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WIEN / Staatsoper: MACMILLAN | MCGREGOR | ASHTON

Ballett  Eden
Fotos: Ashley Taylor

WIEN / Staatsoper: MACMILLAN | MCGREGOR | ASHTON
Concerto von Kenneth MacMillan
Eden|Eden von Wayne McGregor
Marguerite and Armand von Frederick Ashton
Premiere am 31. Oktober 2017,
besucht wurde die zweite Reprise am 6. November 2017

„Zusammen gestoppelte“ Ballett-Programme sind gar nicht so leicht zu programmieren. Dieser „britische“ Abend ist allerdings dramaturgisch bemerkenswert ausgefallen, beschwor den Zauber von einst und huldigt den Ambitionen der Gegenwart. Auch war mit Kenneth MacMillans „Concerto“, dieser Hommage an den „reinen Tanz“ an der Schnittstelle von Klassik und Moderne, mit „Eden | Eden“, diesem getanzten Kommentar Wayne McGregors zu unserer gar nicht schönen neuen Welt, und letztlich mit Frederick Ashtons „Traviata“-Version, die er einst für das damalige „Traumpaar“ Fonteyn/Nurejew geschaffen hat (man hat die beiden darin in Wien vor 50 Jahren auf der Bühne gesehen…), mit dieser „Romantik pur“, der größt mögliche und damit interessanteste Kontrast gegeben.

Apropos interessant: Das muss man natürlich am nachdrücklichsten dem Mittelstück „Eden | Eden“ zuschreiben, das der 47jährige Brite Wayne McGregor geschaffen hat. Er nahm den dritten Teil der Oper „Three Tales“ von Steve Reich (die übrigens im Mai 2002 bei den Wiener Festwochen uraufgeführt wurde!) und schuf zu „Dolly“ eine atemberaubende Bewegungschoreographie, die mit expressivem Ausdruckstanz „übersetzte“, was hier als Geschichte erzählt wird: Dabei sei gleich gesagt, dass man sich zweifellos am besten auf das Stück einstellt, wenn man den Text liest, der dem Programmzettel beigegeben ist (denn akustisch ist die in die Musik wie „hineingeschnittene“ Sprache kaum zu verstehen).

Was hier bereits damals, vor 15 Jahren, Grundlegendes zur Entwicklung von „Der Mensch schafft sich ab“ gesagt wurde, ist erstaunlich. Dolly, das geklonte Schaf, ist der Ausgangspunkt der Überlegungen – der geklonte Mensch, sein identes Abbild, ist er ein Mensch? Wo werden wir sein, wenn wir nicht mehr wissen, ob die Geschöpfe, die uns begegnen, von Gott oder uns Menschen geschaffen wurden? Was ist, wenn intelligente Roboter uns mühelos ersetzen können? Not what the computer does, überlegt der Text, sondern what the computer does to us…

Steve Reichs Musik dazu (sie kommt vom Tonband, der Rest des Abends ist musikalisch live unter der Leitung von Valery Ovsyanikov) ist Minimalismus, allerdings nicht auf der ästhetischen Ebene eines Philip Glass, weit drängender, dynamischer, aber doch nie künstlerischer Selbstzweck, immer im Dienst eines Gesamtkunstwerks, in dem Kunst einen großen Schritt hinter die Aussage zurück macht.

Und dieser Aussage unterwirft Wayne McGregor in dieser seiner 2005 für Stuttgart geschaffenen Choreographie seine neun Tänzer, vier Damen, fünf Herren, die er gänzlich ihrer Individualität beraubt, sie zu nackten (fleischfarbene Bedeckung der fraglichen Körperpartien), glatzköpfigen Geschöpfen macht, die mit nie endendem Ideenreichtum ineinander taumeln und nicht klar zeigen, ob sie Mensch sind oder Maschine – genau das Thema des Werks, geradezu schaurig umgesetzt, gleicherweise virtuos und beängstigend. Beeindruckend.

Dafür beginnt und endet es schön, wobei „Concerto“ zu Beginn eine schrankenlose Huldigung an die Schönheit des Tanzes ist – so hat Kenneth MacMillan 1966 (uraufgeführt in Berlin) in einer Ausstattung von Deborah MacMillan (vor blauem Himmel mit weißen Wolken, in hellblauen, glatten Kostümen) Dmitri Schostakowitschs Klavierkonzert Nr. 2 (sehr schön gespielt von Igor Zapravdin, seines Zeichens Ballettkorrepetitor der Staatsoper) umgesetzt.

Da dürfen Nikisha Fogo und Denys Cherevycko zu Beginn leicht, temperamentvoll und mitreißend fröhlich den ersten Satz bestreiten, Nina Poláková und Roman Lazik bieten Lyrik in Vollendung, und Alice Firenze, ohne Partner, fegt solistisch im dritten Satz über die Bühne, hinter ihnen das Ensemble: Wie gesagt – eine Verbeugung vor dem Tanz an sich.

Ballett  marguerite Armand

Den Abschluß bildet „Marguerite and Armand“, einer der großen Klassiker des Handlungsballetts, wenn auch mit einer starken halben Stunde nicht viel länger als die Vorgängerstücke (je 25 Minuten). Frederick Ashton und sein Ausstatter Cecil Beaton (minimalistisch in der Bühnengestaltung, dabei raffiniert mit Schleiervorhängen spielend, herrlich in den Kostümen der Belle Epoque) zauberten hier eine psychologisch wunderbar ausgefeilte Kurzfassung der Kameliendame, die vier Akte wie bei Verdi (ganz zu Beginn Marguerite am Sterbebett, die Geschichte als Rückblick), allerdings zur Musik von Franz Liszt, wobei Shino Takizawa den Klavierpart von dessen Klaviersonate h-Moll übernahm, die von Dudley Simpson zum Orchesterstück erweitert wurde.

So eindrucksvoll ihre Kolleginnen auch gewesen sein mögen – mit der Marguerite ist Liudmila Konovalova die absolute Königin des Abends. Beaton hat sie auch entsprechend eingekleidet – rot als die Kurtisane des ersten Bildes, wo sie unnachahmlich hinreißend die „Liebe auf den ersten Blick“ spielt, die sie zu Armand erfasst. Ganz in duftigem Weiß die Liebende im zweiten Bild, die dann vom Vater des Geliebten zum Verzicht gezwungen wird. In Schwarz-Silber nimmt sie im dritten Bild die Demütigungen entgegen – und stirbt im fließenden Nachthemd. Das alles wird nicht nur mit beispielhafter Eleganz und Leichtigkeit getanzt, nein, Liudmila Konovalova ist nicht nur Spitzentanz, Beine und fließende Bewegung, sie hat auch ein Gesicht, an dem man – wie bei den besten Schauspielern – alles ablesen kann, jede Gefühlsregung, ohne dass je plakativer Kitsch daraus würde.

Das ist eine ungemein ergreifende Leistung, die Armand ein wenig in den Hintergrund drängt, wobei Jakob Feyferlik hier mehr Jüngling ist als junger Liebhaber (immerhin ein Altersunterschied, der auch bei Fonteyn / Nurejew zum Tragen kam). Für den Vater wirkt Vladimir Shishov trotz grauer Perücke zu jung, aber er spielt und tanzt ungemein schön, wie sich die Abneigung des Herren angesichts von Marguerites Edelmut in Bewunderung verwandelt…

Am Ende steht der Tod: Noch einmal ein leidenschaftlicher Tanz der Liebe, dann Erschlaffung, bis Armand die Tote in den Armen hält. Er lässt sie zu Boden gleiten, schließt ihr die Augen, nimmt ihre Hand – sie entgleitet ihm, fällt zu Boden. Da kann er zum Finale nur in herzzerreißender Verzweiflung klagend in den Himmel blicken: Romantisches Ballett in Vollendung…

Renate Wagner

 

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