Wiener Staatsballett: „MANON“ 11.01.2013 – Hin- und Hergerissen
„Manon“. Choreographie und Regie: Kenneth MacMillan, Musik: Jules Massenet, orchestriert von Martin Yates. Im Bild: Maria Yakovleva (Manon), Friedemann Vogel (Des Grieux). Copyright: Wiener Staatsballett/Michael Pöhn
Der Choreograph KENNETH MACMILLAN sagte über den Charakter der Manon, dass ihre amoralische Natur, wechselhaft von einer Szene zur anderen und sogar innerhalb einer Szene, es war, was ihn von Anfang an interessiert hatte. Dieses Ballett erzählt die Geschichte eines charmanten Mädchens, das jedoch wenig Charakter hat. Leidenschaftlich verliebt in den jungen Studenten Des Grieux, ist sie jedoch gleichzeitig ihrem Drang nach Reichtum, der dadurch möglichen Vergnügungen wegen, scheinbar hoffnungslos ausgeliefert. Ihr Leid ist entsprechend, doch bevor sie nach später Erkenntnis alles für die Liebe aufgibt, reißt sie ihren Geliebten, der darin beharrt, in ihrem Charme einen Charakter zu finden, den niemand sonst in ihr sieht, mit sich, so dass dieser für sie zum Lügner, Schwindler und sogar Mörder wird. Abbé Prévosts literarische Vorlage bietet hochkomplexen emotional-psychologischen Stoff, aus den MacMillan auf Musik von Jules Massenet ein vielschichtiges und zeitloses Handlungsballett kreierte, das das Publikum auf der ganzen Welt berührt.
In der zweiten Vorstellung nach der Wiederaufnahme zeigt Maria Yakovleva eine reife Leistung, die das gesamte Spektrum des vielschichtigen Charakters abdeckt: im I. Akt unschuldig, unsittlichen Avancen ausweichend, anfangs vor Des Grieux verlegen, um anschließend ihre Liebe durch leidenschaftliche Hingabe auszudrücken. Als frivole Dame kokettiert sie im zweiten Akt mit den vielen Verehrern – was in einer Hebung kulminiert, aus der sie mit schlangenartiger Bewegung in deren Armen versinkt – wird jedoch wieder von ihren Gefühlen für Des Grieux eingeholt. Im tragischen Schlussakt berührt sie durch ihre Interpretation der schwierigen Choreographie zwischen Herumirren in Delirium, spannungsvollen Halteelementen und double tours en l’air in den Armen Ihres Partners, sowie kraftlosem Fallen in den Tod. Eine harmonische Interpretation, der sie in Zukunft mit Sicherheit noch mehr Tiefe verleihen wird. Unterstützt wird ihre Darstellung auch durch ihren Partner Friedemann Vogel vom Stuttgarter Ballett, in dessen Armen Yakovleva federleicht wirkt und der sie sicher durch alle Pas de deux begleitet. Mit von ihm bekannt eindrucksvoller Technik lässt er vor allem in seinen Solis die anspruchsvolle Choreographie vergessen und findet die richtige Balance zwischen kraftvollen und zur Hingabe fließenden Bewegungen. Er entwickelt den Charakter des Des Grieux von Akt zu Akt immer mehr, vom überschwänglichen Verehrer, über den frustrierten Mann, der seiner Geliebten in der Liaison mit dem reichen Monsieur G. M. zusehen muss, bis hin zum leidenschaftlich Liebenden, der die Frau wieder für sich gewinnen kann. Am überzeugendsten ist er jedoch im letzten Akt als Verzweifelter, der für Manon mordet, sowie im Sumpf Pas de deux, nach dem er weinend über seiner toten Geliebten zusammenbricht. Trotz hervorragender Darstellung lässt Vogel in Wien dennoch etwas von der von ihm in den letzten Jahren nun gewohnten Intensität vermissen, mit der er das Publikum ständig in seinen Bann zieht und die ihn, vor allem in Stuttgart, aber auch auf vielen anderen Bühnen der Welt glänzen ließ.
Manons durchtriebener Bruder Lescaut wird sicher durch Kirill Kourlaev vertreten, der vor allem als Betrunkener in der Szene im „hôtel particulier de Madame“ beeindruckt, schwungvoll und heiter begleitet von seiner Geliebten Ketevan Papava. Erfrischend präsent und sprungkräftig als Bettlerkönig: Davide Dato.
Das Corps de ballet meisterte die durch viele synchrone sowie asynchrone Elemente herausfordernde Choreographie fast ausnahmslos und ergänzte stimmig die Solisten. Ermanno Florio führte an dem Abend das Orchester nun zu stimmungsvolleren Tönen und rundete somit den Abend ab. Man darf gespannt bleiben auf die weiteren Vorstellungen!
Dana Marta