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WIEN /Staatsoper: NEIL SHICOFF-GALA 40 JAHRE BÜHNE

05.05.2015 | Allgemein, Oper

WIENER STAATSOPER: NEIL SHICOFF – 40 JAHRE BÜHNE . 03. Mai 2015


Neil Shicoff als „Hermann“ in „Pique Damen“. Foto: Wiener Staatsoper/Pöhn

 40 Jahre Bühne. Das ist ein Sängerjubiläum, welches nicht selbstverständlich ist. Schon gar nicht bei einem Künstler, der über sich selbst sagt „der nervöseste aller Sänger“ zu sein.

Der große Neil Shicoff, der so überragende Sängerdarsteller, der seine Rollen nicht nur sang, sondern sie stets mit Haut und Haar verkörperte, konnte nun sein 40jähriges Bühnenjubiläum an der Wiener Staatsoper feiern. Und an diesem Abend wurde nicht nur einer großen Karriere gedacht. Nein, es wehte auch ein Hauch von Wehmut durch das Opernhaus. Denn auch wenn der US-amerikanische Tenor das Wort „Abschied“ nicht gebrauchte, war doch allen klar, dass es ein solcher ist.

 Und Shicoff verabschiedete sich mit vier seiner Glanzrollen vom Wiener Publikum. Hoffmann, Hermann, Eléazar und Don José. Besonders erfreulich und bei solchen Konzerten eher ungewöhnlich, dass die Auszüge der Opern nicht konzertant sondern szenisch gegeben wurden.

 Und so sah man zu Beginn den Prolog aus Offenbach’s Les contes d’Hoffmann mit einem Titelrollensänger dessen Stimme noch etwas steif erklang und der sich erst warm singen musste, der den komplexen Charakter des Hoffmann aber sofort intensiv darzustellen vermochte. Für den Kleinzack gab es trotz leichter stimmlicher Anlaufschwierigkeiten bereits viel Szenenapplaus und Bravos. Ja, hier wurde ein Künstler bereits für seine ganze Karriere gefeiert.

Unterstützt wurde Shicoff von Mitgliedern des Ensembles. So sang Stephanie Houtzeel den Nicklausse bzw. die Muse, Paolo Rumetz den Lindorf, Thomas Ebenstein den Andres, Marcus Pelz den Luther, Clemens Unterreiner den Hermann und Carlos Osuna den Nathanael.

 An Intensität gewann der Abend dann – nicht überraschend – mit dem 2. Bild des 2. Aktes von Tschaikowsky’s Pique Dame mit Shicoff in der Partie des Hermann, mit dem er bereits bei der Premiere dieser Inszenierung einen überwältigenden Erfolg feiern konnte. Hier kam es auch noch einmal zu einem Wiedersehen mit Anja Silja, die ja ebenfalls schon bei der Premiere dabei war und noch einmal eine packende alte Gräfin darstellte und die gemeinsam mit Shicoff intensives Musiktheater bot, als der besessene Hermann, um an das Geheimnis der drei Karten zu kommen, nicht davor zurückschreckt mit der alten Dame den Geschlechtsakt zu vollziehen. Anja Silja’s Lustschrei, mit dem ihre Figur letztendlich auch ihr Leben aushauchte, hallte eindringlich durch das Opernhaus. Die kurzen Auftritte der Lisa absolvierte übrigens eine der ganz großen Sopranistinnen unserer Zeit, Krassimira Stoyanova, die ihren klangschönen Sopran erstmalig in dieser Partie hören ließ. Hyuna Ko sang die Mascha.

Für die Sänger gab es beim Vorhang – ganz verdient – frenetischen Jubel, als wäre ein großer Opernabend gerade zu Ende gegangen. Dabei ging es da erst in die Pause.

 Nach dieser präsentierte sich Shicoff in absolut bestechender Form, um noch einmal in seine „Lebensrolle“ zu schlüpfen. Den Eléazar in Halevy’s La Juive. Seit der Premiere der Produktion hat er die Partie in Wien 30 Mal gesungen. Keine andere Rolle hat er hier öfter gesungen, keine andere hat er wohl so geprägt wie diese. Gespielt wurde der 4. Akt der Oper, in dem erneut Krassimira Stoyanova als Partnerin des Jubilars auf der Bühne stand und die zu Beginn im Duett mit der Eudoxie der Simina Ivan demonstrierte warum sie zur ersten Garde der Sopranistinnen zählt, mit der Shicoff auch in der Vergangenheit schon oft und gerne auf der Bühne stand. Für den Kardinal Brogni konnte ein weiterer Hochkaräter aufgeboten werden: Ferruccio Furlanetto lieh seiner Rolle seinen eindrucksvollen und charismatischen Bass. Doch der wirkliche Höhepunkt war dann natürlich die Rachel-Arie mit der Shicoff das Haus immer zum Toben brachte. Natürlich auch dieses Mal. Wie er sich diese Partie zu seiner eigenen gemacht hat und wie er mit eindrucksvollem, subtilem Spiel in dieser Szene Gänsehaut erzeugen konnte, ist einfach sensationell. Da lauschte jeder im Saal konzentriert, man hätte die berühmte Stecknadel im Heuhaufen fallen gehört. Und man war berührt mit welcher Schlichtheit dieser Eléazar sich langsam seiner Schuhe, seiner Socken, seines Mantels entledigte und mit doch so starkem Ausdruck im Gesang gestaltete. Das war der ganz große Moment des Abends. Großer Jubel und unzählige Bravo-Rufe waren die Folge und man stellte sich unweigerlich die Frage – wer soll denn Shicoff in dieser Rolle nachfolgen?

 Zum Abschluss des Abends gab es dann noch eine weitere Glanzrolle in der Karriere des Neil Shicoff. Noch einmal war er als Don José in Bizet’s Carmen zu erleben – und natürlich mit dem letzten Akt. Und auch den von Carmen Verlassenen gestaltete er packend im Spiel und intensiv im Gesang. Wie auch in den Ausschnitten zuvor musste man unweigerlich feststellen, dass Shicoff auch nach vier Jahrzehnten im „Geschäft“ keinerlei Probleme mit Spitzentönen hat. Die erklangen alle mit einer Sicherheit, die so manchen Tenören, die nur halb so lange dabei sind, neidisch machen müssten.

Ursprünglich war Agnes Baltsa noch einmal als Carmen angesetzt, was eine schöne Sache gewesen wäre. Hat sie doch mit Shicoff stets großartige Carmen-Vorstellungen gesungen, von denen immer noch gesprochen wird. Die Absage Baltsa’s mag laut einigen Stimmen damit zu tun haben, dass man sich eben dazu entschlossen hat, die Gala szenisch anstatt nur konzertant zu geben, und vielleicht wollte sich Frau Baltsa einfach nicht mehr in Kostüm und Maske als junge Zigeunerin auf die Bühne stellen. So kam Elena Maximova zum Zug, die sich sichtlich bemühte, aber nicht auf Augenhöhe mit Shicoff gewesen ist. Diese Szene dominierte er so deutlich. Doch das machte letztendlich nichts, denn es war ja „sein“ Abend. So blieb auch Clemens Unterreiner als Escamillo etwas blass.

 Am Dirigentenpult erwies sich Frederic Chaslin als routinierter Begleiter.

 Die letzten 45 Minuten des Abends gehörten der Ehrung für Neil Shicoff. Dominique Meyer machte dem Tenor das Kostüm des Eléazar zum Geschenk und hat durchblicken lassen, ihn gerne weiter engagieren zu wollen, wenn er das denn auch möchte.

Es erschienen Jürgen Flimm und der Intendant aus Ludwigsburg, Thomas Wördehoff, die ihrem Freund mit „Ein Freund, ein guter Freund …“ meinten, ein Ständchen bringen zu müssen und die dafür einige Buhs kassierten. Teils weil es gesanglich natürlich keine Sternstunde war, teils aber auch weil diese Einlage für so manchen Zuschauer generell entbehrlich gewesen ist. Wie Jürgen Flimm meinte, komme der rheinische Humor in Wien nicht an. Das könnte so sein.

 Auch Ioan Holender kam zu Wort. Er, der Shicoff nach mehrjähriger Abstinenz wieder an die Staatsoper zurückholte erinnerte an die 245 und ein Drittel-Vorstellungen (das Drittel ist ein erster Akt Tosca), die der Sänger an der Wiener Staatsoper gesungen hat. In der launigen Rede wies Herr Holender daraufhin, dass Shicoff ja im Grunde alles erreicht hat und auch die vielen Auszeichnungen es ihm im Grunde nicht möglich machten mal beim Opernball zu erscheinen, da diese gar nicht alle auf dem Frack Platz hätten. Und das einzige was er nicht erreichte, darüber solle er froh sein, denn dann hätte er nicht mehr nur wenige Haare sondern wahrscheinlich gar keine mehr auf dem Kopf. Holender sprach natürlich den Posten als Staatsoperndirektor an, der Shicoff verwehrt blieb und den der neben ihm stehende Dominique Meyer stattdessen bekam.

 Und dann war endlich Shicoff am Wort, der seine Rede damit begann, dass er wirklich viel Glück in seinem Leben hatte. Er bezeichnete die Wiener Staatsoper als das bedeutsamste Haus seiner Karriere und er wies daraufhin wie wichtig ihm immer die Interaktion mit dem Publikum während der Vorstellung gewesen ist. Er bedankte sich nicht nur bei den Sängern die mit ihm auf der Bühne gestanden haben, den Bühnenarbeitern, und allen die dafür sorgten, dass die Staatsoper wie eine Maschine funktioniert, sondern auch beim „besten Orchester der Welt“ – dafür verbot er sich jeden Applaus, da dies ja für uns alle sowieso eine längst bekannte Tatsache ist – und auch bei seiner Ehefrau, der Sopranistin Dawn Kotoski, die ebenfalls auf die Bühne gebeten wurde. Eine Sängerin, die ihre eigene Karriere beendete, um ausschließlich ihren Ehemann zu unterstützen. Shicoff sprach auf seine Schmisse aus nervlichen Gründen und so manche Absagen an und meinte dazu, dass ist das, was das Publikum gesehen hat und wir sollen nicht danach fragen, was seine Frau erst alles so gesehen hat.

Mit vielen Bravo-Rufen und Jubel ging der Abend mit noch einigen Solovorhängen für Shicoff zu Ende, der glücklich auf der Bühne stand und immer wieder dankbar ins Publikum winkte und der – wie es ganz so seine bescheidene Art ist – auch immer wieder mit seinen Gesangskollegen vor den Vorhang trat, um den Jubel des Abends mit ihnen zu teilen.

 Man hatte das Glück an diesem Abend einem Neil Shicoff zu begegnen, der sich in ausgezeichneter stimmlicher Verfassung von seinem Wiener Publikum verabschiedet hat. Und es war wohl ein Abschied. Das Mikhailovsky-Theater in St. Petersburg kündigt Shicoff zumindest für nächste Saison noch jeweils einmal als Eléazar und als Canio an. Mehr scheint es nicht mehr zu geben. Auch seine offizielle homepage hat Shicoff inzwischen löschen lassen. Er meint es offensichtlich ernst.

 Lukas Link

 

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