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WIEN / Staatsoper: MANON

Ein solider Repertoire-Opernabend mit vielen Rollendebüts und einem Weltstar

WIEN / Staatsoper: MANON

54. Aufführung in dieser Inszenierung

30. April 2023

Von Manfred A. Schmid

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Pretty Yende, Charles Castronovo. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Die Premiere von Massenets Manon mit Anna Netrebko und Roberto Alagna 2007 war ein rauschender Erfolg. Eine Repertoireaufführung daran zu messen, wäre tatsächlich mehr als   vermessen. Immerhin aber steht mit Bertrand de Billy, sechzehn Jahre und rund 53 Aufführungen später, der damalige Dirigent erneut am Pult. Was diesmal aus dem Orchestergraben kommt, ist auch das bei weitem Beste des ganzen Abends. Und das, obwohl die Besetzungsliste mit zwei relativ großen Namen aufwarten kann. Dazu später. De Billy weiß jedenfalls fein zu modellieren und die raschen Stimmungswechsel der durchkomponierten Oper differenzierend zu gestalten. Leidenschaften, etwa in der erfolgreichen Verführungsszene in St. Sulpice, brausen auf, romantische Melodienbögen betonen die starken Erregungen, schwellen dynamisch an und verebben im zartesten Pianissimo, um dann weder hervorzubrechen. Dennoch verliert er sich nie in Details, sondern behält stets das Ganze im Visier. Das Staatsopernorchester kommentiert und illustriert die Empfindung der Akteure auf der Bühne und leuchtet deren seelische Befindlichkeiten sensibel aus. Schön, dass der Dirigent nach sechs Jahren Rückzug von der Staatsoper seit der Saison 20221/22 wieder an das Haus zurückgekehrt und des Öfteren, als inspirierender musikalischer Leiter mit Erfolgsgarantie zu erleben ist.

Insgesamt gibt es an diesem Opernabend, in der bewährten Inszenierung von Andrei Serban, neun Rollendebüts, eine beachtliche Zahl. Besonders gespannt sein durfte man auf Pretty Yende in der Titelrolle. Die südafrikanische Sopranistin hat als Adina in L‘ elixir d’amore und als Marie in La fille du régiment das Wiener Publikum begeistert. Ihre Violetta in der Traviata war dann nicht mehr ganz so unumstritten. Nun als Manon wird klar, dass sie für diese großen Verdi-Soprane vielleicht doch (noch?) nicht die idealste Wahl ist. In den beiden ersten Akten, als naives, unschuldiges, aber auch lebenshungriges und von luxuriösem Glanz wie magisch angezogenes Mädchen vom Land sowie als Verliebte in heimeliger Zweisamkeit ist sie überzeugend eingesetzt. Im dritten Akt, als Mittelpunkt („Königin“) der mondänen Pariser Welt und Halbwelt, kann sie die damit einhergehenden Erwartungen nicht mehr so ohne weiteres erfüllen. Ihr Auftritt gerät etwas plump, wozu auch das nicht gerade ideale Kleid beiträgt, und es fehlt ihr an Eleganz und Ausstrahlung, wie sie etwa bei Leontyne Price oder der bereits genannten Anna Netrebko zu finden waren. Der Akt im Kloster und das tragische Ende, ihr Verlöschen in den Armen ihres Geliebten, passen dann wieder ganz gut zu ihren derzeitigen Möglichkeiten. Auch die stimmliche Verfassung ist den genannten Schwankungen unterworfen. Jugendlich und frisch wirkt sie im ersten und zweiten Akt, im dritten und vierten mangelt es an einer soliden Mittellage, die tiefen Töne klingen etwas ausgefranst. Das faszinierende, verlockende Glitzern von Luxus, Gold und Diamanten spiegelt sich vokal jedenfalls nicht wider. Doch Pretty Yende ist noch jung, vielleicht sind diese Rollen etwas zu früh auf sie zugekommen.

Charles Castronovo ist ein verlässlicher Tenor, der seinen Part als Chevalier Des Grieux mühelos und sicher abliefert und auch schauspielerisch einnehmend agiert. Leider ist sein Timbre eher langweilig, in der Tiefe klingt seine Stimme etwas dumpf, in der Höhe stumpf. Die erotische Spannung, das erwartete Knistern in der Beziehung zu Manon sucht man an diesem Abend vergeblich.

Alle übrigen Rollen sind durchwegs stimmige Hausbesetzungen, auch der Staatsopernchor bewährt sich in gewohnt bester Manier. Mit der Inszenierung bereits bestens vertraut ist diesmal einzig und allein der profunde Bass Dan Paul Dumitrescu. Wenn er als respektheischender Graf Des Grieux die Treppe zum Casino hinunterschteitet, kurz innehält und seine tadelnden Worte an seinen Sohn richtet, wird es mucksmäuschenstill. Jeder weiß, wieviel es geschlagen hat.

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Michael Arivony (Lescaut). Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Als wandlungsfähigerund damit vielseitig einsetzbarer und auch darstellerisch begabter Bariton erweist sich wieder einmal Michael Arivony. Als Lescaut, Manons Cousin, ist er ein zwielichtiger, durch und durch korrupter Polizist, der von Familienehre faselt, die zu wahren sein Anliegen sei- In Wahrheit aber geht er nur seiner Profitgier nach, wofür er seine Verwandte  verrät und ausbeutet. Martin Häßler als Brétigny ist ein sich jovial gebender, aber schamloser Zuhälter, während Andrea Giovannini mit einem parodostisch ausgefeilten, unterhaltsamen Auftritt als geiler Guillot de Morfontaine im vieerten Akt für Abwechslung sorgt.

Dank ihrer lasziven Auftritte nicht zu übersehen sind drei langbeinige Damen mit schönen Stimmen: die derzeit fast in Dauereinsätzn an der Staatsoper zu bewundernden Stephanie Houtzeel als Javotte und die beiden aus dem Opernstudio kommenden, ausgezeichneten Sängerinnen Miriam Kutrowatz (Poisette) und Daria Sushkova (Rosette).

Während der Vorstellung kommt es kaum zu Szenenapplaus, was auch bei durchkomponierten Opern nicht immer der Fall ist. Pflichtschuldigen bis dankbaren Schlussbeifall, der bei den Verbeugungen von Yende und Castronovo, aber auch beim Erscheinen von Bertrand de Billy merklich aufrauscht, gibt es für einen insgesamt guten Repertoirealltag. Wahre Begeisterung hört sich anders an.

 

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WIEN / Staatsoper: MANON

18.09.2014 | Oper

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Foto: Wiener Staatsoper, Pöhn

WIEN / Staatsoper:
MANON von Jules Massenet
17. September 2014
33. Aufführung in dieser Inszenierung

Zumindest vom Besetzungszettel her war es eine sehr französische Manon – der Dirigent, die Hauptdarstellerin und der einspringende Tenor. Was kann ein (französischer) Direktor für Massenet mehr tun?

Die Wiener Staatsoper und Patricia Petibon haben keine große gemeinsame Geschichte. Im Jahr 2000 sang sie ein paar Male die Olympia, 2006 die Sophie, die wahrlich nicht ihre Rolle ist. Österreichischen Opernfreunden prägte sie sich dennoch 2010 als Lulu bei den Salzburger Festspielen und (neben anderen Rollen im Theater an der Wien) vor allem 2011 als Blanche im „Dialog der Karmeliterinnen“ ebendort ein. Es war Zeit, sie an der Staatsoper entsprechend vorzustellen – was allerdings vor allem den Stehplatz so gut wie überhaupt nicht interessierte. So gähnend leer war er auf der Galerie schon lange nicht.

Patricia Petibon, das ist rein äußerlich betrachtet die reizvolle Rothaarige mit der quirligen Persönlichkeit. Ihre Manon kommt nicht als schüchternes Mädchen auf die Bühne, die muss von Paris nicht verdorben werden, sie ist es schon. Sie passt in die Halbwelt, und höchstens angesichts der Liebe, die dieser Chevalier Des Grieux (dem sie sehr entgegen kommt) für sie empfindet, wird sie ein wenig sentimental. Unerwarteterweise spielt die Petibon die Sex-Karte (weder im 2. noch im 5. Bild) keinesfalls so deutlich aus wie die Netrebko es getan hat, aber schon, wenn sie sich Des Grieux aus dem Kloster zu sich „zurückholt“, meint man zu merken, dass da mehr Berechnung als Liebe dahinter steckt. Das lange, lange Sterben, das Massenet der Manon auferlegt, spielt sie so wirkungsvoll aus wie jede Sängerin, die auch eine begabte Schauspielerin ist.

Daran lag es nicht, wenn man mit dieser Manon dennoch nicht ganz glücklich wurde. Gut für Patricia Petibon, dass die Tessitura der Rolle sehr hoch liegt, denn in der Mittellage ist wenig, ab der hohen Mittellage fühlt sie sich wohler. Dennoch hört sich die Stimme (obwohl sie nach offiziellen Angaben noch nicht einmal Mitte 40 ist) abgenützt an, hat Löcher, manche Höhen werden nur mit Aufbietung aller Kräfte herausgeschrieen. Kurz, so klingt keine Sängerin, die sich in einer Rolle wirklich wohl fühlt – vielmehr war sehr viel Anstrengung zu hören.

Weit besser wirkte ihr Des Grieux, der derzeit auf der Erfolgsschiene zu fahren scheint. Nicht nur in Wien ist er eingesprungen (für den vorgesehenen, aber erkrankten Benjamin Bruns), er hat heuer im Frühjahr schon mit großem Erfolg Jonas Kaufmann als Werther an der „Met“ ersetzt: Kurz, es hat sich gelohnt, Jean-Francois Borras (der den Grazern vermutlich sehr vertraut ist) auch einmal nach Wien zu holen. Er ist ein wahrer Piano-Künstler, was er bei jeder sich bietenden Gelegenheit als überzeugendes Atout ausspielte, aber auch die Spitzentöne strahlten, die Stimme floß im französischen Melos glanzvoll dahin, und man fragt sich, ob er im italienischen Fach auch so gut ist. Jedenfalls eine lohnende Bekanntschaft.

Markus Eiche gab den Lescaut als wirklich üblen Zuhälter und mit sehr schönem Bariton, Dan Paul Dumitrescu war ein Père Noble wie er im Buche steht. Weiters in Nebenrollen Thomas Ebenstein und Clemens Unterreiner sowie die Damen Hila Fahima, Stephanie Houtzeel und Juliette Mars.

Frédéric Chaslin nahm seinen Landsmann Massenet kraftvoll in die Hände (manchmal fast zu rücksichtslos laut für die Sänger), betonte das dramatische Element und ließ keinerlei Schmalz aufkommen. Es tut französischen Opern gut, wenn man sie klanglich nicht „parfumiert“.

Renate Wagner

 

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