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WIEN / Staatsoper: MANON LESCAUT

Anna Netrebko auch im Doppelpack mit Yusuf Eyvazov weiterhin ein Ereignis

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Yusuf Eyvazov (Des Grieux), Anna Netrebko (Manon Lescaut). Alle Fotos. Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: MANON LESCAUT mit Anna Netrebko und Yusif Eyvazov

41. Aufführung in dieser Inszenierung

29. Oktober 2023

Von Manfred A. Schmid

Die Inszenierung von Robert Carsen aus dem Jahr 2005 zählt nicht zu seinen besten und widerspricht den Intentionen von Puccini, der sich vorgenommen hatte „das historische Lokalkolorit des 18. Jahrhunderts zu gestalten, vor allem in seinen scheinheiligen und affektierten Zügen“. Was sich Komponisten und Librettisten vorgestellt haben mögen, kümmert Regisseure heutzutage bekanntlich wenig. Carsen versetzt die Handlung in die mondäne Welt der Reichen und Schönen der Gegenwart. Kann man machen, falls sich dieser vermeintliche Geistesblitz als tragfähig erweist. Spätestens im dritten und vierten Akt geht die Rechnung aber nicht mehr auf und strotzt vor Ungereimtheiten. Manon Lescaut, die nach ihrer Ankunft vom Lande in Paris, wo sie nach dem Wunsch ihrer Familie in ein Kloster eintreten sollte, sich aber in den mittellosen Studenten Chevalier Des Grieux verliebt und nach einer gewaltsamen Entführung ein luxuriöses Leben als Mätresse des Großschatzmeisters Geronte beginnt, wird, sehnt sich nach ihrer großen Liebe zurück. Als sie ihren Gönner verlassen und mit Des Grieux ein neues Leben beginnen will, scheitert der Fluchtversuch, weil sie sich dabei verzettelt, noch möglichst viel Schmuck und schöne Kleider zusammenzuraffen. Der rachsüchtige Geronte di Ravoir nützt seine machtvolle Position und veranlasst, dass sie mit einer Gruppe von „gefallenen Mädchen“ über Le Havre in die Verbannung nach Amerika geschickt wird, wie es im Libretto heißt. Carsen hingegen lässt sie, begleitet von Des Grieux, in der von Schaufenstern mit schicken Modepuppen gesäumten, nunmehr ziemlich vermüllten Pariser Prachtstraße, deren Glanz sie schon bei ihrer Ankunft verfallen ist, verdursten. Jetzt aber im Ernst: Wer muss in Paris zu Beginn des 21. Jahrhunderts verdursten? Vor allem aber: Wo werden in Europa heutzutage noch gewisse Damen zur Strafe in die Verbannung geschickt?

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Evgeny Solodnikov (Geronte), Davide Luciano (Lescaut)

Um solche Fragen kümmert sich Robert Carsen, der im nächsten Jahr wohl den Salzburger Jedermann inzenieren dürfte, wenig. Was nicht gerade ist, wird nicht einmal versuchsweise gerade gemacht, sondern bleibt krumm und macht es für die Protagonistinnen und Protagonisten auf der Bühne schwer, das tragische Geschehen und dessen Folgen so zu gestalten, dass das Publikum Anteil an ihrem Schicksal nimmt und mit ihnen mitfühlt. Wenn Manon als Modepuppe vorgeführt wird, wird es schwer, Sympathien für sie zu erwecken. Daran sind in dieser Inszenierung schon namhafte Sopranistinnen ehrenvoll gescheitert. Um unter solchen Bedingungen begeistern und berühren zu können, braucht es schon das Kaliber einer so profunden Sängerin und Darstellerin wie Anna Netrebko, die noch dazu die Tücken dieser problematische Regiearbeit aus früheren Auftritten schon gut kennt. Dennoch braucht auch d i e Netrebko einige Zeit, bis sie sich in die Herzen singen kann, denn im ersten Akt ist viel zu viel Action auf der Bühne, so dass die unscheinbar gekleidete, noch etwas scheue junge Manon kaum die Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann. Da gibt es Gaffer, Neuankömmlinge und Touristenscharen, die sich von Edmondo, der sich als Fotograf sein Studentenleben finanziert (Carlos Osuna, umtriebig, aber zu leise) ablichten lassen. Nur der lüsterne alte Geronte di Ravoir und seine Häscher haben einen begehrlichen Blick auf ihre nächste Beute geworfen, die aber im letzten Moment durch die Hilfe von Chevalier Des Grieux der Entführung entkommt. Es gibt keine längeren Passagen, nur kurze Gesprächsszenen, die Netrebko wenig Möglichkeiten geben sich zu entfalten.

Der zweite Akt zeigt Manon in ihrem Schicki-Micki-Altag im Haus von Geronte. Luxusverwöhnt, aber auch gelangweilt und vereinsamt, wie ihre dunkelsamtig vorgetragene Klage „In quelle trine morbide“ enthüllt. Auch der Gesang der vier „Madrigalisstinnen“ vermag sie kaum aufheitern. Ihre Stimmung hebt sich, als plötzlich Des Grieiux auftaucht. Ihre Liebe entflammt von neuem und führt zu ihrem großen Liebesduett „Tu, amore? Tu?“. Netrebkos erdiger Sopran prunkt mit seidigem Legato und schimmernder Schönheit, was sich auch in ihrer ergreifenden Erinnerung an die erstn Zeit ihrer leidenschaftlichen Beziehung  zeigt. Zur vollen Blüte entfaltet sich ihre üppige, brillante Stimme, die im mittleren und unteren Bereich fülliger geworden und trotzdem ungemein beweglich geblieben ist, im letzten Akt, wenn es ans Sterben geht. Ihre Gestaltung strahlt Aufrichtigkeit aus und starke, mitreißende Gefühle. Manon will nicht sterben und ahnt doch, dass es keinen Ausweg gibt. Anna Netrebko als Manon Lescaut ist und bleibt ein Ereignis. Das Publikum ist ergriffen und geradezu überwältigt.

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Anna Netrebko (Manon Lescaut)

Anna Netrebko gibt es oft – nicht nur in Wien – im Doppelpack mit ihrem Mann Yusuf Eyvazov. Ihr aserbaidschanischer Ehemann, den sie in Rom kennen und lieben gelernt hat, als beide von Muti in Manon Lescaut als Manon und Des Grieux engagiert waren, ist für seinen an Stahlbeton erinnernden Tenor bekannt. Höheangst kennt er nicht, und hat man sich einmal an sein eigentümliches Timbre gewöhnt, merkt man auch, dass er in den letzten Jahren viel dazu gelernt hat, was emotionalen Ausdruck in der stimmlichen Rollengestaltung anbelangt. Er schlägt sich recht gut im schon erwähnten Liebesduett, bewährt sich aber am besten im letzten, wo er, von Verzweiflung und Sorge um seine Liebste heimgesucht, seinem Schmerz und seiner Angst starken Ausdruck verleiht. Das dennoch nicht ausgewogene Doppelpackangebot Netrebko – Eyvazov ist eine 1 + 1 Aktion, die man auch weiterhin immer wieder in Kauf nehmen wird (müssen).

Der italienische Bariton Davide Luciano verleiht dem zwielichtigen Lescaut, dem zwischen Zuhälterei und familiärer Verantwortlichkeit hin und her schwankenden Bruder Manons, eine wendige, ausdrucksstarke, stets präsente Stimme.

Ensemblemitglied Evengy Solodnikov ist ein, wie es sich gehört, unsympathischer, fieser, in seiner Eitelkeit und Machtfülle gekränkter und herausgeforderter, verbrecherischer Lüstling, der einmal selbst zur Waffe greift und einen Verräter, der seine Entführungspläne zum Scheitern bringen könnte, kaltblütig erschießt.

Das ehemalige Ensemblemitglied Juliette Mars und Marcus Pelz treten als Musiker und Wirt in kurzen und prägnanten Auftritten in Erscheinung. Simonas Strazdas aus dem Opernstudio nützt nach seiner Mitwirkung in Gianni Schicchi nun als Sergeant eine weitere Gelegenheit, sich auf der Bühne zu bewähren und Erfahrung zu sammeln.

Das Staatsopernorchester unter der Leitung von Jader Bignamini bietet eine herausragende Leistung im „Intermezzo sinfonico“ zwischen dem zweiten und dritten Akt, das den Übergang von einem unbeschwerten Leben in eine bedrohliche Zukunft ankündigt und mit Extraapplaus belohnt wird. Doch bei der Koordination zwischen Orchestergraben und Bühne kommt es zu Divergenzen, die fatale Folgen haben und dazu beitragen, dass die Aufführung insgesamt unrund wirkt.

Das Publikum im nicht vollgefüllten Haus  – die Straßenverkäufer werden auf vielen Karten sitzengeblieben sein – zeigt sich begeistert und spendet üppigen Beifall.

 

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