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WIEN / Staatsoper Richard Wagner SIEGFRIED

Selige Fülle auf wonniger Höh´

17.01.2019 | KRITIKEN, Oper

 

Iréne THEORIN und Stephen GOULD, Brünnhilde und Siegfried   Foto M.Pöhn


WIEN / Staatsoper

SIEGFRIED von Richard Wagner

16.Jänner 2019


Selige Fülle auf wonniger Höh´

Nach Rheingold und Walküre geht es mit dem 2. Tag des Bühnenfestspiels unaufhaltsam dem Ende – der Götterdämmerung – entgegen. Die Interventionsmöglichkeiten der Götter, Riesen und Zwerge haben sich weitgehend erschöpft, Siegfried – der Held, aber doch nur ein Mensch – nimmt das Heft des Handelns immer mehr in die Hand. Stephen Gould ist als Siegfried – wie gewohnt – eine imposante Erscheinung und bringt nicht nur das für diese Partie nötige Stimmmaterial, sondern auch jahrelang erprobte darstellerische Bühnenerfahrung mit, um diese Figur mit Saft und Kraft zu verkörpern. In seinem respektlosen und unbekümmerten Umgang – zuerst mit seinem ihn bevormundendem „Ziehvater“ Mime, von dem er sich alsbald emanzipiert und den er tötet, und dann mit dem Wanderer, den er, nichtwissend, dass dieser eigentlich Wotan und damit sein Großvater ist, frech hin und her schubst und schließlich sogar dessen Wanderstab zerbricht – zeigt er, dass er aus naiver Unwissenheit keinerlei Respekt und folglich auch keinerlei Furcht hat. Das Fürchten lernt er erst, als es darum, geht Brünnhilde zu freien. Und da wird er zunächst kleinlaut, dann aber auch zart und liebevoll. Diese Wandlung geht nicht ohne komische Wirkung ab, wie ja überhaupt die Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf die im Ring steckenden humoristischen Aspekte geschickt herausarbeitet.

Dass die Komik hier so gut funktioniert, ist nicht zuletzt auch der Rollengestaltung Herwig Pecoraros geschuldet. Er hat den Mime mit spürbar viel Zuwendung zu einem schrägen, kauzigen Sonderling geformt, der sein böses und hinterhältiges Wesen allerdings trotz seines umwerfend komischen Gehabes nicht verbirgt. Geradezu verstörend mutet es vielmehr an, wenn er seinem Schützling mehrmals offen ins Gesicht sagt, was für fiese Absichten er mit ihm hat, um das dann anschließend gleich wieder zu dementieren. Im Normalfall würde man diese Bemerkungen in der Regiearbeit wohl als an das Publikum gerichtetes „Beiseite-Sprechen“ abhandeln. Bei Pecoraro kommen diese verräterischen Bemerkungen geradezu zwanghaft aus seinem Mund: In einer Art Tourette-Syndrom-Variante kann er nicht anders, als seinem vermeintlichen Opfer die schreckliche Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Mit seinem trippelnden, an Pinguine erinnernden Gang und seiner hochgeschraubten Stimme gelingt es ihm auch, Mängel in der tieferen Lage gut zu kaschieren. Die Brüchigkeit der Stimme passt zu Brüchigkeit der Figur.

Verleihung der Kammersängerurkunde durch Direktor Meyer an Tomasz Konieczny (FotoM.Pöhn)

Tomasz Konieczny beweist als Wanderer, dass er den ihm im Anschluss an die Aufführung verliehenen Kammersängern zu Recht verdient. In seiner Gestaltung Wotans kommt ihm zugute, dass er vor seiner Sängerkarriere schon ein hochgeschätzter Schauspieler war und mit ihm heute daher ein toller Sänger/Schauspieler auf der Bühne steht. Eine prägnante, markante Stimme und ein unverwechselbares Timbre sind sein Markenzeichen. Dazu kommt ein feiner Humor: Man spürt bei ihm die souveräne Ironie, mit der Wotan dem Untergang entgegengeht und sich keinen falschen Hoffnungen mehr hingibt. Und so lässt er auch die respektlose Art, wie sein Enkel Siegfried mit ihm umspringt, mit einem kaum verborgenen Lächeln über sich ergehen. So ist eben der Welten Lauf.

Alberich, der eigentliche Gegenspieler Wotans, leidet darunter, dass er die Ungerechtigkeit, die ihm widerfahren ist, nicht hinnehmen kann. Anders als Wotan, der längst milde resigniert hat, kämpft er weiter um sein Recht und hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Jochen Schmeckenbecher strahlt in seinem Gespräch mit Wotan Groll und innere Unzufriedenheit aus. Stimmlich und darstellerisch eine mehr als zufriedenstellende Leistung.

Monika Bohinec ist – wie schon an den beiden vorausgegangenen Abenden – eine tiefsinnige Erda. Sie verleiht dieser schwer fassbaren Figur eine geradezu mythisch-mystische Aura. Sie, das Urwissen und eine Seherin, will angesichts dessen, was da kommen wird, nur noch schlafen. Ihre edle Erscheinung allein schon ist eine personifizierte Kritik am unstandesgemäßen Verhalten der Götterwelt, mit der sie nichts mehr zu tun haben will.

Sorin Coliban singt den Fafner mit mächtigem Bass, furchteinflößend klingt er allerdings nicht, und ganz so schwarz, wie erwartet, ist seine Stimme auch nicht. Dennoch gehört die Szene mit seinem Bezwinger Siegfried regiemäßig zu den stärksten in dieser Inszenierung – so auch an diesem Abend, was gewiss auch an der ingeniösen Ausstattung Rolf Glittenbergs liegt.

Als Stimme des Waldvogels hat Maria Nazarova ihr gelungenes Rollendebüt. Mit hellklarer, anmutig hoher Stimme gelingt es ihr, die zauberische, naturhafte Atmosphäre dieser Musik einzufangen.

Bleibt noch das Ende des Werkes, die große Szene der Begegnung Brünnhildes und Siegfrieds, die gewissermaßen das Gegenstück zum Feuerzauber darstellt, mit dem die Walküre geendet hat. Wird dort Brünnhilde von ihrem Göttervater Wotan in den Schlaf versetzt, nachdem er ihr zuvor die Gottheit von der Stirn geküsst hat, wird nun Brünnhilde – nach einigem Sträuben und Geziere – von Siegfried zum Leben als Mensch wachgeküsst. Iréne Theorin ist eine starke, selbstbewusste Brünnhilde, die sich erst allmählich daran gewöhnen muss, keine Göttin mehr zu sein und von einem Mann – immerhin einem Held – „geminnt“ zu werden.  In ihrem wehmutsvollen „Ewig bin ich, ewig war ich“ kommt dieser Prozess ergreifend zum Ausdruck. Mit den tiefen Anfangstönen hat sie da freilich einige Probleme, überhaupt scheint sie an diesem Abend nicht ganz zu ihrer aus der Walküre gewohnten Form gefunden zu haben. Auch in der Höhe klingt sie manchmal etwas scharf, im Duett mit Siegfried kommt es schließlich doch noch zu innigem Zwiegesang. Für die zwei vereinsamten Buhrufe beim Schlussgesang besteht allerdings keinerlei Veranlassung.

 „Selige Öde auf wonniger Höh´.“ Mit diesen Worten beschreibt Siegfrieds seine Gefühle beim Erklimmen des Hügels, wo Brünnhilde seiner wartet. „Öde“ – das bezieht sich hier vortrefflich auf das Bühnenbild des 3. Aufzugs, das besonders karg ist und wo Brünnhilde nur mit weißen Leintüchern bedeckt ist. Was die musikalische Seite des Opernabends betrifft, sollte es wohl besser „Selige Fülle auf wonniger Höh´“ heißen. Dazu trägt auch das bei, was aus dem Orchestergraben tönt. Das Orchester agiert – von vereinzelten Einsatzproblemen abgesehen – mustergültig. Die Paarung Wiener Staatsopernorchester und Axel Kober hat sich bewährt. Es folgt noch die Götterdämmerung, und dann steht weiteren Verpflichtungen dieses Dirigenten an der Wiener Staatsoper, wie bisher nur in Hänsel und Gretel zum Einsatz gekommen war, wohl nicht mehr im Wege, wie Direktor Dominique Meyer im Abschluss an die mit viel Applaus gefeierte Aufführung bekanntgibt.

„Wer den Text nicht genau gelesen und sozusagen Wort für Wort begriffen hat, der wird in den Aufführungen des RINGs das tun, was nur die Rheintöchter dürfen, er wird ‚schwimmen’,“ meinte der deutsche Kritikerpapst Joachim Kaiser. Da trifft es sich gut, dass in der Wiener Staatsoper der Text elektronisch – in sechs Sprachen – an jedem Sitz- und Stehplatz mitverfolg werden kann. Gottseidank funktioniert das System – anders als in der Walküre – diesmal von Anfang an, die einheitliche Wortdeutlichkeit der auf der Bühne Agierenden tut ihr Übriges. Auch wenn man den Ring schon oft gehört hat, man wird man beim Mitlesen immer wieder Neues entdecken und mit der Zeit auch die literarische Qualität dieser Dichtung mit Stabreim, Alliteration, archaischen Wortfindungen und kühnen Worterfindungen immer mehr zu schätzen wissen. Und natürlich entdeckt man dabei auch jede Menge Absonderlichkeiten.

 

Manfred A. Schmid

 

 

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