WIEN / Staatsoper: MADAMA BUTTERFLY
5. Aufführung in dieser Inszenierung
20. Juni 2023
Von Manfred A. Schmid
Mit der Premiere von Anthony Minghellas Inszenierung am 8. September 2020, basierend auf einer Koproduktion der Metropolitan Opera, der English National Opera und des Litauischen Nationaltheaters, startete im September 2020 die neue Direktionszeit an der Wiener Staatsoper. Die kitschfreie, mit gut dosiert eingesetzten fernöstliche Versatzstücken dennoch nicht geizende Neuproduktion mit hohem personellen Aufwand – allein für die an die japanische Tradition des Bunraku angelehnte Puppe, die das erst nach der Abreise Pinkertons geborene Kind von Cio Cio San darstellt, werden drei Puppenspieler benötigt – war die bei weitem erfolgreichste und von Publikum und Kritik weitgehend einhellig gefeierte Oper aus dem internationalen Einkaufskatalog, der die erste Spielzeit von Bogdan Roscic prägen sollte.
Auch beim zweiten Besuch bestätigt sich die hohe ästhetische Qualität der an Breitband-Kino erinnernden Inszenierung mit raffinierten Lichteffekten, Fächertänzen, vom Himmel herunterregnenden Kirschblüten (kurzer Kitschalarm!) und weißen, von dunklen Schattenwesen bewegten Lampions, die sich zu fein stilisierten Tableaus formen. Eindrucksvoll auch der Spiegel über der schwarzen Bühne, der den Figuren und Bewegungen eine zusätzliche Dimension verleiht. Das unablässige Spiel der Farben wirkt zuweilen so betörend, dass die Gefahr besteht, sich davon so in Bann ziehen zu lassen, dass die Musik nur noch zu einer Sache im Hintergrund wird. Antonello Manacorda am Pult des Staatsopernorchesters kämpft dagegen jedoch erfolgreich an, indem er – anders als Philippe Jordan bei seiner ersten Premiere als musikalischer Chef des Hauses – sich nicht der stilisierten, manchmal leicht unterkühlt wirkenden Ausstattung anpasst, sondern mehr auf Emotionalität setzt und die oft jähen Gefühlsumschwünge, die für Puccinis so charakteristisch sind, mit Verve umsetzt. Das Zwischenspiel im 2. Akt ist mit seiner impressionistischen Schilderung einer von hochgespannten Erwartungen und quälenden Befürchtungen gezeichneten Nacht besonders gelungen.
Gerade eine Puccini-Oper braucht eine gut ausgewählte Besetzung. Große Namen allein genügen jedenfalls nicht. Dass Asmik Grigorian, Cio Cio San der Premiere, eine hervorragende Sängerin/Darstellerin ist, hat sie erst jüngst als Nedda in Pagliacci wieder einmal bewiesen. Als Titelfigur in Butterfly war sie allerdings nicht ideal eingesetzt, sondern wirkte unterkühlt und distanziert. Sonya Yoncheva gelingt es diesmal, sich mit ihrer intensiven Darstellung der die bis zuletzt unerschütterlich an Liebe und Treue glaubende, von Pinkerton schamlos als Sexspielzeug missbrauchte und verlassene Cio Cio San in die Herzen des Publikums zu singen. Man fühlt und leidet mit ihr mit, wohl wissend, dass es kein Happyend geben kann, und ist dennoch tief erschüttert und berührt, wenn die Tragödie ihren unerbittlichen, überaus grausamen Lauf nimmt. Bei ihrer Arie „Un bel dì, vedremo“, in der sie sich lebhaft vorstellt, wie sie triumphieren wird, wenn ihr geliebter Ehemann endlich zurückkommen wird, lässt Mingehlla einen Tänzer (Alexandre Cardoso da Silva) auftreten. Dieser stellt den feigen, gewissenlosen Pinkerton dar, der Cio Cio San umtanzt, ihr ein Messer an die Kehle hält und einen Schnitt andeutet. Die Botschaft ist klar: Für ihren Selbstmord ist allein Pinkerton verantwortlich. Yonchevas Todes- und Schlussarie „Tu, tu piccolo iddio“, als sie niederkniet, um sich mit dem Messer ihres Vaters zu töten, und von ihrem herbeieilenden Sohn Abschied nimmt, geht tatsächlich unter die Haut. Mit ihrer unstillbaren Liebe und Hoffnung und ihrer großzügigen Überlassung des Kindes an Kate Pinkerton ist die unschuldsvolle und naive, fragile und doch so hoffnungsfrohe Cio Cio San in der ansehnlichen Reihe von todgeweihten Frauen in den Puccini-Opern – Tosca, Mimi, Manon – bestimmt die anrührendste von allen.
Nach Butterflys Tod ruft Pinkerton dreimal ihren Namen. Das schlechte Gewissen kommt viel zu spät. Recht gut erfüllt Charles Castronovo die Aufgabe, diesem ziemlich unsympathischen, gedankenlos egozentrischen Amerikaner, der von Anfang an nicht daran denkt, sich tatsächlich auf Dauer an dieses junge Mädchen zu binden, Spiel und Stimme zu geben. In „Vogliatemi bene, un bene pccolino“, dem Liebesduett nach der Hochzeit und Cio Cio Sans Verdammung durch den erzürnten Onkel Bonzo (unerbittlich und einschüchternd Evgeny Solodnikov) lässt er eindeutig seine Braut dominieren und hält sich zurück. Nur ihre Liebe ist unbedingt. Von ihm erhofft sie nur, dass er sie wenigstens ein bisschen liebe. Auch im Gespräch mit dem amerikanischen Konsul, der ihn davor warnt, die Verheiratung nur als ein vorübergehendes Abenteuer anzusehen, weicht er unsensibel aus und bekennt später in seiner einzigen Arie „Addio fiorito asil“ seine Feigheit. Er bringe es nicht über sich, ihr persönlich gegenüberzutreten. Der höhensichere, aber doch ziemlich farblose Tenor Castronovos passt gut zu dem charakterschwachen Mann.
Boris Pinkhasovich als Sharpless ist ein empathischer, ganz und gar nicht beamtenhafter oder unverbindlicher Diplomat, sondern lässt von Anfang an wissen, was er von Pinkertons Affäre hält, muss aber hilflos und beschämt zur Kenntnis nehmen, dass seine Warnungen nichts fruchten und das eintreten wird, was er befürchtet hat.
Hervorragend ist Ensemblemitglied Szilvia Vörös als um ihre Herrin sich fürsorglich kümmernde Dienerin. Ihr Wärme und Mitgefühl ausstrahlender Mezzosopran wirkt authentisch und echt, während der umtriebige Heiratsvermittler Goro von Andrea Giovannini sich als schleimiger, skrupelloser, von rücksichtsloser Profitgier angetriebener Halunke sich in Szene setzt.
Wie Solodnikov, Pinkhasovich, Vörös und Giovannini aus dem gut aufgestellten Ensemble kommt auch Hiroshi Amako, der als hartnäckig um Cio Cio San werbendet, exotisch ausgestattete Fürst Yamadori (Kostüme von Han Feng) die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Von den zahlreichen weiteren, tadellos erfüllten Rollen sei stellvertretend noch Opernstudiomitglied Nikita Ivasechko angeführt. Keinesfalls eine Nebenrolle, sondern stimmungsmalerisch wichtig eingesetzt ist der summende Chor der Staatsoper im 2. Akt
Ein Beifallsorkan des Publikums, der die üblichen fünf Minuten deutlich überzieht, ist der Dank für einen ungemein berührenden Opernabend, der das Ende der Saison einläutet. Was folgt, sind nur noch Reprisen.