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WIEN / Staatsoper: OTELLO

13.03.2018 | KRITIKEN, Oper


Aleksandra Kurzak Roberto Alagna. Copyright: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper:
OTELLO von Giuseppe Verdi
40.Aufführung in dieser Inszenierung
12.
März 2018

Kaum zu glauben: Mit Ausnahme einer Serie im Februar dieses Jahres (Kristian Benedikt / Olga Bezsmertna / Carlos Álvarez), die ich geschwänzt habe, habe ich vor viereinhalb Jahren (mit Cura / Harteros / Hvorostovsky seligen Angedenkens) meinen letzten Otello in Wien gesehen. Dazwischen lag die Met im Kino und Chicago live, beide Male mit Johan Botha, noch seligeren Angedenkens. Der mir in Chicago, als mein Mann und ich ihm nach der Vorstellung metaphorisch Blumen zu Füßen legten, sagte, um wie viel einfacher es für einen Sänger sei, in einer klassisch-konventionellen Inszenierung zu stehen, die einen fassbaren Raum und in den Kostümen die Möglichkeit bietet, den Charakter auch darzustellen – statt in einem leeren Raum mit irgendwelchen Projektionen im Hintergrund, das Ganze ohne Milieu, an dem Publikum und Sänger sich „anhalten“ könnten, die große Geschichte auf die Hosenträger und das Zeitungslesen der Protagonisten verkleinert… Kurz, die Wiener Mielitz-Inszenierung, die Ioan Holender uns hinterlassen hat (nicht der einzige Fehlgriff, den die Dame hier abliefern durfte) – was nur beweist, wie vorsichtig man mit dem sein muss, was man zulässt. Jahre des Repertoires müssen damit leben, was für eine „aufsehenerregende“ Premiere zusammen gebastelt wird. Viele Sänger werden sich in diesem Rahmen (abgesehen von der permanenten Dunkelheit und der schlechten Ausleuchtung) noch unbehaglich fühlen und nicht zu optimaler Wirkung kommen können…

*

Ein Abend der Debuts, fünf in Rollen, das sechste war gar ein Hausdebut, kurz, alles neu für Verdis „Otello“ an der Staatsoper. Das Paar Roberto Alagna und Aleksandra Kurzak, die gerne miteinander auf der Bühne stehen (kann man ja auch verstehen, man muss sich ja nicht vor künstlerisches Eifersucht totbeißen), waren erstmals als Otello und Desdemona zu sehen, Dalibor Jenis, den man lange nicht mehr am Haus gehört hat, sang seinen ersten Jago, Ensemblemitglied Ilseyar Khayrullova gab erstmals die Emilia, Leonardo Navarro, ziemlich frisch am Haus, den Rodrigo. Und Antonio Poli, der in Italien und Deutschland schon großes Repertoire singt, stellte sich im Haus als Cassio vor (den er auch an Bothas Seite in Chicago gesungen hat). Viel Neues zu sehen also.

Es war nicht der erste Otello von Roberto Alagna, er hat ihn schon in Orange (wo er viele Sommer lang der Star der Festspiele im römischen Theater war) gesungen, aber das ist eine Rolle, mit der man vorsichtig umgeht. Glaubt man Operabase, ist Wien sein erster Versuch in einem großen Haus. Und er kann die Rolle natürlich singen, er hat das nötige Metall in der Kehle – allerdings fordert Verdi vom „Esultate“ an über das irrwitzige Duett mit Jago am Ende des zweiten Aktes und auch sonst noch ein paar Mal wahnsinnigen sängerischen Druck, den wohl die wenigsten Tenöre ohne Forcieren bringen können. Auch Alagna nicht, der in den Höhen immer fabelhaft sattelfest bleibt und höchstens im Mezzavoce dann die Anstrengung mitschwingen lässt (aber das ist eine Rolle, wo Verdi ja ohnedies nicht an Belcanto gedacht hat).

Aber er ist, wie immer und selbst in dieser Elendsinszenierung (die auch gegen das Stück geht – wenn er die tote Desdemona küssen will, hat man ihm die Leiche weggetragen!!!), ein Darsteller von hoher Intelligenz und Überzeugungskraft, der nie nachlässt und die Aufmerksamkeit immer bei der Stange hält. Kein naiver Mohr übrigens, der einfach in die Falle tappt, sondern ein intelligenter Zerrissener, der nur durch einen souveränen Bösewicht zu Fall gebracht werden kann (den man an diesem Abend auch aufzubieten hatte).

Aleksandra Kurzak war die ersten drei Akte lang keine Musterschülerin sauberen Schöngesangs, da wackelte das eine oder andere undiszipliniert, da distonierte es manchmal, die Spitzentöne waren Glückssache, sie konnten schön gelingen oder nicht. Und dann sang sie im vierten Akt die Weide-Szene und das Gebet einfach atemberaubend, auf Linie (sie kann’s also doch), vor allem aber mit unglaublichen Pianissimo-Spitzentönen – da ist sie wirklich eine Meisterin. Und nun war auch die Innigkeit im Ton da. Im übrigen wirkt sie (40 ist das neue 20) wie ein junges Mädchen, eine lebhafte Liebende, kein leidendes Opfer. Am Ende hat es mit ihr und der Rolle doch noch geklappt, nächstens singt sie dann alles sauber.

Wenn man sich seine Informationen wieder aus Operabase holt, singt Dalibor Jenis den Jago nicht allzu oft – aber dafür hat er ihn im kleinen Finger. Dass die Stimme nicht besonders groß und auch eher flach als resonanzreich ist (auch er muss forcieren), wird völlig durch die Souveränität der gesanglichen und darstellerischen Gestaltung aufgehoben. Da tropft die Tücke aus den Tönen, da gleitet die Niedertracht nur so aus ihm heraus, da macht er alles einfach erschreckend und faszinierend richtig.

Antonio Poli, den man erstmals hörte, wirkte als Cassio wie ein naiver Junge, aber diese Tenorstimme ist zum Aufhorchen schön. Auch das bisschen Roderigo von Leonardo Navarro hörte sich gut an. In Nebenrollen Ilseyar Khayrullova und Alexandru Moisiuc.

Und ausgezeichnet Graeme Jenkins am Pult, nur dann zur vollen Lautstärke auffahrend, wenn die Chorszenen es erlauben, sonst ein absolut verständnisvoller Sängerbegleiter, die Missverständnisse blieben gering. So funktioniert Opernrepertoire, so muss es funktionieren.

Als am Ende Roberto Alagna mit einer Intensität und Verzweiflung von seiner Desdemona Abschied nahm und sich tötete, dass man einfach Gänsehaut bekommen musste, hat die Dame neben mir in ihr Taschentuch geschluchzt. Ich konnte es ihr nachfühlen.

Renate Wagner

 

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