierung von Otto Schenk übertragen und am Sonntag folgt eine Live-Übertragung der aktuellen Staatsopernproduktion.
Das bereits sattsam bekannte Produktionsteam Sven-Eric Bechtolf (Regie), Rolf Glittenberg (Bühne) und Marianne Glittenberg (Kostüme) zitierte sich selbst sehr oft und nahm auch noch Anleihen bei Tim Burton (Edward Scissorhands). Viele Szenen erinnerten frappant an den Wiener Ring – man kann jetzt Bechtolf positiv unterstellen, dass er damit vielleicht auch szenisch auf die Ähnlichkeiten der Musik zu Richard Wagners Opus Magnus aufzeigen wollte. Schon die erste Szene zwischen dem Wassermann und den drei Elfen geriet fast zur Kopie der ersten Rheingold-Szene – sei es jetzt der Tanz der Elfen um den Wassermann oder besonders auch – und das zieht sich durch das ganze Stück – die Bewegungen von Günther Groissböck, die im Prinzip eins zu eins denen von Alberich während der Götterdämmerung entsprechen. Es setzt sich fort in den Perücken (dieses Mal weißblond statt rot wie bei Loge) und auch die letzte Szene, als Rusalka den Prinzen an einen Baum bindet, hat man im ersten Bild der Götterdämmerung schon einmal gesehen. Auch Marianne Glittenberg stellte mit dem Kostüm von Jezibaba einen Bezug zum Wagnerschen Ring dar – Fricka trägt da ebenfalls ein Federkostüm, nur nicht in schwarz. Insofern ist „das Werk gelungen“ und ich bin sicher, dass man bei mehrmaligen Besuch der Produktion (sie wird im September wieder am Spielplan sein) noch weitere Bezüge erkennen kann.
Vom märchen- und naturhaften Ambiente des Librettos ist auf der Bühne nicht viel zu sehen, es ist fast alles grau in grau. Der Teich bleibt unsichtbar, der Wald ist auf ein paar kahle Bäume und abgestorbenes Gehölz auf Schneeboden reduziert. Wird damit die emotionale Kälte der seelenlosen Wasserwesen widergespiegelt? Das ist schon möglich, aber nicht neu – man fühlte sich unweigerlich an Produktionen von Eugen Onegin erinnert (Duellszene).
Die Personenführung war – wie immer bei Bechtolf – ausgezeichnet und immer auf die Musik abgestimmt. Sie ist eine ganz große Stärke des Wiener „Hausregisseurs“. Leider muss man recht nahe der Bühne sitzen, um auch die Minenspiele der Akteure in vollem Umfang zu genießen – besonders Stephanie Houtzeel ist eine wahrlich köstliche Mimin.
Es gibt in dieser Produktion, wenn man die anderen Rezensionen verfolgt hat, zwei mittlere Aufreger. Während der Ballettmusik des zweiten Aktes tritt ein – im Libretto nicht vorhandenes – Ballettpaar auf und deutet mehr oder minder dezent einen hochzeitsnächtlichen Geschlechtsverkehr an. Als Pro-Argument kann man vorbringen, dass dies ja nur ein Traum der Rusalka sei und quasi in einer Parallelwelt spielt, dagegen spricht, dass Rusalka wahrscheinlich von all diesen Dingen so überhaupt keine Ahnung hat – woher soll sie wissen, was sich da abspielt? Obwohl die Szene wirklich köstlich choreographiert ist und neben dem Buffo-Paar Küchenjunge/Heger für Auflockerung sorgt, ist sie nach meinem Ermessen unlogisch.
Dies gilt nicht für die Blutorgie im dritten Akt, wenn der Küchenjunge auf und der Heger hinter der Bühne unfreiwillig das Zeitliche segnen. Wenn man will, kann man aus dem Text herauslesen, dass auf jeden Fall der Küchenjunge dran glauben muss – Jezibaba erwähnt ja schon im ersten Akt gegenüber Rusalka, dass sie auf jeden Fall eine Gegenleistung für ihren Zaubertrank verlangt – und auch der Heger ist durchaus gewillt, seinen Neffen zu opfern, um seinen Herrn zu retten. Was die blutrünstigen Elfen angeht, so weiß man als Fantasy-Leser, dass Elfen nicht nur nette, über die Wiese hüpfende Wesen sind, sondern auch ihre SEHR dunklen Seiten haben.
Die Leseart von Bechtolf ergibt unter diesen Umständen viel Sinn, allerdings verlangt er vom Zuschauer einen etwas weiteren Horizont und Kenntnis von anderen Komponisten, seinen anderen Inszenierungen und anderen Genres. Wer diese Kenntnisse aufweisen kann, der wird der Produktion sicherlich positiver gegenüber stehen als jemand, der einfach nur berieselt werden will.
Während die Inszenierung bei vielen ambivalente Gefühle auslöst, gab es über die musikalische Umsetzung keine Diskussion. Mit Jiri Belohlávek hat man einen für diese Oper idealen Dirigenten gefunden, der die böhmisch/tschechische Musik im Blut hat und das Staatsopernorchester zu wunderbaren Farben animiert. Belohlávek lebt diese wunderbare Musik (ich hatte die Gelegenheit, ihn von der Nähe zu betrachten und sah, dass er während der kompletten Vorstellung mitgesungen hat), war unglaublich sängerfreundlich, verstand es aber auch, das Orchester zu Ausbrüchen zu bringen, wenn dies angebracht war. Sollte er auch im russischen Repertoire so kompetent sein wäre es spannend, ihn auch da an der Staatsoper zu erleben.
Der Schlussapplaus konzentrierte sich vor allem auf drei Personen – neben dem zu Recht gefeierten Dirigenten wurden auch Stoyanova und Günther Groissböck akklamiert. Letztgenannter war mein persönlicher Favorit an diesem Abend. Der österreichische Sänger sollte, wenn er seine Karriere behutsam aufbaut, eine Weltkarriere machen können – das Material und die Technik hat er dazu. Gepaart mit einer physischen Präsenz und mit enorm viel Spielfreude ist er ein hervorragendes Beispiel für die Anforderungen, die man im 21.Jahrhundert an Sänger stellt, die auf der Bühne agieren (bei Konzertsängern ist dies ein wenig anders). Sein Bass ist sehr flexibel, er hat eine profunde Mittellage und Tiefe, aber auch die höheren Stellen der Tessitura konnte er mit Bravour meistern. Dazu kommt noch die Fähigkeit, seine Stimmfärbung zu modulieren. Man kann mit großer Freude seiner nächsten Premiere an der Staatsoper in Lohengrin entgegen sehen.
Während der Wassermann DIE beherrschende Figur des Abends war, fand man am anderen Ende der Skala Mihail Dogotari als Jäger wieder. Man konnte seinen schön geführten, höher gelegenen Bariton nur aus dem Off hören. Anschließen betrat er für einige Sekunden die Bühne, schaute sich um – und war schon wieder verschwunden… Das erinnerte mich sehr an die Anekdote aus der Frühzeit der Karriere von Walter Berry, als zwei Damen die Konversation während einer Opernaufführung hatten – „Schau, der Berry!“ „Wo?“ „Ist schon wieder weg…“. Unter diesem Umständen hätte man sein Kostüm gleich einsparen können.
Michael Schade (be)mühte sich in der Rolle als Prinz. Es wäre besser gewesen, wenn man diesen Part mit einem Tenor besetzt hätte, dessen Stimme bei den Acuti nicht derartig eng geführt ist (da war Klaus-Florian Vogt in München schon ein anderes Kaliber). Er hat nach wie vor eine schöne Mittellage, aber seine forcierten hohen Töne trübten den Gesamteindruck.
Es wäre nachzuforschen, ob Gabriel Bermúdez mehr Zeit damit verbringt seinen Körper oder seine Stimme zu trainieren. An diesem Abend waren in beider Hinsicht die Ergebnisse vorzüglich. Der Heger ist bis dato an diesem Haus seine beste Rolle und sein austrainierter Oberkörper beeindruckte meine Begleiterinnen gar sehr J!
Janina Baechle war eine sehr gut spielende Jezibaba, doch auch hier muss man leider ein paar Einschränkungen machen. Obwohl ihr diese Rolle bei weitem besser als die der Santuzza liegt, hörte man bei exponierteren Stellen einige Defizite. Insgesamt bleibt der Eindruck, dass sich die Stimme dieser Sängerin in den letzten Jahren nicht wirklich weiterentwickelt hat.
Ein wahre Freude war es an diesem Abend Stephanie Houtzeel in der Rolle als Küchenjunge zuzuhören und zuzusehen. Das war schauspielerisch eine absolut überzeugende Leistung, sie strahlte förmlich, so viel Spaß hatte sie an dieser Rolle. Manchmal wird die Rolle mit einem etwas dunkler timbrierten Mezzo besetzt, aber ihre Stimme passt perfekt zu diesem jungen, quirligen Buben, dem schlussendlich ein ganz böses Schicksal ereilt und im wahrsten Sinne zu Frischfleisch wird.
Wenn man schon sein Leben aushaucht um andere zu ernähren – es gibt wahrscheinlich viel Schlimmeres, als DIESEN drei Elfen zum Fraß vorgeworfen zu werden. Herausragend aus dem insgesamt hoch qualitativem Trio war – und nicht nur dank ihrer Körpergröße – Valentina Nafornita, die sich nicht nur zauberhaft bewegte (da wirkt noch ihre Ballettausbildung nach), sondern auch mit ihrem glockenhellen und flexiblen Sopran eine Top-Leistung bot. Schon jetzt kann man da von einer Luxusbesetzung sprechen – und gleichzeitig als Besucher hoffen, dass sie auch in der nächsten Rusalka-Serie in dieser Rolle wieder besetzt wird. Ich wage zu prophezeien, dass ihr Rollendebüt in Wien als Gilda im April ein großer persönlicher Erfolg für sie wird. Sie ist ein „Rising Star“, von dem das Wiener Publikum auch in der Zukunft viel hören wird.
Neben Nafornita hatten es die ebenfalls wunderbar singenden Lena Belkina und Ilseyar Khayrullova nicht leicht, da sie noch nicht so eine Bühnenwirksamkeit entwickelt haben. Beide gaben aber ein Versprechen für die Zukunft ab.
Monika Bohinec ist nun schon das dritte Jahr an der Staatsoper engagiert, doch bis jetzt konnte sie noch nicht ganz überzeugen. Dies geschah aber in dieser Rusalka-Serie, in der sie als Fremde Fürstin ihr Potential erstmals voll zur Geltung bringen konnte. Es scheint, dass sie eine besondere Affinität zu dieser Musik hat. Schade, dass sie beim Schlussvorhang nicht mehr anwesend war, da ihr Solovorhang nach dem 2.Akt vom Publikum nicht mit der Begeisterung aufgenommen wurde, die ihr nach der Vorstellung zu Teil hätte werden können.
Last but of course not least – Krassimira Stoyanova wurde vom Publikum gefeiert. Es sieht ganz danach aus, dass sie endlich die Aufmerksamkeit und Bewunderung erhält, die dieser Künstlerin schon länger zusteht. Rein stimmlich merkt man, dass ihre Rusalka schon etwas reifer ist. Ihr „Song to the Moon“ berührte nicht ganz so sehr, obwohl er technisch perfekt gesungen wurde. Ihre Stimme war etwas breit und nicht ganz so frisch-unschuldig wie es beispielsweise bei Kristine Opolais klingt. Trotz dieser Einschränkungen war es aber ein sehr gelungener und zu recht gefeierter Auftritt.
Zusammengefasst ist es eigentlich unfassbar, wie lange diese Oper aus dem Spielplan verschwunden war – bei entsprechender Besetzung wird sie auch in Zukunft ein Publikumsrenner sein. Der Stehplatz war komplett voll und das Publikum ging sehr zufrieden nach Hause.
Kurt Vlach