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WIEN / Staatsoper: ORLANDO

09.12.2019 | KRITIKEN, Oper


Fotos: Wiener Staatsoper / Pöhn

WIEN / Staatsoper:
ORLANDO von Olga Neuwirth
Auftragswerk der Wiener Staatsoper
Uraufführung
Premiere: 8. Dezember 2019

Und was war nun das? Man tut sich schwer mit der Definition des dreieinviertelstündigen Abends, der in einem Opernhaus stattfand und in letzter Zeit überbordendes Medieninteresse erregt hat: „Orlando“ von Olga Neuwirth, ein Auftragswerk der Wiener Staatsoper, wohl kaum eine Oper im konventionellen Sinn. Sie brach wie ein Tsunami über die Zuschauer im ausverkauften Haus herein, gewissermaßen eine Überschwemmung: Man schnappte nach Luft angesichts des szenischen und musikalischen Overkills.

Klotzen, nicht kleckern, hatte sich die Komponistin vorgenommen, wenn man schon den gesamten Apparat eines ersten Opernhauses (und wohl auch ein sattes Budget) zur Verfügung gestellt bekam. So sieht das Ergebnis denn auch aus. Eine gewaltige Show-Orgie, ziemlich angeberisch auf allen Ebenen, ob im Aufwand, den eingebrachten „Ideen“ (Stichwort Kostüme), dem intellektuellen Anspruch. Nebenbei gesagt: Von der Vorlage, dem Roman „Orlando“ von Virginia Woolf, ist nicht viel geblieben. Es sei denn die englische Sprache. So spekuliert es sich leichter in Richtung Welterfolg. Am Broadway könnte man sich das Ganze gut vorstellen…

Orlando passt in unsere Zeit, wenn Virginia Woolf ihren Wanderer durch die Zeiten auch zuerst im Elizabethanischen Zeitalter auftauchen lässt. Erst Mann, dann Frau ist er eine Galionsfigur der Gender-Bewegung, als Schriftsteller, der jede Epoche reflektiert, der widerständige Intellektuelle. Bis zur Pause kann der Abend, der mit Vogelgezwitscher beginnt, sich gewissermaßen noch an dem Roman anhalten, wenn man Prosa auch nie wirklich umsetzen kann. Auch nicht, wenn man eine „Erzählerin“ (Anna Clementi, mit schöner Sprache und einer seltsamen, helmartigen Frisur) dazu nimmt. Die rahmt dann einige Szenen aus der Geschichte ein. Diese bekommt man übrigens, auch wenn man das Buch kennt, im Detail nicht wirklich mit, nicht einmal, wenn man sich an die – eher dürftige – „Inhaltsangabe“ im Programmheft halten möchte. Aber das macht nichts, sagt die Komponistin selbst: Das „Verstehen werde überschätzt“. Also kann man sich an den optischen Wirbel halten, der entfesselt wird.

 
Anna Clementi /  Justin Vivian Bond

Aber wie geht es weiter? Vor der Pause hat man noch in Paraphrase „O Tannenbaum“ erkannt, und in einer Viktorianischen Episode hörte man wohl auch die Heilsarmee singen (?). Nach der Pause hat das Original (mit Ausnahme der Person von Shelmerdine, den Orlando heiratet, der hier allerdings vom Kapitän zum Fotografen wird) ausgedient, das Buch erschien schließlich 1928. In der Oper springt das Geschehen von den Luftangriffen des Ersten Weltkriegs sofort in das Jahr 1941, das heißt, was nun kommt, ist Neuwirth und ihre Co-Librettistin Catherin Filloux pur. Nun gibt es auch kaum mehr „Handlung“, sondern einzig und allein einen „Wir sind die Guten“-Weltanschauungs-Parcours.

1941 schreibt man die Namen ermordeter Juden an die Wand, dann explodiert die Atombombe, schon ist man in Vietnam. Die Rassenfrage wird gestreift, die Gender-Frage durch den Auftritt des international bekannten Trans-Gender-Performers Justin Vivian Bond radikal chic gemacht, der eher als kraftvolle Blondine überzeugte denn als Sprecher und Vertreter seiner Ideologie, so unsicher wankte er durch seinen Auftritt. Man attackiert den Kapitalismus, ist natürlich bald beim neuen Faschismus, und das Ganze nimmt und nimmt kein Ende.

Würde man mit dem Mädchenchor enden (plötzlich scheinen alle wie kleine Gretas auszusehen), der die Hoffnung ausdrückt, die Zerstörung der Umwelt aufhalten zu können, wäre es zwar auch schon zu spät, aber immerhin. Aber nein, noch einmal muss Orlando als aufrechte Schriftstellerin an die Rampe (ihr Stil ist zu kompliziert für E-Books? Macht nichts), und man predigt Humanität, Man-selbst-sein, die Wahrheit sagen (weil es ja nur eine gibt, und die ist im Besitz von Frau Neuwirth), bewusst zu sein… Ja, und dann wird „Zukunft“ verkündet. Und dann ist es endlich aus.

Es ist ein Abend, den man zuerst einmal – sieht. Keine ruhige Sekunde, dafür sorgen Panele, die in dauernder Bewegung sind und ununterbrochen von Videos und Projektionen bestrichen werden (Video Design: Will Duke). Dazu muss die Regisseurin Polly Graham laut Libretto die meiste Zeit Chöre und Menschenmassen über die Bühne jagen, kaum, dass das Geschehen je zu einem Ruhepunkt kommt.

Und wenn es denn käme – dann wird man immer noch von der Ausstattung erschlagen, sprich: von den Kostümen. Da hat Rei Kawakubo nun Kunststücke seinerseits „komponiert“, oft mit Anklang an das Japanische (so etwa, wie die Queen Elizabeth als Popanz auf der Bühne steht), eine Unmenge von Rüschen, wehenden Umhängen, künstlichen Raffungen, die (dazu noch Frisuren und Kopfbedeckungen der skurrilsten Art) so ziemlich das Menschliche austreiben. Oder, wie Olga Neuwirth es ausgedrückt hat, ihre Musik „channeln“ (was immer sie damit gemeint hat).

Ist es Ausstattungszauber oder affektierter Ausstattungs-Unsinn? Es ist der Stil des Abends, der auf jede Art absichtsvoll überzeichnet, auf die große Performance unserer Zeit abzielt und eigentlich nur Banalitäten bunt bebildert. Und akustisch illustriert. Man lese einmal – man gebe sich den Genuß – im Programmheft die Orchesterbesetzung (abgesehen von einer immer wieder herein geschobenen „Band“). Die Komponistin konnte nicht genug bekommen, und man hat es ihr gegeben. Und Dirigent Matthias Pintscher reizt die meist breit dahin fließende Musik bis zum Extrem aus, dass man stellenweise gute Nerven für das Gehörte braucht.

Im Grunde stellt sich dasselbe Phänomen ein wie bei den „Weiden“: Wollte man das Beste aus der teilweise hoch eindrucksvollen, teilweise penetrant spekulativen Musik herausfiltern und es zu einer Orchester-Suite zusammen stellen, würde man sich das gerne noch einmal anhören. Aber nur, wenn man dazu das auf der Bühne entfesselte Chaos nicht noch einmal sehen müsste…

Kate Lindsey ist eine attraktive und aufopfernde, auch nach Möglichkeit präsente Hauptdarstellerin (sie verschwindet natürlich immer wieder im allgemeinen Trubel). Anfangs scheint es, als müsse sie nur ihren schönen Mezzo in der Mittellage strömen lassen, aber gegen Ende werden ihr dann wilde Koloraturen auferlegt. Sie kann auch das.

Es ist unmöglich, alle Sänger des Abends zu erkennen, auch, weil sie meist durch die Aufmachung so entstellt sind. Aus weißen Rüschen blickt Agneta Eichenholz und lässt ihre bemerkenswerte Stimme hören. Einen Guardian Angel stellt man sich optisch anders vor als Eric Jurenas, die jungfräuliche Elizabeth I. könnte so ein Popanz sein, wie Constance Hauman sie hinstellt. Liebhaber Shelmerdin ist Leigh Melrose, der auch (völlig unkenntlich) den Verleger Greene spielt. Die anderen mögen das Pauschallob für ihre stimmliche und optische Hingabe annehmen. Am Ende wird ein tapferer Sängerknabe in weißem Gewand mit Lichtern darauf in den Schnürboden gezogen – das ist so albern, dass es fast das Finale schmeißt.

In der Pause gab es lebhaftes Gedränge an der Garderobe – es gab Zuschauer, die in ihre „Komfortzone“ (aus der sie Olga Neuwirth programmatisch herausgerissen hatte) zurück strebten. Die Verbliebenen jubelten ausführlich, aber es gab auch genügend Buh-Rufer, die klar stellten, dass sie von diesem als Welttheater getarnten Zirkus nicht sonderlich angetan waren.

Renate Wagner

 

 

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