Zur Uraufführung von Andri Joël Harison an der Wiener Staatsoper | Sa, 5.3.2022 im Gustav Mahler-Saal
Die Uraufführung der ersten drei Lieder des Liederzyklus „Die Weisen einer Liebenden“ nach eigenen Gedichten für Sopran und Klavier war für den Komponisten und die Sängerin ein außerordentlicher Erfolg und ebenso eine außergewöhnliche Bereicherung für das Opernstudio des Hauses.
Andri Joël Harison. Copyright: Harison
Beim Wort „Lied“ könnte vielleicht der eine oder andere Zuhörer etwas Einfacheres erwartet haben, als das, was Andri Joël Harison in seine Komposition gelegt hat.
Jedes Lied ist eine eigene Welt für sich – man wird entführt in eine Welt voller Schönheit und Wohlklang, in einen romantischen und zugleich wahrhaftigen Stil, der womöglich auch einen Einblick in die Persönlichkeit des Komponisten gibt.
„Seligkeit“, so lautet der Titel des ersten Liedes, der spätestens nach der kurzen Introduktion am Klavier eine beseelte Atmosphäre in den Saal brachte, die die Sängerin bis zum Schluss des Liedes übernahm und sich zu eigen machte. Die zunächst einfach erscheinende Melodik der Gesangsstimme ist durchaus komplex gestaltet und spielt sich häufig in den hohen Regionen der Frauenstimme ab, die von der Sopranistin Anna Nekhames jedoch mit Leichtigkeit gesungen wurden, deren strahlendes Kleid die Ausdruckskraft ihres Gesanges auf unverwechselbare Art verstärkte. Trotz ihrer Koloraturfähigkeit, die im späteren Programm im Frühlingsstimmen-Walzer zu hören war – mit hohem f wohlgemerkt – gab sie den Liedern einen lyrischen Grundcharakter, wodurch sie ihre Gestaltung mit Natürlichkeit bereichern konnte. Überraschenderweise war das Liedhafte an sich in diesem Lied kaum erkennbar, kommt Seligkeit doch eher den stimmlichen Ansprüchen einer Opernarie als einem Lied gleich. Besonders das Ende dieser „Liedarie“ und die signifikante melodische Ausprägung der Sopranstimme erinnern an die Opern von Richard Strauss.
Das zweite Lied „Tagträume“ vermittelt ein verträumtes Gleiten in den Tag, sanft bewegt und beinahe stillstehend wird der Hörer zu Beginn zum Tagträumen angeregt. Vom Komponisten am Klavier wurde äußerst feinfühlig musiziert bis ins leiseste Pianissimo. Es kommt einem vor, als hätte er ein Orchester in seinen Fingern. Es ist wohl ein Vorausgriff auf die sich in Entstehung befindende Orchesterfassung der Lieder. Auch der Klangteppich, der die Sängerin durch die Stücke trug, war von einer selten gehörten Transparenz geprägt. Dass Joël Harison das gesamte Konzertprogramm der Sängerin auswendig begleitet hat, sei dabei nur am Rande erwähnt. Die drei Strophen des Morgens, Mittags und Abends variieren lediglich im Tempo und sind jeweils melodische Kantilenen, die der Sopranistin ein herzvolles Singen ermöglicht haben.
Das dritte und letzte Lied „Liebesglück“ war sehr beschwingt und bildete ein gelungenes Kontrastprogramm zu den ersten beiden Liedern. Bis auf einige unerwartete harmonische Wendungen ist dieses Stück sehr tonal angelegt, dadurch gab es viel dynamische Möglichkeiten zur Interpretation, die beide geschickt für sich in Anspruch nahmen. Erst gegen Ende ließen das Tempo und die Dynamik stark nach, wodurch sich das Finale ankündigte, das von einem strahlenden Spitzenton gekrönt wurde.
Andri Joël Harison, Anna Nekhames.Copyright: Alexander Besenböck
Anschließend gab es reichend Anerkennung für das harmonische Duo – die Sängerin Anna Nekhames und den Komponisten Andri Joël Harison am Klavier – durch hörbare Beifallsbekundungen des Publikums, das den Gustav Mahler-Saal zur Gänze gefüllt hatte.
Man darf gespannt sein, wie und wann der Liederzyklus „Die Weisen einer Liebenden“, den man als kleines Gesamtkunstwerk betrachten kann, das durchaus an bedeutende, gleichgesinnte Komponisten aus der Vergangenheit erinnert, fortgesetzt wird. Es wäre interessant zu sehen, ob der Komponist auch ein größeres Werk auf ähnlich detailreiche und klanglich intime Weise gestalten kann.
Insgesamt war diese Uraufführung ein bemerkenswerter, musikalischer Hochgenuss, der dem Publikum lange Zeit in Erinnerung bleiben wird.
Morgen (12.3.) Vormittag wird eines seiner Lieder in der Besetzung der Uraufführung um 10:05 Uhr in OE1 in der Sendung „Klassik-Treffpunkt“ (Der erste Jahrgang der Wiener Staatsoper, Moderation Albert Hosp) aus dem Klangforum des ORF Radiokulturhauses live zu hören sein.
Mag. Isolde Cupak