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WIEN / Staatsoper GÖTTERDÄMMERUNG von Richard Wagner

Ein würdiges, packendes Finale im Haus am Ring

21.01.2019 | KRITIKEN, Oper

Falk Struckmann, Hagen, Stephen Gould , Siegfried. Feiger Mord aus dem Hinterhalt als letzte Lösung der Verstrickungen Foto: M.Pöhn

WIEN / Staatsoper

GÖTTERDÄMMERUNG von Richard Wagner

3.Tag des Bühnenfestpiels Der Ring des Nibelungen
24.Aufführung in dieser Inszenierung
20.Jänner 2019    Von Manfred A.Schmid


Ein würdiges, packendes Finale im Haus am Ring

 
„Die ganze Tragödie der menschlichen Geschichte“ sah der irische Literaturnobelpreisträger George Bernard Shaw in Wagners Monumentalwerk Der Ring des Nibelungen verdichtet. Dass die Geschichte rund um den geraubten Ring böse enden wird, ahnt Göttervater Wotan bereits in Rheingold, doch erst in der Götterdämmerung ist es soweit: Eine moralisch ausgehöhlte Weltordnung geht mit kunstvollem Getöse und einer fulminanten Feuershow zu Ende und schafft Platz für eine unbekannte neue Welt. Die Oper schließt mit harmonievollen, helltönenden Klängen: Einer hoffnungsfrohen Verheißung gleich steigt die Musik aus den Fluten des Rheins empor und kündigt einen neuen Morgen an.

Zieht man eine musikalische Bilanz, dann geht von Wagners Ring mit dieser Aufführung erfolgreich zu Ende. Das Haus am Ring hat sich wieder einmal als ein exzellentes Haus für den Ring erwiesen. Mit guten Besetzungen und einem der diffizilen Aufgabe souverän gewachsenen Dirigenten – der unabdingbaren Basis eines gelungenen Opernabends – kann auch die Götterdämmerung aufwarten. Mit Axel Kober ist Direktor Meyer tatsächlich ein Glücksgriff gelungen. Der Chefdirigent und Generalmusikdirektor der Deutschen Oper am Rhein hat die musikdramatischen Fäden stets kundig in der Hand, kann die in allen Farben funkelnde Partitur bis in die feinste Abschattierung ausleuchten und setzt die dramatischen Zuspitzungen ebenso sicher und wohldosiert wie die Stellen leiser Reflexion und inniger Zärtlichkeit. Er erweist sich als ein Sängerbegleiter mit einem wachen Gespür für deren jeweilige Erfordernisse und Möglichkeiten. Geboten wird wagnerischer Klangzauber vom Feinsten. Besonders die Rheinfahrt und Siegfrieds Trauermarsch geraten eindrucksvoll. Dass es bei den Hörnern einige Patzer gegeben hat, ist bei über vier Stunden Dauer eigentlich zu erwarten, handelt es sich dabei doch um die sensibelsten Instrumente im Orchester.

Neu an diesem Abend ist, dass Tomasz Konieczny, der Wotan/Wanderer der vorangegangenen Abende, nun die Rolle Gunthers übernommen hat. Die im Schatten ihres Halbbruders Hagen stehende Figur bekommt dank seiner darstellerischen Fähigkeit mehr Gewicht als üblich; gesanglich stellt sie für den Kammersänger Konieczny keine allzu große Herausforderung dar. Falk Struckmann als Hagen ist nicht der gewohnte abgrundböse Fiesling, sondern präsentiert sich zunächst als melancholischer, beinahe elegant wirkender Bösewicht. Wie sein Vater Alberich lehnt er sich gegen erlittenes Unrecht auf, und bei seinem fein gesponnenen Rachefeldzug ist ihm jedes Mittel recht. Eindrucksvoll, wie er sich vor den angetretenen Kämpfern am Hofe der Gibichungen in Positur wirft und sie mit wilden Handbewegungen – wie ein wild gewordener Kapellmeister – antreibt. Ein Anführer, der seine mühsam kontrollierte Contenance für einen Augenblick verloren hat. Anna Gabler als Gutrune bleibt stimmlich etwas blass und ist auch darstellerisch nicht sehr präsent. Berührend allerdings die Szene, als sie sich neben Brünnhilde zum Leichnam Siegfrieds hinstellt und verunsichert ist, ob sie ihn ebenfalls zärtlich zudecken darf. Als Brünnhilde ihr Zögern bemerkt, ermuntert sie ihre Rivalin, indem sie sie am Arm leicht berührt: Zwei vom Schicksal gebeutelte Witwen in Trauerarbeit vereint, die sich schließlich sogar umarmen.

Waltraud Meier singt die Waltraute, die zu Brünnhilde kommt, um sie über die depressive Stimmung in Walhall zu informieren. Ihr Mezzo ist anmutig, für eine Walküre, die von ihrer Schwester noch dazu mehrmals „Wilde“ genannt wird, aber doch zu verhalten. Doch allein dass die längst zu einer Legende gewordene Wagnersängerin wieder einmal auf der Bühne zu erleben ist, sorgt für freundliche (Zu-)Stimmung im Publikum und für entsprechenden Applaus. Als die drei Nornen kommen Monika Bohinec, Ulrike Helzel und Fiona Jopson zum stimmungsvollen Einsatz, beklagen die auf eine Katastrophe zusteuernde Entwicklung und ziehen sich – wie zuvor schon Erda – in tiefes Schweigen zurück. Helzel ist an der Seite von Maria Nazarova und Zoryana Kushpler zudem auch eine der drei Rheintöchter. Mit Badehauben im Look der vorletzten Jahrhundertwende fordern sie von Siegfried die sofortige Rückgabe des Rings, was dieser empört ablehnt. Ihr spöttischer Gesang gewinnt seine Stärke aus der Überzeugung, dass die Naturgewalten sich letztendlich als stärker erweisen werden als alles Menschen- und Götterwerk.

Als letzter Streiter aus den vorhergegangenen Abenden mischt sich in der Götterdämmerung Alberich mit einem kurzen, aber nachhaltigen Auftritt in das Geschehen ein. Jochen Schmeckenbecher als Führer der einst machtvollen Nibelungen ist im Schlussteil stark gealtert, sein Haar ist aus Sorge und Enttäuschung weiß geworden. Es geht ihm nur noch um späte Rache, was er pointiert und schroff zum Ausdruck bringt. Stephen Gould zeigt als Siegfried, dass er, der „hehrste aller Helden“, im Grunde genommen ein naiver, tumber Tor geblieben ist, der die Hintergründe des Geschehens, in das er verstrickt ist und in dem er von Hagen rücksichtslos ausgetrickst wird, bis zum Schluss nicht begreift und daran auch keinerlei Interesse zeigt. So wird er zur leichten Beute in einem infamen Intrigenspiel. Auf Facebook wurde merkwürdigerweise darüber spekuliert, ob Andreas Schager als Einspringer an diesem Abend die Partie übernehmen könnte. Dafür bestand aber kein Grund, Goulds bewährter Tenor enttäuscht nicht. Dennoch wäre es an der Zeit, Schager, den hierzulande bisher nur vereinzelt (Daphne, Freischütz, Lohengrin) eingesetzten neuen Stern am Heldentenor-Himmel, demnächst auch im Ring erleben zu können.

Iréne Theorin ist eine stimmlich wie darstellerisch stark präsente Brünnhilde, die ein breites Gefühlsspektrum durchwandert: Innige Hingabe („In meines Gottes Arm“), Enttäuschung und Trauer angesichts des Verrats und der Untreue sowie spätes, verständnisvolles Verzeihen („Wie die Sonne strahlt mir sein Licht“) und Liebe bis in den Tod. Sie bewältigt diesen großen Bogen bis zum Ende mit Bravour, moduliert ihre prächtige Stimme mühelos von zartesten, geradezu flüsternd vorgebrachten Passagen bis zu gewaltigen Ausbrüchen höchster Emotionalität. Das ausgedehnte Finale bietet ihr eine große Bühne zur Entfaltung ihrer Kunst. Gemeinsam mit Dirigent Axel Korber erhält sie beim begeisterten und langanhaltenden Schlussapplaus zu Recht die meiste Zustimmung, doch auch alle übrigen Mitwirkenden – bis hin zum mächtigen Männerchor – werden für ihren Einsatz belohnt.

So bleibt am Ende bei aller Freude allerdings ein Einwand bestehen: Dass es diesmal für eine ganze Saison nur zu einen einzigen Durchlauf des gesamten Rings gereicht hat, bleibt unverständlich und ist – angesichts der gebotenen Leistungen – mehr als bedauernswert. Und wo, bitteschön, sind im Repertoire Tristan und Isolde, Tannhäuser, Die Meistersinger und Der fliegende Holländer geblieben?

Manfred A. Schmid

 

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