WIEN/STAATSOPER: PARSIFAL am 5.4.2012
Foto: Klaus Billand
Mit diesem „Parsifal“ hat Christian Thielemann einmal mehr bewiesen, warum er momentan der wohl beste Wagner-Dirigent ist. Er wäre aber ohne die große Kapellmeister-Tradition u.a. eines Horst Stein, Karl Böhm, Eugen Jochum, Wolfgang Sawallisch und Peter Schneider, der uns in der Staatsoper immer noch mit seinen großartigen und souveränen Leistungen am Pult erfreut, nicht denkbar. Thielemann zeichnet aus, dass er auf dieser Tradition aufbaut und den ja ohnehin in Wien äußerst kompetenten Musikern des Orchesters der Wiener Staatsoper den Raum zum Atmen lässt, den sie benötigen, um ihre Parts als wunderbare Einzelteile eines stets großen Ganzen voll ausspielen zu können. Dieser Raum wird ihnen in letzter Zeit nicht immer gewährt. Sie danken es mit einem wunderbar transparenten Klangbild, das selbst in den großen Tutti niemals zu laut wird. Dafür sorgt der Maestro schon, wenn er im Aufbau die Piani schon zu Beginn (mit der linken Hand) zurücknimmt, um mehr Raum für die Gestaltung der Steigerungen zu haben, die dann transparent und in all ihren Facetten erklingen. Und das alles immer völlig stressfrei. Herrlich das celeste Zirpen der Violinen in den Aufwallungen des Vorspiels, oder die Flöten – beide Instrumentengruppen schweben in betörender Zartheit über dem Orchesterklang.
Immer wieder kann man beobachten, wie Thielemann sich ganz persönlich einzelnen Musikern oder -gruppen widmet und sie mit fast magischen Blicken und detaillierten Handbewegungen zu dem erwünschten Klangbild animiert. Auch wenn er manchmal das Tempo stark zurücknimmt, fällt der große musikalische Spannungsbogen nie ab, was bei der szenischen Seite dieser weitgehend misslungenen und mittlerweile auch schon in die Jahre gekommenen Mielitz-Produktion leicht passieren kann. Die SängerInnen trägt Thielemann auf den Händen, klar kommt jeder Einsatz, stets sind alle hörbar, Musik und Stimme werden häufig eins.
Ein musikalischer Glücksfall also und umso wichtiger, als es an diesem Abend zwar „Parsifal“ gab, aber fast ohne Parsifal. Denn Simon O’Neill, der die Partie letztes Jahr in Bayreuth von Christopher Ventris übernommen hatte und in ihr an der Staatsoper gestern Abend debütierte, konnte weder stimmlich noch darstellerisch der Titelrolle gerecht werden. Schon in Bayreuth agierte er mit einem zu stereotypen Spiel und entsprach auch optisch nicht allen Erwartungen an den neuen Gralskönig. Sein heller Tenor ist relativ schmal und unbeweglich und mit einem Timbre versehen, welches in den Höhen nasal klingt, auch wenn diese durchaus erreicht werden. In der Mittellage verliert die Stimme jeden tenoralen Glanz, von Wärme kann erst gar keine Rede sein, was mit seinem uncharismatischen Gesamteindruck und einer immer noch nicht wirklich stimmigen Betonung der Vokale viel von O’Neills Wirkung und Ausstrahlung in dieser zentralen Rolle nimmt.
Um O’Neill herum gibt es sängerisch dann aber nur Gutes bis Bestes zu berichten. Angela Denoke dürfte weiterhin die weltbeste Kundry sein. Mit ihrem farbenreichen und auf jedem Ton klangvoll ansprechenden Sopran kann sie in der Rolle regelrecht betören. Sogar das exzessive „Und lachte!“ wird hier noch gesungen, und die berüchtigten „Irre, Irre“-Rufe stellen kein Problem dar. Ein kleiner stimmlicher Hänger gegen Ende des 2. Aufzugs war nur technischer Natur. Große Wortdeutlichkeit paart sich bei Denoke mit bester Technik, Phrasierung und Intonation, sowie einer auch mimisch
perfekten Wiedergabe der Bedeutung jedes Satzes, den sie singt. Dazu bringt sie auch optisch alle Reize der Verführerin mit und kann glaubhaft die fast asketisch anmutende Läuterung im 3. Aufzug zeigen. Mit ihrer stets gesanglichen Akzentuierung könnte man Angela Denoke in das jugendlich lyrisch-dramatische Fach einordnen. Eine „Walküre“ oder gar „Götterdämmerung“-Brünnhilde wäre für diese wundervolle Stimme aber sicher kritisch.
Falk Struckmann begeistert als Amfortas wieder durch seine erschüttende und schonungslose Interpretation der Rolle, die er diesmal mit seinem prägnanten und charaktervollen Bassbariton bis zum Ende kraftvoll durchsingt. Struckmann ist einer dieser Sängerdarsteller, die jedem Wagner-Abend ganz besonderes Charisma und theatralischen Glanz verleihen. Die Theater-Pranke von Harry Kupfer ist an ihm immer noch zu spüren…
Kwangchul Youn, der den Gurnemanz ebenfalls in der Bayreuther Herheim-Produktion singt und mit ihr nun an der Staatsoper debütierte, hat einen kultivierten Bass, den er vornehmlich mit gesanglicher Ausrichtung führt. Er singt äußerst wortdeutlich und kann auch gut phrasieren. Allein, über das große Volumen, das andere gefragte gegenwärtige Rollenvertreter wie Salminen, Halvarsson oder Milling aufweisen, verfügt Youn nicht.
Wolfgang Bankl hat den Klingsor in dieser Produktion nun total verinnerlicht und wird in seiner Darstellung und auch stimmlich immer besser, vor allem prägnanter. Andreas Hörl bleibt mit seinem Rollendebüt als Titurel aus dem Off etwas dünn und leicht verquollen.
Unter den Nebenrollen fällt Norbert Ernst als Dritter Knappe mit seinem Rollendebüt an der Staatsoper auf, sicher eine Luxusbesetzung. Auch unter den Gralsrittern und Zaubermädchen gibt es einige Rollendebüts am Haus, in ihrer Gesamtheit auf hohem Niveau. Der von Thomas
Lang einstudierte Chor und Zusatzchor der Wiener Staatsoper singen wie immer stimmstark und transparent.
Zur Inszenierung von Christine Mielitz aus dem Jahre 2004 in den Bühnenbildern von Stefan Mayer ist ja mittlerweile alles gesagt. Der 1. Aufzug mit seiner imposanten Verwandlung zur Gralsszene und dem Abendmahl ist noch der stärkste, auch wenn die verhunzten Waschbecken für die Katzenwäsche der Gralsritter und die aus etlichen Aufführungen akkumulierten und nur mühsam weggewischten Blutkleckse der diversen abgeschossenen Schwäne weiterhin irritieren (da müsste es doch ein gutes Reinigungsmittel geben!). Die Gurnemanz-Erzählungen werden keineswegs dadurch abwechslungsreicher, dass die Ritterschaft unmotiviert und unter skurrilen Verrenkungen mit Degen in der Luft herumstochert. Entbehrlich sind auch weiterhin sowohl der Kameramann wie die beiden Krankenschwestern im 2. Aufzug, die vor allem an die Handwerklichkeit von C. Mielitz erinnern, aber kaum zur Dramaturgie der Handlung betragen. An den Ex-DDR-Puff hat man sich ja schon gewöhnt, keinesfalls aber an den 3. Aufzug, der tatsächlich in eine DDR-Aufarbeitung mündet, die umso überholter wird, je länger die Wiedervereinigung zurückliegt – nun schon über zwei Jahrzehnte. Der 3. Aufzug grenzt mit seiner zwischenzeitlichen Marslandung und dem Ausblick ins Gedinge der Hinterbühne mit den Berliner Mauerresten an eine szenische Zumutung.
Im Rahmen der laufenden Aufräumarbeiten des Holenderschen Wagner-Nachlasses sollte Staatsoperndirektor Meyer mittelfristig wohl auch einen neuen „Parsifal“ ins Auge fassen.
Klaus Billand